Verbraucherinsolvenz: Vollstreckungsprivileg bei deliktischen
Forderungen
BGH, Beschluss vom 11.03.2020 -
VII ZB 38/19 -
Kurze Inhaltsangabe:
Der Gläubiger beantragte den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem mit dem er Arbeitseinkommen des Schuldners unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze nach § 850f Abs. 2
ZPO beantragte. Zum Nachweis einer Forderung aus einer vorsätzlich vom Schuldner begangenen unerlaubten Handlung legte der gläubiger einen vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle aus dem
Verbraucherinsolvenzverfahren des Schuldners vor. Das Amtsgericht wies den Antrag zurück, ebenso wie das Beschwerdegericht die dagegen eingelegte Beschwerde des Gläubigers. Auf die zugelassene
Rechtsbeschwerde erfolgte ein Aufhebung der Vorentscheidungen und Zurückverweisung.
Der BGH hielt unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 04.09.2019 - VII ZB 91/17 - fest, dass der Gläubiger durch Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle den
Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung führen kann, um das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO nutzen zu können, wenn sich daraus ergibt, dass
eine entsprechende Forderung zur Tabelle festgestellt wurde und diese Feststellung nicht vom Schuldner bestritten wurde. Dieser Fall lag vor, da sich aus der Insolvenztabelle die Forderung aus
einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ergab und auch ergab, dass der Schuldner dies nicht bestritten hatte.
§ 850f Abs. 2 ZPO lautet:
„Wird die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben, so kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren
Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c vorgesehenen Beschränkungen bestimmen; dem Schuldner ist jedoch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur
Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf.“
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des
Gläubigers wird der Beschluss der Zivilkammer 1 des Landgerichts Hildesheim vom 12. September 2019 aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde des
Gläubigers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Vollstreckungsgericht - Hildesheim vom 2. Juli 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten
Entscheidung über den Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Änderung des unpfändbaren Betrags gemäß § 850f Abs. 2 ZPO, auch über die
Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - Hildesheim zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Gläubiger hat bei dem
Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - Hildesheim den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem angebliche Forderungen des Schuldners gegen dessen Arbeitgeber ge-pfändet werden
sollen, unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze gemäß § 850f Abs. 2 ZPO beantragt.
Zum Nachweis dafür, dass
bezüglich der Hauptforderung die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben werde, hat der Gläubiger einen vollstreckbaren Auszug
aus der Insolvenztabelle betreffend das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners vor dem Amtsgericht - Insolvenzgericht - Hildesheim zu dem Aktenzeichen 53 IK 168/13
vorgelegt. Darin heißt es zum Grund der Forderung:
"Forderung aus Schadenersatz
[sic] aus Verkehrsunfall gem. Rechnungs-Nr.: R/S/KU/208.925 v. 28.06.2012 sowie It. Schreiben vom 04.10.2012 - Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung".
Ferner ist unter
"Berichtigungen/Bemerkungen" festgehalten:
"Angemeldet aus einer
vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Der Tatsache, dass der Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zu Grunde liegt, wurde nicht widersprochen."
Mit Beschluss vom 2. Juli 2019
hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - Hildesheim den "Antrag des Gläubigers vom 08.04.2019 auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nach § 850f Abs. 2 ZPO"
insgesamt zurückgewiesen.
Die gegen diesen Beschluss
eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Gläubiger mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Mit der
vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann der Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Änderung des unpfändbaren Betrags gemäß § 850f
Abs. 2 ZPO nicht abgelehnt werden.
1. Das Beschwerdegericht, dessen
Entscheidung in ZVI 2019, 458 veröffentlicht ist, hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der vorgelegte Auszug aus der Insolvenztabelle genüge für den Nachweis, dass der
Gläubiger wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung die Zwangsvollstreckung betreibe, nicht. Der Bundesgerichtshof habe bereits entschieden, dass ein solcher
Nachweis durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheids nicht erbracht werden könne (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, NJW 2005, 1663, juris Rn. 10).
Dementsprechend scheide auch der
Nachweis durch einen vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle aus. Auch im Rahmen der Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle finde eine richterliche Schlüssigkeitsprüfung oder gar
eine materiell-rechtliche Prüfung der angemeldeten Forderung und damit des Schuldgrunds der angemeldeten Forderung nicht statt.
2. Dies hält der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
a) Wie der Bundesgerichtshof
bereits - kurz vor Erlass des angefochtenen Beschlusses des Beschwerdegerichts - mit Beschluss vom 4. September 2019 - VII ZB 91/17 Rn. 6 ff., NJW 2019, 3237, entschieden hat, kann
der Gläubiger durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg
des § 850f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Insolvenztabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist. An dieser
Rechtsprechung hält der Bundesgerichtshof aus den in dem genannten Beschluss aufgeführten Gründen fest.
b) Ein solcher Fall liegt hier
nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen vor.
3. Nach alledem kann der
angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts nicht bestehen bleiben. Er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Er macht
entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache zur
erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, das über den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Änderung des unpfändbaren Betrags
gemäß § 850f Abs. 2 ZPO neu zu befinden haben wird, § 577 Abs. 4 Satz 1, § 572 Abs. 3 ZPO.