Wohnungseigentum


Werdende Eigentümergemeinschaft, das Stimmrecht des werdenden Wohnungseigentümers und das neue Wohnungseigentumsgesetz

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.01.2021 - 2-13 S 18/20 -

Kurze Inhaltsangabe mit Erläuterungen:

 

Der Entscheidung des Landgerichts (LG) lagen Beschlüsse einer Eigentümerversammlung von 28.11.2018 zugrunde, die von der Klägerin angefochten wurden. Zu dieser Eigentümerversammlung wurden statt der Klägerin (der Bauträgerin, die das Wohnungseigentum gem. § 8 WEG a.F. geteilt hatte) deren Käufer einer bestimmten Wohnungseinheit eingeladen, denen die Bauträgerin die Wohnung auch bereits übergeben hatte und für die eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen war. Eine im Kaufvertrag enthaltene Stimmrechtsvollmacht zugunsten der Käufer war von der Bauträgerin widerrufen worden. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Dem half das LG im Rahmen der von der Bauträgerin eingelegten Berufung nicht ab.

 

Das Landgericht verwies darauf, dass die Käufer sogen. „werdende Eigentümer“ gewesen seien. Damit käme es nicht darauf an, weshalb hier ggfls. die Bauträgerin nicht geladen worden sei und wer für einen eventuellen Ladungsmangel die Darlegungs- und Beweislast trage, da den Käufern und nicht der Bauträgerin das Stimmrecht zugestanden habe. Bereits mit Urteil vom 11.05.2012 - V ZR 196/11 - habe der BGH entschieden, dass alleine dem werdenden Wohnungseigentümer das Stimm- und Anfechtungsrecht zustünde. Der BGH stellte darauf ab, dass sich die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft als Vorstufe der Wohnungseigentümergemeinschaft konstuituiere, wenn der erste Käufer sowohl mit einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch gewahrt sei und ihm die Wohnung vom Teiler (in der Regel Bauträger) übergeben worden sei und auf werdende Wohnungseigentümergemeinschaft und die werdenden Wohnungseigentümer die Bestimmungen über die Wohnungseigentümergemeinschaft des WEG anzuwenden sei. Mit dem Zeitpunkt, zu dem bei dem ersten Käufer das Eigentum auf diesen umgeschrieben würde, würde die Wohnungseigentümergemeinschaft endgültig entstehen und auch die (noch) werdenden Eigentümer würden darin aufgehen. Damit bleibt der Bauträger nur insoweit stimmberechtigt, als für Käufer noch keine Auflassungsvormerkung im Grundbuch gewahrt wurde und (kumulativ) die Wohnung übergeben wurde.

 

Der Widerruf der im Kaufvertrag erteilten Vollmacht würde sich hier nicht auswirken können, da der Bauträger (Teiler nach WEG) dem werdenden Eigentümer nicht dem vorgezogenen Schutz des Wohnungseigentumsgesetzes entziehen könne.

 

Das LG verwies zusätzlich auf das seit dem 01.12.2020 geltende Wohnungseigentumsgesetz. Der Gesetzgeber habe die Rechtsprechung in § 8 Abs. 3 BGB n.F. umgesetzt. Danach sei nach §§ 8 Abs. 3, 10 WEG n.F. der werdende Wohnungseigentümer (also jener, der vom Teiler erwirbt, mit einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch gesichert ist und dem die Wohnung übergeben wurde) zwingend zur Eigentümerversammlung zu laden und er habe auch dort das Stimmrecht, nicht der Teilende (Bauträger) in Bezug auf dieses Sonder-/Teileigentum.

 

Allerdings unterscheidet sich das neue WEG-Recht vom bisherigen dadurch, dass nach § 9a WEG n.F. die Wohnungseigentümergemeinschaft bereits mit Anlegung der Wohnungsgrundbücher entsteht, § 9a Abs. 1 S. 2 WEG n.F., nicht erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der erste Käufer nach Eigentumsumschreibung auf ihn im Wohnungsgrundbuch als Eigentümer gewahrt wurde. Damit wird der Teiler (anders als nach bisherigen Recht) zum ersten Wohnungseigentümer. Eine werdende Wohnungseigentümergemeinschaft gibt es damit nicht mehr. Allerdings noch die werdenden Wohnungseigentümer, wie § 8 Abs. 3 WEG n.F. verdeutlicht.

 

Aus den Gründen:

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 19.12.2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand der Berufung sind die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1, 2, 3, 4, 6 und 7, gefasst auf der Eigentümerversammlung vom 28.11.2018, zu welcher statt der Klägerin (Bauträgerin) die Eheleute … eingeladen wurden, an welche die Klägerin eine Wohnungseigentumseinheit verkauft und übergeben hatte und zu deren Gunsten vor der Versammlung auch eine Auflassungsvormerkung eingetragen worden war.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Im Ergebnis hat das Amtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Unabhängig der Fragen, ob hinter der Nichteinladung böswillige Absicht steckte oder welche Partei die Kausalität zwischen Ladungsmangel und Beschlussfassung darlegen und beweisen muss, konnte die Klage schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Klägerin nicht einzuladen war. Allein die Eheleute … als werdende Eigentümer waren Stimmberechtigte und als solche zu laden.

Die Frage, wem in den Eigentümerversammlungen das Stimm- und Anfechtungsrecht zusteht – dem Veräußerer, dem werdenden Wohnungseigentümer oder analog § 25 Abs. 2 S. 2 WEG beiden gemeinschaftlich – war umstritten (BeckOK WEG/Müller, Maximilian A., 42. Ed. 1.8.2020, WEG § 10 Rn. 60 mit einer Vielzahl von Nachweisen). Der Bundesgerichtshof, dessen Auffassung sich die Kammer anschließt, hat den Streit dahingehend entschieden, dass dem werdenden Wohnungseigentümer Stimm- und Anfechtungsrecht allein zustehen, da er wie ein Eigentümer zu behandeln ist und an dessen Stelle tritt (BGH, Urt. v. 11. 5. 2012 − V ZR 196/11 = NZM 2012, 643 Rn. 18; s.a. BGH, Urt. v. 14.2.2020 – V ZR 159/19 = NZM 2020, 563Rn. 8). Der Bauträger verliert damit das Stimm- und Anfechtungsrecht (BGH, Urt. v. 11.12.2015 – V ZR 80/15 = NZM 2016, 266Rn. 13).

Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber nun auch in § 8 Abs. 3 WEG n.F. kodifiziert (vgl. Palandt, 80. Aufl. 2021, § 8 WEG Rn. 8; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 4 Rn. 284).

Ein Verbleib beim oder ein Rückfall zum Veräußerer kann auch nicht angenommen, wenn – wie hier – der Veräußerer den werdenden Eigentümer im Veräußerungsvertrag widerruflich bevollmächtigt, „alle Rechte eines Eigentümers wahrzunehmen“, diese Vollmacht dann aber widerruft. Denn das auf den werdenden Eigentümer übergehende Stimm- und Anfechtungsrecht ist das Gegenstück zu der den werdenden Eigentümer treffenden Kosten- und Lastentragung (BGH, Urt. v. 11. 5. 2012 − V ZR 196/11 = NZM 2012, 643 Rn. 18BGH, Urt. v. 11.12.2015 – V ZR 80/15 = NZM 2016, 266Rn. 13). Durch den Widerruf der Vollmacht wird der der werdende Eigentümer aber nicht korrespondierend auch wieder von Kosten und Lasten befreit. Im Übrigen würde ein Abstellen auf kaufvertragliche Regelungen, die übrigen Wohnungseigentümern und Verwalter möglicherweise nicht bekannt sind, zu Rechtsunsicherheit führen. Dem werdenden Eigentümer kann durch eine schuldrechtliche Vereinbarung nicht der Schutz der vorgezogenen Anwendung des WEG-Rechts entzogen werden, welcher ihm auf Grund einer bereits erlangten dinglichen Rechtsposition gebührt.

Mithin ist der werdende Wohnungseigentümer an Stelle des noch im Grundbuch eingetragenen teilenden Eigentümers zur Eigentümerversammlung zu laden (Abramenko in: Jennißen, WEG, 6. Aufl. 2019, § 10 Rn. 168). Eine Ladung zur Eigentümerversammlung zur bloßen Teilnahme ohne Stimmrecht ist abzulehnen (BeckOK WEG/Müller, Maximilian A., 42. Ed. 1.8.2020, WEG § 10 Rn. 60.2), denn die Teilnahme von ohnehin nicht stimmberechtigten Personen verstieße – fern der hier nicht einschlägigen Ausnahme für zu Beratungszwecken hinzugezogenen Personen – gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.