Schadensersatz


Höhere Gewalt iSv. § 7 Abs. 2 StVG und Haftung des Entgegenkommenden bei Verletzung des schadenverursachenden Beifahrers

OLG Koblenz, Beschluss vom 03.06.2019 - 12 U 1071/18 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Erstattung von von ihr aufgewandten Behandlungskosten für ihre bei einem Verkehrsunfall verletzten und in der Folge daran verstorbene  Versicherte. Dieser war Beifahrer im PKW des Zeugen. Während der Fahrt kippte der Versicherte plötzlich mit vollem Gewicht auf die Fahrerseite, weshalb der Zeuge die Kontrolle über den PKW verlor, gegen eine Mauer fuhr und in der weiteren Folge in den Gegenverkehr geriet, wo er gegen das vom Beklagten geführte Fahrzeug prallte. Die Beklagtenseite vertrat die Ansicht, der Verkehrsunfall sei von ihr weder verursacht noch verschuldet worden und die einfache Betriebsgefahr des eigenen Fahrzeugs trete vollständig hinter einer grob verkehrswidrigen Fahrweise des Fahrzeuges des Zeugen zurück.

 

Das Landgericht gab der Klage umfassend statt. Das Landgericht vertrat die Ansicht, dass die Berufung der Beklagtenseite gegen das Urteil keinen Erfolg haben könne. Dabei stellte das OLG darauf ab, dass die Versicherte als Beifahrerin in den Verkehrsunfall verwickelt worden sei, weshalb sie ihre Ansprüche aus § 7 Abs. 1 StVG ableiten könnte (die gem. § 86 VVG auf die Klägerin übergehen). Damit müsste die Beklagtenseite entweder darlegen und nachweisen, dass es sich bei dem Verkehrsunfall um einen Fall höherer Gewalt iSv. § 7 Abs. 2 StVG handelt oder ein Mitverschulden der Beifahrerin nach § 9 StVG / § 254 BGB vorläge.

 

Der Gesetzgeber habe durch die Beschränkung des Haftungsausschlusses auf Fälle höherer Gewalt bewusst  eine Erweiterung der Halterhaftung herbeiführen wollen. Höhere Gewalt setze ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis voraus, welches nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar sei und mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann auch nicht wegen einer Häufigkeit von Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen sei (BGH, Urteil vom 16.10.2007 - VI ZR 173/06 -).

 

Es gehöre, so das OLG, zu den typischen Gefahren des Straßenverkehrs, dass ein Beifahrer den Fahrer ablenkt oder durch handeln tatsächlich in das Fahrverhalten derart eingreift, dass das Fahrzeug außer Kontrolle gerate. Der Fall sei nicht vergleichbar mit jenem, bei dem Dritte gezielt auf der Straße ein für den Verkehr nicht oder zu spät sichtbares Hindernis aufstellen, um einen Unfall auszulösen oder sich in suizidaler Absicht selbst zum Hindernis machen würden. Dies sei im Hinblick auf die Unvorhergesehenheit nicht mit einem außer Kontrolle geratenen Fahrzeug vergleichbar und es würde auch der Intention des Gesetzgebers widersprechen, ein plötzliches geistiges oder körperliches Versagen des Fahrzeugführers (und damit wohl  nach Ansicht des OLG auch seines mittelbaren Versagens durch das körperliche Versagen des Beifahrers) als höhere Gewalt genügen zu lassen (BGH, Urteil vom 15.01.1957 - V ZR 135/56 -).

 

 

 Für ein fahrlässiges oder gar vorsätzliches Verschulden der Versicherten (§§ 9 StVG, 254 BGB) sei nichts ersichtlich. Ob der Beklagte (und sein Haftpflichtversicherer) Ausgleichsansprüche gegen den Zeugen und dessen Kfz-Haftpflichtversicherer haben, könne hier auf sich beruhen.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

  1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 14.08.2018, Az. 6 O 227/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO  zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
  1. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.06.2019. 

Gründe

Die Klägerin ist die Krankenversicherung ihrer verstorbenen Versicherten, H. R.. Sie macht aus übergegangenem Recht Behandlungskosten als Folge eines Verkehrsunfalls vom 14.12.2016 geltend.

Die Versicherte war zum Unfallzeitpunkt Beifahrerin in einem von dem Zeugen P. geführten PKW. Nach den Feststellungen in einem gegen den Zeugen geführten Strafverfahren kam es zu dem Unfall dadurch, dass die Versicherte plötzlich während der Fahrt mit ihrem gesamten Körpergewicht auf die Fahrerseite kippte, wodurch der Zeuge P. die Kontrolle über das Fahrzeug verlor, zunächst mit einer Mauer kollidierte und von dort aus in den Gegenverkehr geriet, wo er gegen das von der Beklagten zu 1. geführte Fahrzeug prallte. Die Versicherte wurde mit dem Notarztwagen in das Universitätsklinikum M. verbracht, wo sie knapp 2 Stunden später verstarb. Die Klägerin zahlte die Behandlungskosten sowie die Kosten für den Notarzteinsatz in Höhe von insgesamt 10.140,73 €.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin Erstattung der von ihr erbrachten Leistungen geltend gemacht. Die Beklagten sind der Klage mit dem Hinweis entgegengetreten, dass ihrerseits der Unfall weder verursacht noch mitverschuldet worden sei. Die einfache Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs trete vollständig hinter der grob verkehrswidrigen Fahrweise des unfallgegnerischen Fahrzeugs zurück. Dies zeige sich auch darin, dass die Versicherung des Unfallgegners den am Beklagtenfahrzeug entstandenen Schaden zu 100 % reguliert habe.

Mit seinem angegriffenen Urteil hat das Landgericht der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Die Haftung der Beklagten ergebe sich aus § 7 Abs. 1 StVG  i.V.m. § 115 VVG , ohne dass der Anspruch nach § 7 Abs. 2 StVG  ausgeschlossen sei. Nur extreme Ausnahmesituationen könnten als höhere Gewalt die Ersatzpflicht ausschließen, was in dem hier anzunehmenden schlichten "Umkippen der Beifahrerin" noch nicht gesehen werden könne. Auf die Einzelheiten der Urteilsbegründung im Übrigen, insbesondere die weiteren rechtlichen Ausführungen sowie tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts einschließlich der konkreten Antragstellung der Parteien wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Begehren umfassend weiterverfolgen. Das Landgericht habe den Begriff der höheren Gewalt unzutreffend ausgelegt. Bei richtigem Verständnis lasse sich auch der hier vorliegende Sonderfall (gesundheitliche Probleme der Beifahrerin, die hierdurch dem Fahrer ins Steuer fällt) dem Bereich der höheren Gewalt zuordnen, sodass eine Haftung ausscheide. Hinsichtlich des Vorbringens im Übrigen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat beabsichtigt nach Beratung, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO  zurückzuweisen. Der Senat ist nach Prüfung der Sach- und Rechtslage davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung, und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts ebenso wenig wie eine mündliche Verhandlung geboten ist.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht hier eine umfassende Haftung der Beklagten nach §§ 7 Abs. 1 StVG , 115 VVG  für die der Versicherten erwachsenen, auf die Klägerin übergegangenen Schäden angenommen. Dieses - auf den ersten Blick angesichts der eindeutig beim Unfallgegner zu sehenden Verursachung eigentümlich wirkende - Ergebnis ist der besonderen rechtlichen Situation geschuldet, dass die als schlichte Beifahrerin in den Unfall verwickelte Versicherte ihre Ansprüche auf § 7 Abs. 1 StVG  stützen kann, so dass die Beklagten nur über § 7 Abs. 2 StVG  oder ein eigenes Mitverschulden der Beifahrerin nach § 9 StVG  ihre Haftung reduzieren oder auch gänzlich ausschließen könnten. Beide Konstellationen liegen hier nicht vor.

Durch die Neuregelung des § 7 Abs. 2 StVG  und die Begrenzung des Haftungsausschlusses auf Fälle höherer Gewalt hat der Gesetzgeber (vgl. BT-Drs. 14/7752, S. 30 f.) bewusst eine Erweiterung der Halterhaftung herbeiführen wollen. Schon vor diesem Hintergrund ist eine enge Auslegung des Begriffs der höheren Gewalt geboten, die auf wenige Ausnahmefälle beschränkt bleiben muss. Demzufolge ist höhere Gewalt - nicht nur im Sinne des § 1 Abs. 2 HaftpflG , sondern auch nach § 7 Abs. 2 StVG  (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVG, § 7 Rn. 32) - ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist (BGH, VersR 2008, 126  [BGH 16.10.2007 - VI ZR 173/06] ). Dass ein Beifahrer - sei es durch Ablenkung des Fahrers oder auch durch tatsächliches Eingreifen in den Lenkvorgang - so auf das Fahrverhalten eines Fahrzeugs Einfluss nimmt, dass dieses außer Kontrolle gerät, kann nicht als nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar eingestuft werden, sondern gehört zu den typischen Gefahren des Straßenverkehrs, denen sich jeder Teilnehmer zwingend aussetzen muss. Der Fall ist dabei auch nicht mit solchen Handlungen Dritter vergleichbar, die gezielt auf der Straße ein - nicht oder nur spät erkennbares - Hindernis aufstellen, um einen Unfall auszulösen, oder - in suizidaler Absicht - sich selbst zum Hindernis im Straßenverkehr machen. Der darin jeweils zum Ausdruck kommende äußere Eingriff in den Straßenverkehr kann in seiner Unvorhersehbarkeit nämlich nicht mit einer Kollision mit einem außer Kontrolle geratenen Fahrzeug verglichen werden, mit welcher im Straßenverkehr grundsätzlich jederzeit gerechnet werden muss. Zudem widerspräche es der Intention des Gesetzgebers, wenn man bereits ein plötzliches geistiges oder körperliches Versagen des Fahrzeugführers als höhere Gewalt genügen lassen würde (vgl. BGH, NJW 1957, 675  [BGH 15.01.1957 - VI ZR 135/56] ), was erst recht für den noch weniger auf den Straßenverkehr einwirkenden Beifahrer zu gelten hat.

Auch ein - grundsätzlich denkbares - nach §§ 9 StVG , 254 BGB  zu berücksichtigendes Mitverschulden der Versicherten scheidet hier aus, da keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Versicherte in fahrlässiger oder gar vorsätzlicher Weise in den Lenkvorgang eingegriffen hat. Vielmehr ist nach den Feststellungen des Landgerichts davon auszugehen, dass die Versicherte aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht mehr zu einer Beherrschung ihres Körpers in der Lage war und allein schwerkraftbedingt dem Fahrer ins Steuer gefallen ist.

Die Höhe der Behandlungskosten steht in der Berufungsinstanz ebenso wenig in Streit wie die Ursächlichkeit des Verkehrsunfalls für das Anfallen dieser Kosten.

Die Berufung bleibt danach ohne Erfolg, so dass den Beklagten nur eine - hier nicht abschließend zu prüfende - eventuelle Regressmöglichkeit gegenüber den streitverkündeten Unfallgegnern verbleibt.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rück- nahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

 

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf 10.140,73 € festzusetzen.