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Verlust aus Aktienverkäufen ohne Bescheinigung gem . § 20 EStG und Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeit

BFH, Urteil vom  12.06.2018 - VIII R 32/16 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der Kläger veräußerte nahezu wertlose Aktien an seine Sparkasse und machte in seiner Einkommensteuerklärung 2013 dafür Verluste mit € 5.759,78 geltend. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte diese Verluste mit der Begründung nicht, der Kläger habe diesbezüglich keine Bescheinigung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG vorgelegt. Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht der Klage statt. Die Revision des beklagten FA wurde zurückgewiesen.

 

Nach Auffassung des BFH handele es sich hier um steuerlich anzuerkennende Verluste gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG. Danach sei auch ein negativer Gewinn und damit ein Veräußerungsverlust (entsprechend der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz zu den Einkünften aus Kapitalvermögen) erfasst.  Die Veräußerung sei die zumindest wirtschaftliche Übertragung des Eigentums auf einen Dritten. Dieser Fall der entgeltlichen Veräußerung läge auch vor, wenn wertlose Anteile zwischen fremden Dritten ohne Gegenleistung übertragen würden (BFH, Urteil vom 06.04.2011 - IX R 61/10 -).  Weitere Tatbestandmerkmale sehe das Gesetz nicht vor. Insbesondere sei danach weder die Höhe der Gegenleistung noch die Höhe anfallender Veräußerungskosten maßgeblich (entgegen BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85 Rz. 59). Mithin läge hier bei der Veräußerung der Aktien zu € 8,00 bzw. € 6,00 abzüglich der Kosten eine steuerlich beachtliche Veräußerung vor.

 

Das Fahlen einer Bescheinigung der auszahlenden Stelle (hier: Sparkasse) iSv. § 43a Abs. 3 S. 4 EStG stehe der Anwendung des § 29 Abs. 6 Satz 6 EStG auch nicht entgegen. Die Norm des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG diene der Verhinderung eines doppelten Verlustabzugs. Diese Gefahr sei hier nicht gegeben; die Sparkasse sei nach der veröffentlichten Auffassung der Finanzverwaltung davon ausgegangen, dass der erzielte Verlust steuerlich unbeachtlich sei. Es wäre reiner Formalismus auch in diesem Fall zu verlangen, dass für die Verlustrechnung iSv. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG erforderlich sei (BFH, Urteil vom 20.10.2016 - VIII R 55/13 -; BFH, Urteil vom 29.08.2017 - VIII R 23/15 -).

 

Der Einwand des beklagten FA, es läge ein Gestaltungsmissbrauch vor (§ 42 AO), sei auch zurückzuweisen. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO könne das Steuergesetz nicht durch Gestaltungsmissbrauch umgangen werden. Dieser Missbrauch sei anzunehmen, wenn eine unangemessene Gestaltung gewählt würde, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führe. Alleine das Motiv, Steuern zu sparen, würde die Gestaltung aber nicht missbräuchlich machen (BFH, Beschluss vom 29.11.1982 - GrS 1/81 -).  Der Steuerpflichtige dürfe seine Verhältnisse so ordnen, dass möglichst keine oder nur geringe Steuern anfallen (BFH, Urteil vom 19.01.2017 - IV R 10/14 -).  Erst dann, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung nicht zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebrauche, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wähle,  auf dem nach dem Willen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreicht werden solle, wäre eine Unangemessenheit nach § 42 AO anzunehmen. Dass sei z.B. der Fall, wenn das Geschäft zu einer wirtschaftlichen Neutralisierung führe und nur steuerliche Vorteile erreicht werden sollen oder die wirtschaftliche Auswirkung durch eine gegenläufige Gestaltung kompensiert würde und sich danach lediglich als eine formale Maßnahme darstelle.

 

 

Nach diesen Grundsätzen läge vorliegend kein Missbrauch vor. Der Kläger habe das Ziel verfolgt, sich von nahezu wertlosen Wertpapieren zu trennen, was sinnvoll nur durch Veräußerung möglich gewesen sei. Auch könne der Zeitpunkt der Maßnahme dem Steuerpflichtigen nicht vorgeschrieben werden; es läge in seinem Belieben, wann er Wertpapiere kauft oder verkauft (BFH, Urteil vom 25.08.2009 -), womit der Steuerpflichtige nur von den vom Gesetzgeber vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch mache. Ebensowenig könne (wie das FA meinte) vom Steuerpflichtigen verlangt werden, die Wertpapiere in seinem Depot zu behalten, um sie irgendwann evtl. schlicht auszubuchen. Dies würde (unabhängig von der zivill- und steuerrechtlich nicht zu klärenden Problematik) die Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen unzulässig einschränken.

 

Aus den Gründen: 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26. Oktober 2016  2 K 12095/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

 

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung eines Verlusts im Rahmen einer (Antrags-)Veranlagung gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2013) geltenden Fassung (EStG).

 

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte in den Jahren 2009 und 2010 über die Sparkasse X 800 Inhaber-Stammaktien der G-SE zu Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 5.759,78 € erworben. Einen Teil dieser Aktien (auf die Anschaffungskosten in Höhe von 3.817,40 € entfielen) veräußerte er am 21. Oktober 2013 zu einem Gesamtverkaufspreis von 8 € an die Sparkasse X, wobei diese in gleicher Höhe Transaktionskosten einbehielt. Die restlichen Aktien (auf die Anschaffungskosten in Höhe von 1.942,38 € entfielen) veräußerte er am 20. Dezember 2013 zu einem Gesamtverkaufspreis von 6 € an die Sparkasse X, wobei diese wiederum Transaktionskosten in Höhe des Kaufpreises berechnete.

 

Die Sparkasse X buchte den Verlust in Höhe von insgesamt 5.759,78 € unter Verweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 9. Oktober 2012 IV C 1-S 2252/10/10013 (BStBl I 2012, 953, Rz 59), nunmehr ersetzt durch BMF-Schreiben vom 18. Januar 2016 IV C 1-S 2252/08/10004 (BStBl I 2016, 85, Rz 59), nicht in die sog. Verlustverrechnungstöpfe ein und stellte über den Verlust auch keine Bescheinigung aus.

 

In seiner Einkommensteuererklärung 2013 erklärte der Kläger den Verlust in Höhe von 5.759,78 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und stellte u.a. den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 EStG. Daneben gab er positive Kapitalerträge in Höhe von 9.541 € an, davon entfielen 6.839 € auf Gewinne aus Aktienveräußerungen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Verluste im Einkommensteuerbescheid 2013 vom 22. Oktober 2014 wegen der fehlenden Steuerbescheinigung nicht.

 

Den Einspruch des Klägers wies das FA mit der Begründung, es liege keine Veräußerung vor, weil der Veräußerungspreis die Transaktionskosten nicht übersteige (BMF-Schreiben in BStBl I 2012, 953), als unbegründet zurück. Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 132 veröffentlichten Urteil vom 26. Oktober 2016  2 K 12095/15 statt.

 

Hiergegen wendet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, der das BMF beigetreten ist. Sie tragen im Wesentlichen vor, es liege ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO) vor. Für den Kläger habe der einzige Zweck beim Aktienverkauf gegen einen nur symbolischen, nicht dem realen Wert entsprechenden Kaufpreis darin bestanden, in den Genuss einer Steuerminderung zu kommen. Faktisch hätten die Vertragsparteien einen Veräußerungspreis von 0 € vereinbart. Dieses wirtschaftliche Ergebnis habe der Kläger auch erzielen können, wenn er die Aktien in seinem Depot belassen hätte. Die Papiere wären dann wegen ihrer Wertlosigkeit aus seinem Depot schlicht ausgebucht worden. Die Ausbuchung stelle aber weder eine Veräußerung i.S. von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG dar noch liege einer der Ersatztatbestände des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG vor; jedenfalls wäre der Verlust in diesem Fall nicht bereits im Streitjahr angefallen.

 

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Das BMF hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

 

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

 

1. Das FG ist zu Recht von einem steuerlich anzuerkennenden Verlust gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG ausgegangen, der aufgrund des Antrags des Klägers im Rahmen der (Antrags-)Veranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG mit Gewinnen des Klägers aus Aktienveräußerungen zu verrechnen ist (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG).

 

a) Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn --ein Veräußerungsverlust-- erfasst (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Januar 2016 IX R 48/14, BFHE 252, 423, BStBl II 2016, 456, Rz 18, a.E.).

 

Eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist die entgeltliche Übertragung des --zumindest wirtschaftlichen-- Eigentums auf einen Dritten (vgl. nur BFH-Urteil vom 12. Mai 2015 IX R 57/13, BFH/NV 2015, 1364, Rz 15; Senatsurteil vom 24. Oktober 2017 VIII R 13/15, BFHE 259, 535, Rz 15; Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 351; Buge in Herrmann/Heuer/ Raupach --HHR--, § 20 EStG Rz 422). Eine entgeltliche Anteilsübertragung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn wertlose Anteile zwischen fremden Dritten ohne Gegenleistung (BFH-Urteile vom 1. Oktober 2014 IX R 13/13, BFH/NV 2015, 198, Rz 15; vom 12. Mai 2015 IX R 57/13, BFH/NV 2015, 1364, Rz 15, und Senatsurteil in BFHE 259, 535, Rz 17) oder gegen einen lediglich symbolischen Kaufpreis (BFH-Urteil vom 6. April 2011 IX R 61/10, BFHE 233, 446, BStBl II 2012, 8, Rz 13) übertragen werden.

 

Weitere Tatbestandsmerkmale als den entgeltlichen Rechtsträgerwechsel stellt das Gesetz nicht auf (Niedersächsisches FG, Urteil vom 21. Mai 2014  2 K 309/13, EFG 2014, 1584). Die Erfüllung des Tatbestands der Veräußerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist daher insbesondere weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig (entgegen BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85, Rz 59; vgl. auch Jansen, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2016, 2729, 2732; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 422; Geurts in Bordewin/Brandt, § 20 EStG Rz 740; Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 353a; Knoblauch, DStR 2013, 798, 800).

 

b) Nach den bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger die Anteile an der G-SE im Streitjahr gegen einen Kaufpreis von 8 € bzw. 6 € --und damit entgeltlich-- auf einen Dritten übertragen. Es liegen deshalb Veräußerungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG vor, was auch das FA und das BMF im Revisionsverfahren nicht mehr in Abrede gestellt haben.

 

c) Der nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu ermittelnde Verlust aus den Veräußerungsgeschäften beträgt unstreitig insgesamt 5.759,78 €.

 

2. Entgegen der Auffassung des FA und des BMF liegt kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vor.

 

a) Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO ist gegeben, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt.

 

Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272, unter C.III., und BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, unter II.2.a). Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen (BFH-Urteil vom 19. Januar 2017 IV R 10/14, BFHE 256, 507, BStBl II 2017, 466, Rz 46) und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden (BFH-Urteil vom 22. Juni 2017 IV R 42/13, BFHE 259, 258, Rz 60). Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH-Urteile vom 8. März 2017 IX R 5/16, BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930, Rz 17, und in BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, unter II.2.a). Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden. Das ist z.B. der Fall, wenn durch mehrere Geschäfte, die sich wirtschaftlich gegenseitig neutralisieren, lediglich ein steuerlicher Vorteil erzielt werden soll oder wenn die Gestaltung in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung durch eine gegenläufige Gestaltung kompensiert wird und sich deshalb im Ergebnis lediglich als formale Maßnahme erweist (BFH-Urteil in BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930, Rz 17, m.w.N.).

 

b) Nach diesen Grundsätzen liegt hier kein Missbrauch i.S. des § 42 AO vor.

 

Der Kläger verfolgte das Ziel, sich von den nahezu wertlosen Wertpapieren durch Übertragung auf einen Dritten zu trennen. Dieses Ziel war (sinnvoll) nicht anders als durch eine Veräußerung zu erreichen. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG sieht die Veräußerung von Aktien ausdrücklich vor und unterwirft sie der Besteuerung. Der Kläger hat daher nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daran ändert sich nichts dadurch, dass ein Verlustgeschäft vorliegt, denn auch Veräußerungsverluste werden, wie ausgeführt (oben unter II.1.a), vom Anwendungsbereich des § 20 EStG erfasst.

 

Selbst wenn, wie das FA meint, wegen der Höhe der Transaktionskosten wirtschaftlich eine Veräußerung zum Preis von 0 € anzunehmen wäre, läge kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor. Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH stellte vielmehr auch diese Gestaltung ohne Weiteres --als Übertragung wertloser Anteile ohne Gegenleistung-- eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG dar (vgl. oben unter II.1.a). Die Argumente des FA, es liege ein wirtschaftlich sinnloses Geschäft vor, geht ebenfalls fehl. Das anzuerkennende wirtschaftliche Ziel des Klägers bestand in der Veräußerung der Aktien als solcher, unabhängig vom erzielbaren Ertrag. (Mutmaßliche) Vor- oder Nachteile des Erwerbers aus dem Veräußerungsgeschäft sind im Rahmen der vorliegenden Prüfung unerheblich.

 

Der Kläger durfte sich im Hinblick auf mögliche steuerliche Auswirkungen auch für die Veräußerung noch im Streitjahr entscheiden. Soweit das Steuergesetz an freie wirtschaftliche Dispositionen --hier Aktienveräußerungen-- anknüpft, liegt es in der Natur der Sache, dass der Steuerpflichtige den Zeitpunkt bzw. Zeitraum der Besteuerung bestimmen kann. Es steht grundsätzlich in seinem Belieben, ob, wann und mit welchem Ertrag er Wertpapiere erwirbt und wieder veräußert (vgl. BFH-Urteil vom 25. August 2009 IX R 55/07, BFH/NV 2010, 387, Rz 13). Auch dadurch macht der Steuerpflichtige lediglich von gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch, missbraucht diese aber nicht (vgl. BFH-Urteile vom 11. Oktober 2000 I R 99/96, BFHE 193, 330, BStBl II 2001, 22, unter II.1.g aa, und in BFH/NV 2010, 387, Rz 13).

 

Die vom FA angeführte alternative Handlungsmöglichkeit, die Wertpapiere nicht zu veräußern, sondern im Depot zu belassen, damit sie "dann" (irgendwann) "schlicht" ausgebucht würden, ignoriert das wirtschaftliche Ziel des Klägers, sich sofort von den Wertpapieren zu trennen, und kann daher nicht als "angemessene Gestaltung" nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO zum Vergleich herangezogen werden. Ungeachtet hier nicht zu klärender Fragen über die zivil- und steuerrechtliche Einordnung und die tatsächlichen Bedingungen einer Ausbuchung darf die Dispositionsfreiheit des Klägers nicht durch steuerliche Sanktionen derart eingeschränkt werden, dass er sich auf unbestimmte Zeit nicht von (lästig gewordenen) Aktien trennen kann.

 

3. Nach zutreffender Auffassung des FG steht die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG der Verlustverrechnung nicht entgegen. Diese Vorschrift, nach der Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden dürfen, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt, dient der Verhinderung eines doppelten Verlustabzugs. Eine solche Gefahr ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Sparkasse X ging aufgrund der veröffentlichten Auffassung der Finanzverwaltung davon aus, dass der erzielte Verlust einkommensteuerrechtlich unbeachtlich war. Es ist daher ausgeschlossen, dass der Verlust doppelt berücksichtigt wird. Es wäre reiner Formalismus, in diesem Fall für die Verlustverrechnung eine Bescheinigung i.S. des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu verlangen (Senatsurteile vom 20. Oktober 2016 VIII R 55/13, BFHE 256, 56, BStBl II 2017, 264, Rz 34; vom 9. Mai 2017 VIII R 54/14, BFHE 258, 111, BStBl II 2018, 262, Rz 28, und vom 29. August 2017 VIII R 23/15, BFHE 259, 336, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2018, 37, Rz 20).

 

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.