Verkehrsunfall: Missachtung des
Linksabbiegegebots und Kollision mit Spurwechsler
LG Saarbrücken, Urteil vom 02.11.2018
- 13 S 122/18 -
Kurze Inhaltsangabe:
Der streitbefangene Verkehrsunfall ereignete sich hinter einer ampelgesteuerten Kreuzung. Die Klägerin befuhr die rechte Fahrspur, von der aus nach den Richtpfeilen ein Weiterfahren geradeaus und
nach rechts erlaubt war, der Beklagte die linke Fahrspur, von der aus nach dem Richtungspfeil ein Weiterfahren nach Links erlaubt war. Hinter der Kreuzung (bei Geradeausfahrt) verliefen
zwei Fahrspuren, wobei die rechte der beiden Fahrspuren nach kurzer Strecke in die linke Fahrspur übergeleitet wurde.
Nachdem die Ampel auf Grün umgeschaltet hatte, fuhr die Klägerin geradeaus weiter um dann hinter der Kreuzung nach setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers auf die linke der dortigen zwei
Fahrspuren zu wechseln. Der Beklagte fuhr allerdings ebenfalls (entgegen der Richtungsmarkierung) auch geradeaus weiter und hinter der Kreuzung direkt auf die linke der zwei Fahrspuren. Bei dem
Spurwechsel der Klägerin kam es im hinteren linken Bereich des klägerischen PKW zu einer Kollision der Fahrzeuge.
Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landgericht nahm eine eigene Haftung der Klägerin mit 2/3, des Beklagten mit 1/3 an.
Es sei eine Haftungsabwägung vorzunehmen. Dabei müsse Berücksichtigung finden, dass sich die Klägerin bei dem Fahrspurwechsel hinter der Kreuzung nicht nach hinten vergewissert habe, dort keinen
Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass dem Beklagten ein Verstoß gegen § 41 StVO iVm. Zeichen 209, 297 (Pfeilmarkierungen) zur Last zu legen sei. Für ihn
sei danach lediglich von der linken Fahrspur aus ein Linksabbiegen erlaubt gewesen, keine Geradeausfahrt. Die Klägerin habe grundsätzlich auch davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte nach links
abbiegen würde und nicht geradeaus auf die linke Fahrspur weiterfahren würde (LG Gießen, Beschluss vom 09.10.2013 - 1 S 198/13 -). Entgegen der Annahme des Amtsgerichts käme es auch nicht darauf
an, dass wegen des zweispurigen Ausbaus im Bereich der Unfallstelle stets mit Verkehr auch auf der linken Fahrspur zu rechnen sei, da die Kreuzung mittels Ampelschaltung gesichert gewesen sei und
bei der Grünschaltung lediglich von der rechten Fahrspur aus Fahrzeuge in Geradeausfahrt auf die Fahrspuren hinter der Kreuzung zulässig gelangen konnten, weshalb hier die Klägerin nicht habe
damit rechnen müssen, dass sich im Bereich des Unfallstelle bereits ein Fahrzeug auf der linken Fahrspur befände. Damit habe die verbotswidrige Geradeausfahrt des Beklagten zu zeitlich und
örtlich zu dem Verkehrsunfall beigetragen.
Bei der Abwägung sei zu berücksichtigen, dass der Verstoß der Klägerin gegen die Rückschaupflicht vor dem Fahrspurwechsel schwer wiege. Zu Lasten des Beklagten sei aber zu berücksichtigen, dass
dieser die deutlich erkennbare Fahrbahnmarkierung missachtet habe. Das führe zu der Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin.
Aus den Gründen:
Tenor
1. Auf
die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11.07.2018 - 3 C 21/18 (07) abgeändert und die Beklagten werden unter Klageabweisung im Übrigen als Gesamtschuldner
verurteilt, an die Klägerin 1.092,95 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
25.11.2017, zu zahlen. Die Berufung im Übrigen wird zurückgewiesen.
2. Die
Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz tragen die Beklagten zu 33 % als Gesamtschuldner, zu 67 % die Klägerin. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 51 % von den Beklagten als
Gesamtschuldner und zu 49 % von der Klägerin getragen.
3. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die
Klägerin nimmt die Beklagten auf Ausgleich von Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich am 06.09.2017 in ... ereignete.
Dabei
befuhr die Klägerin mit ihrem Opel Astra (amtl. Kennz. ...) den „...-Weg“ auf der rechten Fahrspur aus ... kommend in Richtung .../Auffahrt zur BAB ... Der Beklagte zu 2) befuhr in gleicher
Richtung die linke Fahrspur dieser Straße mit einem in Belgien zugelassenen LKW (amtl. Kennz. ...). An der Kreuzung zur ... Straße mussten beide Fahrzeuge verkehrsbedingt an einer Ampel halten.
Die Markierung der Fahrbahnen erlaubt an dieser Stelle für die linke Fahrspur ein Abbiegen nach links, für die rechte Fahrspur eine Geradeausfahrt oder ein Abbiegen nach rechts (Zeichen 209,
297). Jenseits der Kreuzung wird die Auffahrt zur ... Brücke zweispurig geführt, wobei alsbald die rechte Fahrspur in die linke übergeleitet wird. Nachdem die Ampel grünes Licht zeigte, fuhr die
Klägerin entsprechend der Richtungsmarkierung geradeaus über die Kreuzung und sodann auf die rechte Fahrspur der Auffahrt. Auf Höhe der Einfahrt des unter der ... Brücke befindlichen Parkplatzes
setzte sie den Fahrtrichtungsanzeiger und lenkte ihr Fahrzeug auf den linken Fahrstreifen. Der Beklagte zu 2) fuhr entgegen der Richtungsmarkierung ebenfalls geradeaus über die Kreuzung und
sodann auf die linke der Fahrspuren. Als die Klägerin den Fahrstreifen wechselte, kam es zur Kollision, wodurch das klägerische Fahrzeug im Bereich des hinteren Radlaufs/Kotflügels der
Fahrerseite beschädigt wurde, der LKW an der Frontschürze.
Mit der
Klage hat die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 3.278,86 € (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert, Nutzungsausfall, Gutachterkosten und Unkostenpauschale) sowie vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 €, jeweils nebst Zinsen, begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Beklagte zu 2) habe den Unfall allein verschuldet.
Die
Beklagten sind der Klage entgegen getreten. Sie haben die alleinige Verantwortung für die Kollision in dem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel der Klägerin gesehen.
Das
Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird, hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die sich nunmehr
eine Mithaftung in Höhe von 25 % anrechnen lässt, im Übrigen aber ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Die Beklagten verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung.
II.
Die
zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg. Die der Berufungsentscheidung nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen
eine abweichende Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1. Das
Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch die Klägerin grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1, 2, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115
VVG, § 6 AuslPflVG - der Beklagte zu 1), der nach § 2 Abs. 1 b AuslPflVG an die Stelle des zuständigen
Versicherers getreten ist, haftet dabei grundsätzlich in gleicher Weise wie der Kfz-Haftpflichtversicherer eines Kraftfahrzeugs mit regelmäßigem Standort im Inland - einzustehen haben, weil die
Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis
im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies ist zutreffend und wird von der Berufung auch nicht in Zweifel gezogen.
2. Zu
Recht und von der Berufung ebenfalls nicht (mehr) beanstandet hat das Amtsgericht in die danach gebotene Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile
gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG einen der Klägerin zuzurechnenden Verstoß gegen § 7 Abs. 5
StVO eingestellt. Indem diese auf den linken Fahrstreifen wechselte, ohne Rückversicherung, ob sich dort ein Fahrzeug befand, versäumte sie es, eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer auszuschließen.
3. Mit
Erfolg wendet die Berufung allerdings ein, dass dem Beklagten zu 2) vorliegend ein Verstoß gegen § 41 StVO i.V.m. Zeichen 209, 297 (Pfeilmarkierung) als
unfallursächlich zur Last zu legen ist. Das aus der Fahrbahnmarkierung folgende Fahrtrichtungsgebot (vgl. BGH, Urteil vom 11.02.2014 - VI ZR 161/13, VersR 2014, 208; Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 41 StVO, Rn. 321), das auf der linken Fahrspur lediglich Linksabbiegen erlaubt, hat
der Zweitbeklagte durch das Geradeausfahren auf die Auffahrt zur ... Brücke missachtet. Die Klägerin durfte demgegenüber grundsätzlich davon ausgehen, dass der LKW die vorgegebene Fahrtrichtung
einhalten und nicht unter Verstoß gegen die Markierung geradeaus über die Kreuzung fahren würde (vgl. LG Gießen, Beschluss vom 09.10.2013 - 1 S 198/13, juris;
Lafontaine aaO). Allein der Umstand, dass die Auffahrt zur ... Brücke im Bereich der Unfallstelle zweispurig ist und daher grundsätzlich stets mit Verkehr auf der linken Fahrspur zu rechnen ist,
bedeutet nicht, wie die Erstrichterin meint, dass sich der Verkehrsverstoß des Zweitbeklagten vorliegend nicht unfallursächlich ausgewirkt hätte. Der Kreuzungsbereich zur ... Straße ist durch
eine Ampelschaltung geregelt. Diese verhindert i.d.R. gerade - von der Möglichkeit eines seitlichen Vorbeischiebens an vorausfahrenden Fahrzeugen abgesehen -, dass sich bei Grünlicht aus Richtung
„...-Weg“ andere Fahrzeuge auf der linken Fahrspur befinden. Dementsprechend hat sich die Missachtung der vorgegebenen Fahrtrichtung durch den Zweitbeklagten unfallursächlich ausgewirkt, weil er
sich zum Zeitpunkt der Kollision nicht auf Höhe der Parkplatzeinfahrt auf der linken Fahrspur hätte befinden dürfen, was zu dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen in engem räumlichen und
zeitlichen Zusammenhang mit dem entsprechenden Verkehrsverstoß beigetragen hat.
4.
Zutreffend macht die Berufung geltend, dass dieser Verkehrsverstoß im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2
StVG auch zu berücksichtigen ist. Zwar wiegt ein auf Seiten der Klägerin vorliegender Verstoß gegen die von § 7 Abs. 5 StVO gebotene äußerste
Sorgfalt regelmäßig schwer (vgl. Kammerurteil vom 30. Juni 2017 - 13 S 24/17 m.w.N.). Dies begründet allerdings unter den gegebenen Umständen nicht die Alleinhaftung der Klägerin. Denn zulasten
der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die missachteten Fahrbahnmarkierungen für den Zweitbeklagten deutlich erkennbar waren und er deshalb den Unfall unschwer hätte vermeiden können, wenn er
die den Umständen nach gebotene Sorgfalt beachtet hätte. Vor diesem Hintergrund trägt eine Haftungsbeteiligung der Beklagten von 1/3 dem Verursachungsbeitrag des Zweitbeklagten aus Sicht der
Kammer angemessen Rechnung.
Ausgehend von einem
Gesamtschadensbetrag von 3.278,86 € ergibt sich damit ein Schadensersatzanspruch der Klägerin von 1.092,95 €.
5.
Daneben kann die Klägerin nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von
1.092,95 € verlangen (BGH, Urteil vom 20.05.2014 - VI ZR 396/13, VersR 2014, 1100). Gemäß §§ 13, 14 RVG, Nrn.
2300, 7002, 7008 VV RVG stehen ihr eine 1,3 Geschäftsgebühr (vgl. BGH, Urteil vom 27.05.2014 - VI ZR 279/13, NZV
2014, 507 m.w.N.) in Höhe von 149,50 € zzgl. 20 € Kostenpauschale und 32,21 € MwSt. = 201,71 € zu.
Die
Entscheidung wegen der Zinsen folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB.
III.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist
nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).