Prozessrecht


Rechtzeitiger Befangenheitsantrag gegen Sachverständigen

OLG Bamberg, Beschluss vom 02.05.2016 – 4 W 38/16 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Das OLG Bamberg hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wann ein Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen zu stellen ist, damit er nicht als verspätet zurückgewiesen werden kann/muss (wie durch das Landgericht geschehen). Dabei hat der Senat die derzeitige rechtliche Situation aufgearbeitet und festgehalten:

 

Grundsätzlich ist ein Befangenheitsantrag binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen, § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO. Eine spätere Ablehnung kommt nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur in Betracht, wenn der Antragsteller geltend (und glaubhaft) macht, dass er ohne sein Verschulden an einer früheren Geltendmachung gehindert war. In diesen Fällen ist der Antrag entsprechend § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis des zu stellen.

 

Kommt es zur Anhörung des Sachverständigen und verhandelt danach die Partei zur Sache, verliert sie grundsätzlich ihr Ablehnungsrecht (in entsprechender Anwendung des § 43 ZPO). Allerdings könne dieses nicht schematisch negiert werden. Entscheidend sei auch hier darauf abzustellen, ob zu diesem Zeitpunkt der Partei der oder die Ablehnungsgründe bekannt sind. Beruht die Ablehnung auf einer Bezeichnung des Parteivortrages durch den Sachverständigen als „frech“, so dürfe nicht ohne Verlust eines möglichen Ablehnungsrechts verhandelt werden. Handelt es sich aber erst um später bekannt gewordene Umstände, würde es durch das rügelose Verhandeln noch nicht zum Verlust kommen.

 

Vorliegend hatte der Kläger den Sachverständigen nach dessen Gutachtenerstellung und Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 15.03.2016 mit Schriftsatz vom 24.03.2016 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Obwohl dies nach der Erstattung des Gutachtens und der Anhörung des Sachverständigen erfolgte, war hier die Frist gewahrt, da den Parteien im Anschluss an die Befragung des Sachverständigen eine Frist bis 05.04.2016 zur Stellungnahme zur Beweisaufnahme eingeräumt wurde. Damit erfolgte keine rügelose Einlassung und der Befangenheitsantrag wurde auch innerhalb der 2-Wochen-Frist gestellt.

 

 

Er war vorliegend in der Sache nach Auffassung des Senats nicht begründet. 

 

Aus den Gründen:

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 05.04.2016, Az. 11 O 544/15, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 38.722,50 € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger fordert vom Beklagten Schadensersatz nach einer ärztlichen Behandlung.

Der Kläger erlitt am 03.05.2013 einen Arbeitsunfall mit Verletzungen an der Wirbelsäule. Er wirft dem Beklagten vor, bei der Untersuchung eine Fraktur an der Lendenwirbelsäule fehlerhaft übersehen zu haben.

Das Landgericht beauftragte den Sachverständigen Dr. med. A. mit der Erstattung eines Gutachtens. Nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens vom 30.11.2015 wurde der Sachverständige am 15.03.2016 angehört. Im Anschluss an die Anhörung verhandelten die Parteien zur Sache. Ihnen wurde nachgelassen, bis spätestens 05.04.2016 zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24.03.2016, eingegangen am selben Tag, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er ist der Ansicht, die These des Sachverständigen, eine Indikation zur Operation habe auch am 03.05.2013 nicht vorgelegen, verstoße gegen Denkgesetze. Der Sachverständige habe sich im Termin in Widerspruch zu seinen schriftlichen Ausführungen gesetzt. Er habe mit seinen Ausführungen zur Frage der Erwerbsunfähigkeit seine Kompetenz überschritten. Fehlerhaft sei auch die Behauptung, man habe im Zentrum für operative Medizin (künftig: ZOM) in Würzburg ebenfalls keine Indikation zur Operation gesehen.

Das Landgericht Würzburg hat mit Beschluss vom 05.04.2016 das Ablehnungsgesuch des Klägers als unzulässig zurückgewiesen. Der Kläger habe in Kenntnis der Ablehnungsgründe einen Sachantrag gestellt, was gemäß § 43 ZPO zur Unzulässigkeit des nachfolgenden Gesuchs führe. Im Übrigen sei das Gesuch auch unbegründet.

Der hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde des Klägers vom 12.04.2016 hat das Landgericht nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO, auch gegen den das Gesuch als unzulässig zurückweisenden Beschluss (T/P-Reichold, ZPO, 36. Aufl., § 406, Rn. 11). Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Zwar ist entgegen der Auffassung des Landgerichts Würzburg das Ablehnungsgesuch nicht unzulässig. Es ist jedoch unbegründet.

1.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers ist zulässig. Es wurde insbesondere rechtzeitig erhoben, § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO.

a)

Gemäß § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO ist ein Ablehnungsantrag spätestens binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen. Eine spätere Ablehnung ist gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Nach einhelliger Auffassung ist in diesem Fall der Antrag entsprechend § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis von dem Ablehnungsgrund zu stellen (BGH, Beschluss vom 15.03.2005, VI ZB 74/04, Rn. 7 - juris = NJW 2005, 1869; BayObLG MDR 1995, 412, 413; Senat, Beschluss vom 12.08.2008, 4 W 38/08, Rn. 5 = VersR 2009, 1427, 1428; Zöller-Greger, ZPO, 31. Aufl., § 406, Rn. 11; T/P - Reichold, ZPO, § 406, Rn. 7; Stein/Jonas - Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 406, Rn. 49; Wieczorek/Schütze - Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 406, Rn. 39). Der Ablehnungsantrag ist innerhalb einer den Umständen des Einzelfalles angepassten Überlegungsfrist anzubringen (BGH a.a.O.).

Nach mittlerweile gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist bei der Prüfung, ob ein fristgerechtes Gesuch vorliegt, auch der Rechtsgedanke des § 43 ZPO zu berücksichtigen. Hieraus wird abgeleitet, dass eine Partei ihr Recht zur Ablehnung des Sachverständigen verliert, wenn sie nach Abschluss der Anhörung des Sachverständigen Sachanträge stellt, ohne die ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Ablehnungsgründe geltend zu machen (OLG Karlsruhe NJW 1958, 188; OLG Düsseldorf, MDR 1994, 620; OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.09.2012, 3 W 44/12, Rn. 1; OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2008, 5 W 58/08, Rn. 3; im Ergebnis ebenso OLG Naumburg, NJOZ 2011, 1192, 1193). Diese Auffassung hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden (Wieczorek/Schütze - Ahrens, a.a.O., Rn. 38; BeckOK ZPO/Scheuch, § 406, Rn. 29; Zöller-Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 43, Rn. 2; a.A. MüKo - Zimmermann, ZPO, 4. Aufl., § 406, Rn. 7), wobei zum Teil eine entsprechende Anwendung von § 43 ZPO nicht für erforderlich erachtet wird, um zu einem Verlust des Rügerechts zu gelangen (Stein/Jonas - Leipold a.a.O., Rn. 49; B/L/A/H, ZPO, 74. Aufl., § 406, Rn. 26 „rügeloses Verhandeln“).

b)

Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung an, dass bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsgesuchs nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO eine entsprechende Anwendung des § 43 ZPO geboten ist.

Dies führt allerdings nicht dazu, dass Ablehnungsgesuche nach rügelosem Verhandeln zur Sache schematisch als unzulässig zurückgewiesen werden dürfen. Denn umfasst von einem Verlust des Ablehnungsrechts sind lediglich die der Partei bekannten Ablehnungsgründe. Solche können gegeben sein, wenn sie sich auf das Verhalten des Gutachters beziehen (etwa abfällige Äußerungen über Einwendungen der Partei oder über andere Gutachter, vgl. OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2008, 5 W 58/08 - Bezeichnung von Parteivortrag als „frech") oder wenn Umstände über die Nähe des Sachverständigen zu einem Prozessbeteiligten bekannt werden. Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen ein Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung der Ausführungen des Sachverständigen zu erkennen ist. Dies betrifft etwa Fälle, in denen ein Sachverständiger sich zu Fragen außerhalb seines Fachgebiets äußert. Hier kann von einer Partei nicht erwartet werden, unmittelbar nach der Anhörung eine Entscheidung über eine Ablehnung des Sachverständigen zu treffen.

Es ist daher für jeden einzelnen Ablehnungsgrund zu prüfen, ob die Partei ihr Ablehnungsrecht dadurch verloren hat, dass sie sich nach der Anhörung des Sachverständigen rügelos zur Sache eingelassen hat. Ein Verlust des Rechts wird nur dann nicht gegeben sein, wenn die Partei Gründe geltend macht, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten erfordern.

c)

Im vorliegenden Fall hat der Kläger sein Ablehnungsgesuch auf den Inhalt der Ausführungen des Sachverständigen gestützt. Er rügt, einzelne Ausführungen verstießen gegen Denkgesetze und stünden im Widerspruch zum schriftlichen Gutachten. Daneben habe der Sachverständige seine Fachkompetenz überschritten und Vortrag fehlerhaft gewürdigt. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob diese Rügen überhaupt grundsätzlich geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Gleichwohl erfordert ihr Erkennen eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der mündlichen Äußerungen, dem schriftlichen Gutachten und dem vorliegenden Prozessstoff, die nicht in wenigen Minuten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bewerkstelligt werden kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Anspruch einer Partei auf einen unparteiischen Sachverständigen unmittelbarer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist und die Durchsetzung dieses Anspruchs nicht durch verfahrensrechtliche Hürden unangemessen erschwert werden darf (BGH, Beschluss vom 15.03.2005, VI ZB 74/04, Rn. 12).

Nachdem im vorliegenden Fall eine Frist zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme bis 05.04.2016 gesetzt worden war und das Ablehnungsgesuch bereits am 24.03.2016, also noch innerhalb von zwei Wochen nach der Anhörung des Sachverständigen, einging, kann von einer schuldhaften Verzögerung durch den Kläger nicht ausgegangen werden.

2.

Das Gesuch ist in der Sache jedoch unbegründet.

Eine Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen ist gemäß §§ 406 Abs. 1, 42 ZPO anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Erforderlich ist jedoch das Vorliegen objektiver Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, NJW-RR 2003, 1220, 1221).

Derartige Gründe sind hier nicht dargetan. Soweit der Kläger rügt, einzelne Ausführungen verstießen gegen Denkgesetze und stünden im Widerspruch zum schriftlichen Gutachten, geht es um die behauptete Mangelhaftigkeit des Gutachtens. Inhaltliche Mängel des Gutachtens oder mangelnde Sorgfalt begründen die Besorgnis der Befangenheit jedoch nicht, weil beides nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft (BGH, NJW 2005, 1869, 1870). Der mangelnden Sorgfalt oder Sachkunde sehen sich beide Parteien ausgesetzt (BGH a.a.O.). Anhaltspunkte für eine auffällige Häufung von Fehlern zum Nachteil des Klägers bestehen nicht.

Der Vorwurf, der Sachverständige habe es fehlerhaft als Tatsache dargestellt, dass auch im ZOM keine OP-Indikation gestellt worden sei, ist unbegründet. Denn laut Protokoll führte der Sachverständige aus, dort sei „offensichtlich“ eine Indikation nicht gesehen worden (S. 4 des Protokolls, letzter Absatz, Bl. 88 d.A.).

Auch die Rüge, der Sachverständige habe seine Kompetenzen überschritten, indem er sich im Termin zur Frage der Erwerbsunfähigkeit äußerte, führt nicht zum Erfolg des Ablehnungsgesuchs. Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, objektivierbare Funktionsstörungen als Folge der streitgegenständlichen Behandlung seien beim Kläger nicht festzustellen (S. 31 des Gutachtens, Bl. 81 d.A.). Wenn er dann im Termin auf Nachfrage angibt, eine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit aufgrund des streitgegenständlichen Befundes sei für ihn nicht nachvollziehbar, so liegt hierin keine Überschreitung seines Gutachtensauftrages. Die Antwort ist vielmehr unabhängig von der konkreten Tätigkeit des Klägers logische Folge der bereits im schriftlichen Gutachten getroffenen Feststellungen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens ist mit einem Drittel des Wertes des zugrunde liegenden Verfahrens zu bemessen (BGH, Beschluss vom 15.12.2003, II ZB 32/03, Rn. 6).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 Abs. 2 ZPO).