Schadensersatz


Verkehrssicherungspflicht: Sturz durch Aussparung bei gerade erneuerter Gehwegpflasterung

OLG Hamm, Urteil vom 01.03.2023 - I-11 U 73/22 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Klägerin stürzte auf einem Gehweg in N. und machte gegen die Gemeinde (der die Straßenbaulast gem. § 47 Abs. 1 StrWG NRW oblag) materielle sowie immaterielle Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§§ 9, 9a StrWG NRW) geltend, §§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB iVm. Art. 34 GG. Zu dem Sturz kam es infolge einer Auslassung in dem Gehwegpflaster bei der Erstellung desselben. Ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil führte nur zu einem teilweisen Erfolg, insoweit ein 50%-iges Mitverschulden berücksichtigt wurde. 

 

Das Landgericht habe die Aussparung im Gehwegpflaster ausgemessen und sah darin keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle. Dem schloss sich das Oberlandesgericht im Rahmen der Berufung nicht an. Die letzte vor einem Farbwechsel des Gehwegbelags von Grau auf Rötlich gelegene Aussparung  habe an zwei ihrer vier Seiten eine Tiefe von mehr als 2,5 cm aufgewiesen, an der parallel zum Gehweg  verlaufenden und zu dessen Seite hin gelegenen Seite habe die Aussparung an ihrem Ende eine Tiefe von 2,8 bis 2,9 cm und an ihrem anderen Ende eine Tiefe von 3,1 bis 3,2 cm gehabt. Die Breite und Länge der Aussparung habe knapp 20 x 20 cm betragen.

 

Da ein Kind als auch ein Erwachsener mit dem überwiegenden Teil des Fußes auf die parallel zum Gehweg verlaufenden Kante der Aussparung treten und wegen ihrer Tiefe von 3,1 bis 3,2 cm mit dem Fuß seitlich umknicken und dabei schwerwiegend verletzen könne, stelle eine derartige Aussparung (Vertiefung) eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar. Dem würden auch Entscheidungen des erkennenden Senats vom 17.06.2020 - I-11 U 108/18 - und des OLG vom 24.03.2013 - I-9 U 114/14 - nicht entgegenstehen, in denen einem Höhenversatz von bis zu etwa 3 cm in normalen Fußgängerbereichen ohne Ablenkungsmöglichkeit in der Regel kein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht zuerkannt wurde, da dieser Bereich vorliegend jedenfalls teilweise überschritten worden sei und zudem die Gefahrenstelle nicht durch Naturereignisse oder durch Eingriffe Dritter entstanden sei, sondern durch den Verkehrssicherungspflichtigen selbst, weshalb ein besonders strenger Maßstab an die Sicherungspflicht anzulegen sei (OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2009 - I-9 U 101/07 - mwN.). Die Aussparung sei bei den Arbeiten der durch die von der Beklagten beauftragten Firma verblieben, weshalb hier ein Höhenunterschied von 2,5 cm als abhilfebedürftige Gefahrenstelle zu bewerten sei.

 

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei diese Aussparung auch nicht deshalb hinnehmbar gewesen, da sich in der Gehrichtung der Klägerin noch weitere ähnlich aussehende Aussparungen befunden hätten. Eine Einschränkung der Verkehrssicherungspflicht für scharfkantige Höhenunterschiede im Gehwegbereich alleine wegen ihrer Erkennbarkeit käme nur bei Erkennbarkeit außergewöhnlich hoher Niveauunterschiede in Betracht, die auch bei einem beiläufigen Blick als für die Gehsicherheit gefährliche Unebenheit erkannt werden könnten. Die Kante müsste mithin in einer Größenordnung liegen, die bei normaler Sorgfalt (bei ebener Fläche nicht gezielt betrachtet) überhaupt nicht oder nicht als gefährliche Unebenheit erkannt würde (OLG Hamm, Urteil vom 17.06.2020 - I-11 U 108/19 -). Dies gelte auch für Löcher und sonstige Vertiefungen im Gehwegbereich. 

 

Solche Umstände vermochte das OLG nicht zu erkennen. Nach Zeugenaussagen soll es 16 Aussparungen in verschiedenen Tiefen gegeben haben, teilwiese auch nur mit 1,5 cm. Damit ließe sich nicht feststellen, dass die weiteren Aussparungen eine solche Tiefe aufgewiesen hätten, die die Klägerin mit beiläufigen Blick als ihre Gehsicherheit gefährdend hätten erkennen müssen. Nach einem Foto, welches ein Zeuge unmittelbar nach dem Vorfall aufgenommen habe, war zudem die streitbefangene, vom Landgericht vermessene Aussparung mit Laub gefüllt gewesen.

 

Der Beklagten sei es möglich und zumutbar gewesen, den Fußgängerverkehr durch Aufstellen von Schildern oder Warnbaken vor den Gefahren. Die von der vom Landgericht vermessenen Aussparung ausgingen, zu schützen oder zumindest zu warnen.

 

Die Beklagte sei ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen. Sie bzw. die von ihr beauftragte Firma hätte die Unfallgefahr der fraglichen  Stelle erkennen können und müssen. Die Beklagte entlaste auch nicht, dass die Aussparung nicht von ihr selbst, sondern von der von ihr beauftragten Firma geschaffen wurde, da sie die Arbeiten nach deren Beendigung unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit hätte kontrollieren und für eine Abhilfe, zumindest für eine Kennzeichnung hätte sorgen müssen.

 

Allerdings sei der Klägerin ein Mitverschulden (§ 254 BGB) anzulasten. In ihrer Gehrichtung hätten sich bereits vor der fraglichen Stelle einige Aussparungen befunden, die ihr (jedenfalls bei der zu fordernden Eigensorgfalt) nicht entgangen sein könnten. Trotz Laub seien die Aussparungen als solche als abgrenzbare Flächen in dem Gehwegpflaster deutlich zu erkennen gewesen. Auch wenn sich ihre Tiefe nicht habe feststellen lassen, hätte ein umsichtiger und auf seien eigene Sicherheit bedachter Gehwegbenutzer ihnen gerade deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt oder ihr Betreten vermieden.

 

 

Das Mitverschuldens sei aber nicht so gravierend, dass deshalb ein Ersatzanspruch entfalle. Das anspruchsausschließende Mitverschulden käme nur in Betracht, wenn dem Geschädigten der Vorwurf eines von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichneten Handelns gemacht werden müsse (BGH, Urteil vom 20.06.2013 - III ZR 326/12 -). Dafür müsse er sich z.B. sehenden Auges in eine für ihn gefährliche Situation begeben. Dieser Vorwurf könne hier der Klägerin nicht gemacht werden, da sie die Tiefe der Aussparung nicht habe erkennen können. Da sie aber den vorher gelegenen Vertiefungen keine Beachtung geschenkt habe, wiege ihr Mitverschuldensanteil nach Auffassung des OLG gleich schwer wie der der Beklagten.

 

Aus den Gründen:

 

 Tenor

 

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13.04.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 608,09 EUR sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.500,- EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.01.2021 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jegliche Schäden, die ihr in Zukunft aus dem Unfallgeschehen vom 28.10.2019 in N. entstehen werden, zu 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 77 % die Klägerin und zu 23 % die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

 

I.

 

(ohne Tatbestand gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)

 

II.

 

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Der Klägerin steht wegen des von ihr am 28.10.2019 in N. auf dem Gehweg der B.-straße erlittenen Sturzes aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG sowie §§ 9, 9a, 47 Abs. 1 StrWG NW gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 608,09 EUR sowie eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4.500,- EUR zu. Darüber hinaus ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin 50 % aller weiteren ihr zukünftig aus dem Unfallgeschehen entstehenden Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Im Einzelnen:

 

1.

 

Der Beklagte hat zum Unfallzeitpunkt für den neben dem Gebäude des Z.-Marktes gelegenen, entlang der B.-straße verlaufenden Gehweg, auf dem sich nach den vom Senat getroffenen Feststellungen am 28.10.2019 der Sturz der Klägerin ereignet hat, die Verkehrssicherungspflicht oblegen. Bei der B.-straße handelt es sich um eine im Gemeindegebiet der Beklagten gelegene, dem öffentlichen Verkehr gewidmete Gemeindestraße, wobei gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) StrWG NW auch der Gehweg zur öffentlichen Straße gehört. Als Träger der Straßenbaulast für Gemeindestraße (§ 47 Abs. 1 StrWG NW) ist die Beklagte damit gemäß § 9, 9a StrWG NW verpflichtet gewesen, den Gehweg in einem verkehrssicheren Zustand zu unterhalten, wobei ihr diese Pflicht gemäß § 9a Abs. 1 S. 2 StrWG NW als hoheitliche Aufgabe oblag. Dass die Beklagte die Verkehrssicherungspflicht für den Gehweg zum Unfallzeitpunkt auf die Firma U. GmbH & Co. KG, welcher den Gehweg erst zuvor neu hergestellt hatte, übertragen hatte, ist weder von der Beklagten geltend gemacht worden, noch sonst ersichtlich.

 

2.

 

Die Beklagte hat ihre Verkehrssicherungspflicht für den Gehweg dadurch in schuldhafter Weise verletzt, dass sie den Fußgängerverkehr nicht in geeigneter Weise von den Gefahren geschützt hat, die von der Aussparung in dem Gehwegpflaster ausgingen, die am 08.11.2021 vom Landgericht ausgemessen wurde und entgegen dessen Beurteilung zum Unfallzeitpunkt eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle darstellte.

 

Nach den vom Landgericht am 26.10.2021 vorgenommenen Messungen, deren Richtigkeit von keiner der beiden Parteien in der Berufungsinstanz in Frage gestellt wird, hat die letzte vor dem Farbwechsel des Gehwegbelages von Grau auf Rötlich gelegene Aussparung an zwei ihrer vier Seiten eine größere Tiefe als 2,5 cm aufgewiesen. An der parallel zum Gehweg verlaufenden und zu dessen Seite hin gelegenen Seite hat die Aussparung an ihrem einen Ende eine Tiefe von 2,8 bis 2,9 cm und an ihrem anderen Ende eine Tiefe von 3,1 bis 3,2 cm gehabt. Des Weiteren hat die Aussparung auch nach den Angaben der Beklagten eine Breite und Länge von knapp 20 cm x 20 cm gehabt.

 

Eine parallel zum Gehweg verlaufende scharfkantige Vertiefung von dieser Größe und Tiefe stellt eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar. Denn die Vertiefung ist so lang und breit, dass ein Kind, aber auch eine erwachsene Personen mit dem überwiegenden Teil des Fußes auf die parallel zum Gehweg verlaufenden Kante der Aussparung treten und wegen ihrer Tiefe von bis zu 3,1 bis 3,2 cm mit dem Fuß seitlich umknicken und sich dadurch schwerwiegend verletzen kann. Die von der Beklagten angeführten Entscheidungen des Senats vom 17.06.2020, I-11 U 108/19, und vom 24.03.2013, I-9 U 114/14, rechtfertigen insoweit keine abweichende Beurteilung. Soweit der Senat in ihnen ausgeführt hat, dass ein Höhenversatz von bis zu etwa 3 cm in normalen Fußgängerbereichen ohne Ablenkungsmöglichkeit im Regelfall noch keinen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht darstellt, ist dieser Bereich vorliegend jedenfalls teilweise überschritten gewesen. Abgesehen davon ist bei Gefahrstellen, die nicht durch Naturereignisse oder Eingriffe Dritter entstanden sind, sondern vom Verkehrssicherungspflichtigen selbst geschaffen wurden, ein besonders strenger Maßstab an die Sicherungspflicht anzulegen (OLG Hamm, Urteil vom 03.02. 2009, I-9 U 101/07 - Rz. 18 juris m.w.Nw.). Das gilt auch vorliegend. Denn die am Unfalltag im Gehwegpflaster vorhanden gewesenen Aussparungen sind nicht durch Naturgewalten oder Eingriffe Dritter entstanden, sondern waren im Auftrag der Beklagten von der Fa. U. GmbH & Co. KG hergestellt worden, weshalb bei ihnen jedenfalls Höhenunterschiede von mehr als 2,5 cm als abhilfebedürftige Gefahrenstellen zu bewerten sind.

 

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die vom Landgericht vermessene Aussparung auch nicht etwa deshalb vom Fußgängerverkehr noch hinzunehmen gewesen, weil sich in damaliger Gehrichtung der Klägerin gesehen vor dieser noch mehrere weitere ähnlich aussehende Aussparungen in dem Gehwegpflaster befanden. Eine Einschränkung der Verkehrssicherungspflicht für scharfkantige Höhenunterschiede im Gehwegbereich allein wegen ihrer Erkennbarkeit kommt allenfalls für außergewöhnlich hohe Niveauunterschiede in Betracht, die schon mit beiläufigem Blick als für die Gehsicherheit gefährliche Unebenheit erkannt werden können. Denn entscheidendes Kriterium für die Bildung eines Grenzwerts, ab dem Höhenunterschiede im Gehwegbereich vom Fußgängerverkehr nicht mehr hinzunehmen sind, ist, ob der Niveauunterschied im Gehwegbelag eine Größenordnung erreicht, die auch bei einem normal sorgfältigen Gehen Ursache eines Sturzes sein kann. Der Niveauunterschied muss sich in einer Größenordnung bewegen, bei der - extrem hohe Niveauunterschiede ausgenommen - eine solche Kante bei normaler Sorgfalt, die bei einem Begehen ebener Flächen nicht gezielt auf jeden Schritt gerichtet ist und auch nicht gerichtet zu sein braucht, häufig überhaupt nicht oder nicht als für die Gehsicherheit gefährliche Unebenheit erkannt wird (Senatsurteil vom 17.06.2020, I-11 U 108/19 - Rz. 6 juris). Entsprechendes gilt auch für im Gehwegbereich gelegene Löcher oder sonstige Vertiefungen. Auch diese müssen, damit sie allein schon wegen ihrer Sichtbarkeit nicht als abhilfebedürftige Gefahrenstellen zu bewerten sind, so beschaffen sein, dass sie vom Gehwegbenutzter bei normaler Sorgfalt bereits mit beiläufigem Blick ohne weiteres als für seine Gehsicherheit gefährliche Unebenheit erkannt werden können.

 

Das vermag der Senat vorliegend aber nicht festzustellen. Denn nach der erstinstanzlichen Aussage des von der Beklagten benannten Zeuge W. hatten die von ihm vermessenen 16 Aussparungen unterschiedliche Tiefen gehabt. Auf einem der von dem Zeugen W. zu dem Akten gereichten drei Lichtbildern ist sogar eine Aussparung mit einer Tiefe von nur knapp 1,5 cm zu sehen (Blatt 319 LG-Akten). Lichtbilder weiterer Aussparungen mit ähnlich geringer Tiefe finden sich auch in der vom Zeugen Y. zu den Akten gereichten Fotodokumentation (Bl. 317 LG-Akten). Danach vermag der Senat aber schon nicht festzustellen, dass die in der damaligen Gehrichtung der Klägerin vor der vom Landgericht vermessenen Aussparung gelegenen weiteren Aussparungen eine solche Tiefe aufgewiesen haben, dass die Klägerin diese selbst mit beiläufigen Blick als ihre Gehsicherheit gefährdende Unebenheiten hätte erkennen müssen.

 

Hinsichtlich der vom Landgericht vermessene Aussparung vermag der Senat dieses hingegen deshalb nicht festzustellen, weil aufgrund der Aussage des Zeugen Y. und des von ihm zu den Akten gereichten Lichtbildes auf Seite 2 seiner Fotodokumentation (Blatt 317 LG-Akten) zur Überzeugung des Senats feststeht, dass diese Aussparung zum Unfallzeitpunkt mit Laub gefüllt gewesen ist. Der Zeuge Y. hat auch bei seiner erneuten Vernehmung durch den Senat ausgesagt, dieses Lichtbild unmittelbar nach dem Unfallgeschehen aufgenommen zu haben. Auf Nachfrage des Senats, warum er gerade von dieser Aussparung das Lichtbild gemacht habe, hat der Zeuge erklärt, dass ihm möglicherweise schon unmittelbar nach dem Unfallgeschehen der dortige Farbwechsel in der Gehwegpflasterung aufgefallen sei, er dies aber nicht mit Sicherzeit sagen könne. Er habe damals aber keinen Zweifel daran gehabt, dass sich der Sturz der Klägerin in diesem Bereich ereignet habe. Er sei sich diesbezüglich auch heute noch ganz sicher, zumal die einzelnen Aussparungen immer ein ganzes Stück auseinander gelegen hätten.

 

Der Senat hält die Aussage des Zeugen Y. für glaubhaft. Für die Richtigkeit seiner Aussage spricht zunächst, dass die auf dem unteren Lichtbild auf Blatt 317 der LG-Akten zu sehende Aussparung erkennbar noch in dem Bereich des grau gehaltenen Gehwegpflasters liegt und das Lichtbild die Aussparung zeigt, bevor an ihr irgendwelche Messungen vorgenommen wurde. Zudem hat der Zeuge Y. freimütig eingeräumt, nicht mit Sicherheit sagen zu können, dass ihm schon unmittelbar nach dem Unfallgeschehen der Farbwechsel im Gehwegpflaster aufgefallen sei, was zeigt, dass der Zeuge durchaus um eine gewissenhafte Aussage bemüht gewesen ist. Wenn es dem Zeugen Y. darum gegangen wäre, der Klägerin mit einer Falschaussage unberechtigte Ansprüche zu verschaffen, wäre es für den Zeugen ein Leichtes gewesen, zu bekunden, sich mit Sicherheit daran erinnern zu können, dass ihm der Farbwechsel sogleich unmittelbar nach dem Unfallgeschehen aufgefallen sei. Darüber hinaus spricht aber auch für die Richtigkeit der Aussage des Zeugen Y., dass die Klägerin bereits mit ihrem vorprozessualen anwaltlichen Schreiben vom 27.11.2019 und damit noch vor den vom Zeugen Y. am 19.01.2020 vorgenommenen weiteren Messungen gegenüber dem GVV mitteilen ließ, dass sich die genaue Unfallstelle vom Z. kommend an erster Stelle innerhalb der grauen Pflasterung befinde. Dabei kann sie diese Information nur von dem Zeugen Y. erhalten haben, weil sie selbst nach ihren Angaben wegen der von ihr sofort verspürten starken Schmerzen keine eigene Erinnerung an den genauen Unfallort hatte. Soweit der Zeuge Y. den auf dem Foto rechts oben auf Seite 4 seiner Fotodokumentation zu sehenden und als Unfallstelle angegebenen Poller als "Poller 6 gezählt vom Eingang Z." bezeichnet hat, ist hierin kein Widerspruch zu seiner sonstigen Aussage zu sehen. Denn auch bei dem auf diesem Lichtbild zu sehenden Poller handelt es sich vom Eingang des Z.-Marktes aus gesehen um den ersten Poller innerhalb der grauen Pflasterung, was sich unschwer anhand des im unteren Bildbereich noch zu erkennenden Endes der rötlich gehaltenen Pflasterung erkennen lässt.

 

Der Beklagten war es auch möglich und zumutbar, den Fußgängerverkehr durch Aufstellen von Schildern oder Warnbaken vor den Gefahren, welche von der vom Landgericht ausgemessenen Aussparung ausgingen, zu schützen oder zumindest zu warnen.

 

3.

 

Die Beklagte hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht auch schuldhaft, nämlich zumindest fahrlässig verletzt. Denn bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte sie bzw. die für sie tätig gewordene Fa. U. GmbH & Co. KG die von der vom Landgericht vermessenen Aussparung ausgehende Unfallgefahr erkennen können und müssen. Dass die Vertiefung nicht von ihr sie selbst, sondern von der von ihr beauftragten Fa. U. GmbH & Co. KG geschaffen wurde, vermag die Beklagte nicht zu entlasten, weil die Beklagte die abgeschlossenen Arbeiten der Fa. U. GmbH & Co. KG unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit hätte kontrollieren und dann für eine Abhilfe bzw. zumindest Kennzeichnung der Gefahrenstelle hätte Sorge tragen müssen. Allein der Umstand, dass mit der Fa. U. GmbH & Co. KG ein Fachbetrieb beauftragt war, entbindet die Beklagte nicht von der im Hinblick auf die Verkehrssicherung gebotenen Kontrolle der Arbeiten dieses Betriebes.

 

4.

 

Die vom Landgericht vermessene Aussparung war auch für das streitgegenständliche Unfallgeschehen ursächlich. Zwar hat die Klägerin keinen unmittelbaren Beweis dafür erbringen können, dass sie gerade infolge der vom Landgericht vermessenen und als abhilfebedürftige Gefahrenstelle zu bewertenden Aussparung im Gehwegpflaster gestürzt ist. Denn weder die Klägerin noch der von ihr benannte Zeuge Y. haben während des eigentlichen Unfallgeschehens unmittelbare Beobachtungen dazu gemacht, wodurch der Sturz verursacht wurde. Jedoch steht aus den bereits vorstehend unter Ziffer 2 im Einzelnen dargelegten Gründen aufgrund der Aussage des Zeugen Y. zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin jedenfalls in unmittelbarer Nähe der vom Landgericht vermessenen und als abhilfebedürftige Gefahrenstelle zu bewertenden Aussparung im Gehwegpflaster gestürzt ist. Damit spricht aber zu Gunsten der Klägerin ein Anscheinsbeweis dafür, dass ihr Sturz gerade durch diese verursacht worden ist. Denn stürzt ein Fußgänger in unmittelbarer Nähe zu einer abhilfebedürftigen Gefahrenstelle, legt dieser Geschehensablauf nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises den Schluss nahe, dass die verkehrswidrige Gefahrenquelle Ursache des Sturzes gewesen ist (BGH, Urteil vom 02.06.2005, III ZR 358/04 - Rz. 7 juris).

 

5.

 

Die Klägerin muss sich allerdings ein anspruchsminderndes Mitverschulden in Höhe von 50 % am Zustandekommen des Verkehrsunfalls anrechnen lassen. Denn wie bereits ausgeführt, hatte es zum Unfallzeitpunkt in der damaligen Gehrichtung der Klägerin vor der vom Landgericht vermessenen Aussparung bereits mehrere ähnliche Aussparungen im Gehwegpflaster gegeben, die der Klägerin schlechterdings nicht alle entgangen können, jedenfalls aber von ihr bei Einhaltung der von ihr zu fordernden Eigensorgfalt hätten erkannt werden können. Dies gilt selbst dann, wenn sich in ihnen zum Unfallzeitpunkt in ähnlicher Weise Laub und Schmutz befunden haben sollte wie in der Aussparung auf dem unteren Lichtbild Blatt 313 LG-Akten. Denn wie das obere Lichtbild Blatt 313 der LG-Akten, das der Zeuge Y. nach seinem Bekunden noch am Unfalltag gefertigt hat, belegt, sind die Aussparungen gleichwohl als abgrenzbare Fläche in dem Gehwegpflaster deutlich zu erkennen gewesen. Auch wenn sich deren Tiefe wegen des in ihnen gesammelten Schmutzes und Laubes nicht sicher beurteilen ließ, so hätte doch ein umsichtiger und auf seine eigene Sicherheit bedachter Gehwegbenutzer ihnen gerade deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt oder ihr Betreten von vornherein vermieden. Dann wäre es aber nicht zu dem streitgegenständlichen Unfall gekommen.

 

Allerdings wiegt der der Klägerin anzulastenden Mitverschuldensvorwurf nicht so schwer, dass sie deshalb - wie die Beklagte meint - mit den von ihr geltend gemachten Ansprüchen gänzlich ausgeschlossen wäre. Denn ein anspruchsausschließendes Mitverschulden kommt nur in Betracht, wenn der Geschädigte sich den Vorwurf eines von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichneten Handelns gefallen lassen muss (BGH, Urteil vom 20.06.2013, III ZR 326/12 - Rz. 27 juris). Das ist etwa der Fall, wenn sich der Geschädigte sehenden Auges in eine für ihn gefährliche Situation begibt. Ein solcher Vorwurf kann der Klägerin vorliegend aber schon deshalb nicht gemacht werden, weil nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin sich vor dem Sturz zumindest der Möglichkeit, dass die mit Lauf und Schmutz verfüllte Aussparung eine Tiefe haben könnte, die ihre Gehsicherheit gefährden könnte, bewusst gewesen ist. Andererseits ist zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigten, dass sie den vor der Unfallstelle gelegenen weiteren Vertiefungen ganz offensichtlich keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hat, weshalb nach Auffassung des Senats ihr Mitverschuldensanteil gleich schwer wiegt wie der der Beklagten.

 

6.

 

Entsprechend kann die Klägerin von der Beklagten hälftigen Ersatz der ihr durch den streitgegenständlichen Unfall entstandenen materiellen Schäden verlangen, deren erstattungsfähige Höhe sich auf 1.216,17 EUR beläuft.

 

a)

 

Die mit der Klage geltend gemachten Aufwendungen für Heilmittel sind allein in Höhe von 701,13 EUR erstattungsfähig. Aufwendungen für die Schmerztherapie bei O. sind mit der Rechnung vom 29.09.2020 (Blatt 271 LG-Akten) allein in Höhe 55,38 EUR nachgewiesen. Dafür, dass durch die Untersuchung bei S. Kosten entstanden sind, hat die Klägerin keinen Nachweis erbracht. Im Übrigen sind die mit der Klage geltend gemachten Anwendungen mit den zu den Akten gereichten Belegen nachgewiesen. Die Quittung der Q. Apotheke vom 07.12.2010 (Bl. 254) beläuft sich zwar nur auf einen Endbetrag von 4,48 EUR. Jedoch ergibt sich aus der Quittung, dass die Klägerin am 07.12.2010 dort für insgesamt 14,43 EUR Heilmittel gekauft hat, für diese aber wegen einer Gutschrift über 9,95 EUR nur 4,48 EUR zahlten musste. Soweit die Beklagte pauschal die Erforderlichkeit der geltend gemachten Kosten bestritten und eingewandt hat, dass beispielsweise von der Klägerin nicht vorgetragen sei, inwiefern die mit der Rechnung der Heilpraktikerin H. berechnete Behandlung ihren Gesundheitszustand verbessert und die Unfallfolgen gelindert habe, reicht dies für ein wirksames Bestreiten des unfallbedingten Anfalls der Aufwendungen nicht aus. Dieses gilt auch für die in der Rechnung Heilpraktikerin H. vom 08.12.2019 im Einzelnen aufgeführten Behandlungsmaßnahmen, weil es für deren Erstattungsfähigkeit nicht darauf ankommt, zu welchen konkreten gesundheitlichen Verbesserung sie geführt haben, sondern ob die Klägerin sie für medizinisch indiziert halten durfte, was aber von der Beklagten nicht substantiiert in Abrede gestellt worden ist.

 

b)

 

Der der Klägerin unfallbedingt in den Monaten Dezember 2019 bis Mai 2020 erstandene Verdienstausfallschaden beläuft sich auf nur 515,04 EUR. Ausweislich der von ihr vorgelegten Gehaltsabrechnung für November 2019 und den darin angegebenen Jahreswerten hat die Klägerin in den Monaten Januar bis November 2019 nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 414,11 EUR erzielt. Davon sind aus dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung noch die von der Klägerin während der Krankheitszeit ersparten berufsbedingten Aufwendungen in Abzug zu bringen, wobei der Senat diese entsprechend den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beklagten pauschal mit 5 % bemisst. Ausgehend von dem sich damit ergebenen durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 393,41 EUR hätte die Klägerin ohne den Unfall in der Zeit von Dezember 2019 bis einschließlich Mai 2020 ein Nettoeinkommen in Höhe von insgesamt 2.360,46 EUR erzielt. Tatsächlich erhalten hat sie im Dezember 2019 nur ein Nettogehalt von 121,71 EUR und im Mai 2020 von 243,71 EUR. Ferner hat sie ausweislich des Schreibens der I. vom 13.04.2021 für die Zeit von 09.12.2019 bis 17.05.2020 ein tägliches Krankengeld von 9,25 EUR netto und damit Krankengeld in Höhe von insgesamt 1.480,- EUR netto erhalten. Damit ergibt sich ein unfallbedingter Verdienstausfallschaden in Höhe von insgesamt 515,04 EUR, den die Klägerin ebenfalls in Höhe von 50 % von der Beklagten ersetzt verlangen kann.

 

c)

 

Ein Anspruch auf Erstattung des von ihr an die Fa. F. gezahlten Betrages von 464,- EUR sowie auf Erstattung der mit 180,00 EUR angegebenen Fahrtkosten nach N. steht der Klägerin nicht zu. Die Klägerin kann diese Kosten nicht als fehlgeschlagene Aufwendungen geltend machen, weil sie nach ihren Angaben im Senatstermin den Urlaub nicht vorzeitig abgebrochen, sondern zu Ende geführt und damit die ihr von der Fa. F. berechneten Leistungen auch tatsächlich in Anspruch genommen hat. Deswegen sind auch die Kosten für die Fahrt nach N. nicht als fehlgeschlagen zu beurteilen. Dass die Klägerin infolge des streitgegenständlichen Unfalls ihren Urlaub nicht mehr wie geplant gestalten konnte und sie ihn deshalb für sich als vertan erlebt hat, vermag der Klägerin keinen Anspruch auf materiellen Schadensersatz zu begründen. Wird der Geschädigte - wie hier die Klägerin - durch eine Körperverletzung daran gehindert, einen geplanten Urlaub zu genießen, dann führt dies - soweit nicht darin zugleich eine Verletzung von Vertragspflichten liegt, die die Vermittlung oder Erbringung von Sach- und Dienstleistungen für die Urlaubsgestaltung betreffen - nicht zum Ersatz eines Vermögensschadens, sondern kann nur bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 11.01.1983, VI ZR 222/80 - Rz. 12 ff. juris).

 

7.

 

Für die von ihr infolge des streitgegenständlichen Unfalls erlittenen Verletzungen und Verletzungsfolgen sowie weiteren immateriellen Schäden kann die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4.500,- EUR beanspruchen.

 

Der Senat ist aufgrund der Aussage der Zeugen Y. sowie des von der Klägerin vorgelegten Untersuchungsberichts der Radiologie J. vom 07.11.2019 (Blatt 22 LG-Akten) davon überzeugt, dass die Klägerin infolge des streitgegenständlichen Unfalls eine Ruptur des Ligamentum fibulotalare anterior und zumindest eine deutliche Teilläsion des Ligamentum fibulokalkaneare, also einen Abriss eines Außenbandes des oberen Sprunggelenks sowie eine Gewebeschädigung eines weiteren Außenbandes des oberen Sprunggelenks, sowie eine mediale Kontusion mit Verdacht auf fissurale Läsion im Bereich des Talus, also eine Prellung und Gewerbeschädigung im Bereich des Übergangs des Unterschenkelknochens zum Fuß erlitten hat. Infolge dieser Verletzungen ist die Klägerin ausweislich des Schreiben der I. vom 13.04.2021 bis einschließlich zum 17.05.2020, mithin für einen Zeitraum von über 6 ½ Monaten arbeitsunfähig krank gewesen.

 

Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die Klägerin auch nach Wiedererlangung ihrer Arbeitsfähigkeit weiterhin an unfallbedingten Schmerzen gelitten hat und bei längerer starker Belastung ihres rechten Fußes auch noch heute leidet und es bei ihr zum Eintritt eines Dauerschaden in Gestalt einer Minderbeweglichkeit des rechten Fußgelenkes gekommen ist. Ausweislich des Berichts der C.-Klinik R. vom 17.08.2020 (Blatt 184 f. LG-Akten) wurden bei der dortigen Untersuchung noch eine ausgeprägte Druckschmerzhaftigkeit im Bereich des Ligamentum fibulotalare anterior und im Verlauf der Peronealsehne sowie im geringerem Umfang auch noch eine Druckschmerzhaftigkeit über dem Ligamentum deltoideum festgestellt. Ferner wurden anhand bereits am 20.02.2020 gefertigter MRT-Aufnahmen narbige Verwachsungen im Bereich des Ligamentum fibulotalare anterius sowie eine Flüssigkeitskollektion im Bereich der Peronealsehne diagnostiziert und danach der Grund für die von der Klägerin weiterhin beklagten Schmerzen in einer Peronealsehnenreizung des rechten Fußes nach stattgehabtem Distorsionstrauma gesehen. Bei ihrer Anhörung am 08.02.2023 hat die Klägerin für den Senat glaubhaft geschildert, auch heute noch gelegentlich unter Schmerzen zu leiden, insbesondere wenn sie den Fuß länger stark belastet. Außerdem sei eine teilweise Versteifung des Fußgelenks eingetreten, so dass auch eine gewisse Bewegungseinschränkung geblieben sei. Letzteres findet sich auch in dem von der Klägerin vorgelegten Befundbericht des K. vom 17.06.2021 (Blatt 281 f. LG-Akten) bestätigt, in dem sich die Diagnose chronischer Sprunggelenkschmerzen rechts nach Distorsionstrauma vom Oktober 2019 mit erheblicher Bewegungseinschränkung findet und als Lokalbefund eine deutliche Schwellung des oberen Gelenkabschnittes und eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit des Sprunggelenks sowie und eine aktuelle MdE mit 10 % angegeben wird.

 

Darüber hinaus ist bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach dem Unfallgeschehen ihre restliche Urlaubszeit bis zum 02.11.2019 nicht mehr wie geplant für sich gestalten konnte.

 

Anspruchsmindernd ist hingegen auch bei der Schmerzensgeldbemessung das der Klägerin zur Last fallende hälftige Mitverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls zu berücksichtigen.

 

Bei umfassender Würdigung aller vorgenannten Umstände erachtet der Senat danach auch im Vergleich zu von der Rechtsprechung in ähnlich gelagerten Fällen zuerkannten Schmerzensgeldbeträgen (vgl. etwa OLG Frankfurt vom 19.08.2009, 7 U 23/08) vorliegend mit Rücksicht auf den der Klägerin entstandenen Dauerschaden und die ihr verbliebene Schmerzproblematik ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.500,- EUR für Ausgleich der von ihr unfallbedingt erlittenen immateriellen Schäden für angemessen und ausreichend.

 

8.

 

Der der Klägerin zuerkannte Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 286 Abs. 1 S. 2 BGB. Auch für das ihr zuerkannte Schmerzensgeld kann die Klägerin nur die Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen verlangen. Denn es ist weder von der Klägerin vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich, dass sie die Beklagte vor Klageerhebung unter Fristsetzung zu der Zahlung eines bestimmten, bezifferten Schmerzensgeldbetrages aufgefordert hat. Mit den vorprozessualen Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 19.12.2019 und 11.06.2020 sowie dessen Erinnerungsschreiben vom 21.08.2020 wurde die Beklagte lediglich zum Anerkenntnis ihrer Haftung dem Grunde nach aufgefordert.

 

9.

 

Der Feststellungsantrag zu 2.) ist zulässig. Da vorliegend die Verletzung eines absoluten Rechts, nämlich der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit der Klägerin in Rede steht, reicht für die Zulässigkeit des Feststellungsantrages bereits die bloße Möglichkeit des Eintritts weiterer unfallbedingter materieller und immaterieller Schäden aus. Diese Möglichkeit kann vorliegend aber allein schon im Hinblick auf die nach dem fachärztlichen Befundbericht des K. vom 17.06.2021 bestehende Möglichkeit eines frühzeitigen Gelenksverschleißes und die insoweit bestehende ungünstige Prognose schlechterdings nicht verneint werden. Es ist aus heutiger Sicht auch nicht sicher abzusehen, welche konkreten weiteren immateriellen und materiellen Schäden der Klägerin aus einem solchen frühzeitigen Gelenkverschleiß noch entstehen könnten.

 

Aus den gleichen Erwägungen ist der Feststellungsantrag auch in der Sache begründet, allerdings nur mit der Maßgabe, dass die Beklagte der Klägerin wegen des ihr zur Last fallenden Mitverschuldens alle weiteren ihr zukünftig noch aus dem streitgegenständlichen Unfall entstehenden immateriellen und materiellen Schäden nur in Höhe von 50 % zu ersetzen hat.

 

10.

 

Der mit der Berufungsbegründungschrift vom 27.06.2022 angekündigte Berufungsantrag zu 3.) betreffend die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wurde von der Klägerin im Senatstermin am 09.02.2023 nicht gestellt, weshalb über ihn nicht mehr vom Senat zu entscheiden war.

 

III.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711, 713 ZPO.