Beschwerde gegen unanfechtbare Entscheidung und zugelassene
Rechtsbeschwerde
BGH, Beschluss vom 15.09.2022 - V
B 71/21 -
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) hatte einen Antrag in einem selbständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff ZPO) durch Einholung des schriftlichen Gutachtens eines vom Gericht zu
beauftragenden Sachverständigen gestellt, dem das Amtsgericht stattgab. Nach Durchführung des Orttermins teilte der Sachverständige mit, es sei noch eine Bauteilöffnung erforderlich, für die die
Parteien einen Handwerker beauftragen müssten, im Hinblick auf die Beantwortung des Beweisbeschlusses zu einem Innenbereich seien alle Feststellungen getroffen. Nachdem die Parteien erklärten,
keine Handwerker zu stellen, beschränkte das Amtsgericht das beweisverfahren auf den Innenbereich. Auf die Beschwerde der GdWE als Antragsteller hob das Landgericht diesen Beschluss auf und
verweis das Verfahren an das Amtsgericht zurück. Das Landgericht ließ gegen seinen Beschluss die Rechtsbeschwerde mit der Begründung zu, den Antragsgegnern müsse rechtliches Gehör gewährt werden
zu der Frage der Zulässigkeit der gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegten Beschwerde (welches es selbst bejahte). Die von den Antragsgegnern eingelegte Rechtsbeschwerde wurde vom BGH
als unzulässig abgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde sei nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt sei, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO oder sie vom Rechtsbeschwerdegericht zugelassen worden sei, § 574 Abs. 1 S. 1
Nr. 2 ZPO. Die hier einzig in Betracht kommende Alternative der Zulassung würde hier gleichwohl nicht zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde führen. Die Zulassung sei nämlich dann nicht
bindend, wenn die Beschwerde bereits nicht statthaft gewesen sei. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung könne nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden. Deshalb sei die
Rechtsbeschwerde auch dann unzulässig, wenn sie vom Beschwerdegericht gerade (wie hier) im Hinblick der Klärung der Zulässigkeit der Beschwerde zugelassen habe (BGH, Beschluss vom 13.09.2011 - VI
ZB 67/10 -).
Ein Beschluss, mit dem die Durch- oder Fortführung eines selbständigen Beweisverfahrens angeordnet würde, sei nicht anfechtbar, auch dann nicht, wenn sie vom Beschwerdegericht angeordnet würde.
Dies beruhe auf dem mit § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO verfolgten Beschleunigungsprinzip. Gleiches gelte für einen Beschluss, mit dem die Fortführung des Beweisverfahrens angeordnet würde.
Anmerkung:
Das Landgericht hätte bereits von Rechts wegen die von der GdWE eingelegte Beschwerde als unzulässig zurückweisen müssen. Da das Landgericht allerdings annahm, in diesem Fall sei die Beschwerde
ausnahmsweise zulässig, da es sich um einen deklaratorischen Beschluss handele, sei hier § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anzuwenden und die Rechtsbeschwerde zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der
Antragsgegner zuzulassen. Die Entscheidung des Landgerichts war mithin mit einem schwerwiegenden Rechtsfehler behaftet, der letztlich sogar einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (Art. 101
Abs. 1 S. 2 GG) insoweit darstellte, als die Entscheidung - ohne jegliche Beschwerdemöglichkeit - alleine dem Amtsgericht oblag und dessen Entscheidung rechtsbindend war. Da nun der BGH als
Rechtsbeschwerdegericht feststellte, dass die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss nicht zulässig war, konnte er natürlich nicht in der Sache über die inhaltliche Richtigkeit der
Entscheidung des Amts- bzw. Landgerichts befinden. Allerdings hatte er erkannt, dass auch das Landgericht in der Sache nicht hätte entscheiden dürfen, einerlei ob es die amtsgerichtliche
Entscheidung stützen wollte oder (wie hier) nicht. War das Landgericht prozessual nicht berufen, eine Entscheidung zu treffen, da eine Rechtsbindung bereits durch die Entscheidung des
Amtsgerichts eingetreten war, entschied ein hier dazu nicht berufener Richter. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 18.02.2020 - 1 BvR 1750/19 - für eine
die Verfassungsbeschwerde rechtfertigende Rüge der Verletzung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gefordert, dass das Fachgericht (hier Landgericht) die Gewährleistung aus Art.
101 Abs. 2 S. 1 verkannt habe oder maßgebliche Verfahrensnormen objektiv willkürlich angewandt wurden. In der vom BVerfG zu beurteilende Entscheidung hatte ein Landgericht eine bereists seit
Wochen zur Staatsanwaltschaft berufende Richterin an dieser mitgewirkt. Hierin sah das BVerfG einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter; entweder sei die Frage der Zuständigkeit übergangen
worden oder ein Ermessen für sich in Anspruch genommen, welches nach dem klaren Regelungen des Geschäftsverteilungsplan nicht bestanden habe. In beiden Fällen sei die Entscheidung fehlerhaft und
unvertretbar. Dies sei eine willkürliche fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsnormen.
Vorliegend hatte das Landgericht seine Annahme einer Zulässigkeit der Beschwerde begründet. Kann aber eine Willkürlichkeit alleine deshalb entfallen, da das Gericht eine mögliche Unzulässigkeit
der Beschwerde erkennt, diese aber aus einer Auslegung heraus meint verneinen zu können ? Wohl nicht. War aber damit, wie auch der BGH erkennt, letztlich das Landgericht nicht berechtigt über die
Beschwerde zu entscheiden, war zwar der BGH nach seiner ständigen Rechtsprechung gehindert, über die zugelassene Rechtsbeschwerde in der Sache zu entscheiden. Er hätte damit zwar nicht in der
Sache entscheiden können, aber über die Entscheidung des Landgerichts als Beschwerdegericht insgesamt und sie wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG aufheben können. Es kann dem Bürger
nicht zugemutet werden, nach einer zugelassenen Rechtsbeschwerde, die wegen eines Zulassungsmangels zum Landgericht unzulässig ist, nach Abweisung der Rechtsbeschwerde als unzulässig
Verfassungsbeschwerde einzulegen. Zudem hätte hier der BGH von der Erhebung der Gerichtsosten wegen Fehlbehandlung durch das Landgericht absehen können, § 21 GKG.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I - 36. Zivilkammer - vom 29. November 2021 wird auf Kosten der Antragsgegner als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Die Parteien bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Aufgrund eines Antrags des Antragstellers auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens hat das Amtsgericht im März
2020 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet. Gegenstand des Gutachtens ist unter anderem, ob in der Wohnung des Antragstellers Wasser eintritt und Probleme bei
der Regenwasserableitung vorhanden sind. Der beauftragte Sachverständige hat nach Durchführung eines Ortstermins mitgeteilt, dass für eine noch ausstehende Begutachtung des Dachrandes
Bauteilöffnungen erforderlich seien, für die durch die Parteien Handwerker beauftragt werden müssten; zur Beantwortung der Fragen des Beweisbeschlusses im Innenbereich seien hingegen alle
erforderlichen Feststellungen getroffen.
Nachdem die Parteien mitgeteilt hatten, keine Handwerker zu stellen, hat das Amtsgericht einen Beschluss erlassen, wonach das selbstständige Beweisverfahren nur noch für den Innenbereich
weitergeführt werde und im Übrigen beendet sei. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht den Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Durchführung des
selbstständigen Beweisverfahrens an das Amtsgericht zurückgegeben. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragsgegner mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der
Antragsteller beantragt.
II.
Das Beschwerdegericht erachtet die sofortige Beschwerde für zulässig. Zwar habe ein Beschluss, mit dem die Beendigung des selbstständigen Beweisverfahrens festgestellt werde, nur deklaratorische
und keine konstitutive Wirkung, weswegen eine hiergegen gerichtete Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich unzulässig sei. Allerdings könne der deklaratorische Beschluss
verhindern, dass einer Verfahrenspartei das ihr zustehende rechtliche Gehör gewährt werde. Daher sei gegen einen Beschluss, der die Beendigung eines selbstständigen Beweisverfahrens ganz oder
teilweise ausspreche, gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO eine sofortige Beschwerde zulässig. Der Begriff des weit zu fassenden rechtlichen Interesses im Sinne des § 485 Abs. 2
Satz 2 ZPO als Voraussetzung für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens würde entkernt, wenn der sofortigen Beschwerde in diesem Fall das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen
würde. Die sofortige Beschwerde sei auch begründet.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher unzulässig.
1. Eine Rechtsbeschwerde ist nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder das Beschwerdegericht sie in dem
angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Die erstgenannte Alternative liegt nicht vor. Die Statthaftigkeit ergibt sich auch nicht auf der
Grundlage der zweiten Alternative. Zwar hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zur Klärung der Frage, ob die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss, der das selbstständige
Beweisverfahren für beendet erkläre, zulässig sei, zugelassen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht ist aber für das Rechtsbeschwerdegericht nicht bindend, wenn die
Rechtsbeschwerde gegen die angefochtene Entscheidung bereits nicht statthaft ist. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden.
Die Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall auch dann unzulässig, wenn das Beschwerdegericht sie eigens zur Klärung der Zulässigkeitsfrage zugelassen hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 13.
September 2011 - VI ZB 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 5 mwN; vgl. auch Senat, Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 119/16, FGPrax 2017, 184 Rn. 11).
2. So liegt der Fall hier. Ein Beschluss, mit dem die Durch- oder Fortführung eines selbstständigen Beweisverfahrens angeordnet wird, ist nicht anfechtbar; dies gilt auch dann, wenn die
Anordnung durch das Beschwerdegericht erfolgt. Gemäß § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist vor dem Hintergrund des mit dem selbstständigen Beweisverfahren auch verfolgten Zwecks der
Prozessbeschleunigung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - VII ZB 23/03, MDR 2005, 227, 228) ein Beschluss, durch den dem Antrag im selbstständigen Beweisverfahren stattgegeben
wird, nicht anfechtbar. Dies begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (näher BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - VI ZB 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 6 ff.). Gleichermaßen ist ein
Beschluss, mit dem - wie hier - die Fortführung eines selbstständigen Beweisverfahrens angeordnet wird, unanfechtbar. Denn die Entscheidung, das selbstständige Beweisverfahren fortzusetzen, ist
mit der Entscheidung, dem Antrag auf Anordnung des selbstständigen Beweisverfahrens stattzugeben, vergleichbar (vgl. OLG Celle, IBR 2014, 1223; BeckOK ZPO/Kratz [1.7.2022], § 490 Rn. 5;
HK-ZPO/Kießling, 9. Aufl., § 490 Rn. 16). Die sich aus § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebende Unanfechtbarkeit gilt schließlich auch dann, wenn die Anordnung der Durch- oder
Fortführung des selbstständigen Beweisverfahrens - wie hier - durch das Beschwerdegericht erfolgt (vgl. zur Anordnung der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens BGH, Beschluss vom 13.
September 2011 - VI ZB 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 6).
3. Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts kann - anders als die Rechtsbeschwerde meint - aufgrund der Regelung des § 490 Abs. 2
Satz 2 ZPO im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geprüft werden. Daher kommt es auch auf die Frage, derentwegen das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, nicht an.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.