Schadensersatz


Verkehrssicherungspflicht und Stolperfalle Baumscheibe/-gitter

OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2019 - 7 U 128/18 -

Kurze Inhaltsangabe (mit kritischer Anmerkung):

 

Die Klägerin stürzte im Bereich eines im Innenhof einer Wohnanlage befindlichen Baumgitters, welches sich deutlich von der umliegenden Pflasterung abhob. On der Mitte des Gitters war jedoch kein Baum; diese war, was nicht erkennbar war, nicht mit Erde ausgefüllt und wies zwischen Gitter und Erde eine Differenz von 10cm auf, weshalb die Klägerin stürzte.

 

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Das OLG sah eine Haftung dem Grunde nach von 50% als gegeben an.  

 

Richtig habe allerdings das Landgericht die allgemeinen rechtlichen Voraussetzungen für die Begründung einer Verkehrssicherungspflicht und die im öffentlichen Straßenverkehr zu erwartenden Sicherungserwartungen von Fußgängern dargelegt. Allerdings würden diese Sicherungserwartungen grundsätzlich nur für Unebenheiten auf den eigentlichen Laufflächen von Gehwegen mit einheitlicher und durchgehender Pflasterung (OLG Hamm, Urteil vom 15.12.1999 - 11 U 101/00 -).  Die zum Schutz oder zur Bewässerung eines Baumes eine vom Gehwegbelag sich optische deutlich unterscheidbare Baumscheibe eingebracht, diene diese erkennbar nicht als Gehfläche für Fußgänger, auch wenn im Hinblick darauf zwei entgegenkommende Fußgänger nicht aneinander vorbei kommen würden. Damit würde ein Fußgänger, der doch über eine entsprechende Baumscheibe geht und wegen des Niveauunterschieds zwischen Pflasterung und Baumscheibe zu Fall kommt, regelmäßig auf eigene Gefahr handeln (Saarl. OLG, Urteil vom 14.01.2016 - 4 U 49/15 -).

 

Vorliegend unterscheide sich der Vorgang aber dadurch, dass die Klägerin nicht im Bereich Gehweg / Baumgitter wegen eines dortigen Niveauunterschieds gefallen, sondern wegen eines von ihr nicht mehr zu erwartenden Nieveauunterschieds zwischen dem Metallgitter und dem unverfüllten Erdloch in dessen Mitte, welches sich nach der Entfernung des Baums ausweislich von Lichtbildern den Eindruck einer einheitlich begehbaren Fläche gemacht habe. Die Warnfunktion durch einen Bau, der erkennbar mache, dass der Fußgänger rund um den Baum herum nicht mit einer durchweg sicheren Verkehrsfläche rechnen könne, sei entfallen. Allerdings läge, da der Unterscheid zwischen Gehwegbelag und Baumscheibe deutlich sei, eine Mithaftung der Geschädigten in Höhe von 50% vor, § 254 BGB.

 

 

Es erscheint allerdings nicht nachvollziehbar, weshalb bei einem Sturz bei Betreten der Baumscheibe durch einen Niveauunterschied zum Pflaster, auch wenn ein Baum dort nicht stehen  sollte, eine Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen nicht bestehen soll, sie aber nach einem gleichwohl erfolgten Betreten der Baumscheibe wegen einer (evtl. nicht erkennbaren)  Vertiefung in der Mitte (Erdloch) wieder aufleben soll und nur noch ein Mitverschulden bestehen soll, welches hier   gerade aus dem Bereich stammt, der im Falle eines Sturzes bei Betreten der Scheibe sogar einen Haftungsausschluss des Verkehrssicherungspflichtigen (in Ansehung der Sichtbarkeit der Scheibe als für eine Begehung durch Fußgänger nicht geeignet) begründe. 

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

1.       Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 29. Mai 2018 - 11 O 238/17 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt neu gefasst:

 

1.1.      Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 211,06 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2018 zu zahlen.

 

1.2.      Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 1.500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2018 zu zahlen.

 

1.3.      Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 50% alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 13.05.2017 noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist oder übergehen wird.

 

1.4.      Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 334,75 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2018 zu zahlen.

 

1.5.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

2.       Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

 

3. Die Klägerin trägt 64% der Kosten des Rechtsstreits, die Beklagte trägt 36% der Kosten.

 

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten geltend. Sie begehrt in der Hauptsache die Zahlung eines Schmerzensgeldes in einer Größenordnung von nicht unter EUR 5.000,00, materiellen Schadensersatz in Höhe von EUR 422,11 (im Wesentlichen Zuzahlungen, Fahrt- und Attestkosten, Haushaltshilfe) sowie Feststellung einer Ersatzpflicht künftiger materieller und immaterieller Schäden.

 

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Es hat eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte mit der Begründung verneint, dass die im Innenhof der Wohnanlage eingelassenen Pflanzinseln nicht dem Fußgängerverkehr gewidmet seien. Auch eine besondere Absicherung der Pflanzgrube sei nicht erforderlich gewesen, da demjenigen, der die Pflanzinsel entgegen ihrer Widmung dennoch betrete, eine erhöhte Sorgfalt und Aufmerksamkeit abzuverlangen sei. Bei Anwendung derselben habe die Klägerin einen Sturz vermeiden können, zumal sie aufgrund des Fehlens des Baumes jederzeit mit Unebenheiten in der für den Baum vorgesehen Öffnung habe rechnen müssen. Im Übrigen trete eine etwaige Haftung der Beklagten bei unterstellter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hinter dem weitaus überwiegenden Eigenverschulden der Klägerin vollständig zurück. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

 

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Antragstellung auf die Sitzungsniederschrift vom 17.01.2019 (II 93).

 

Der Senat hat die Klägerin ergänzend mündlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift vom 17.01.2019 (II 91-93) verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.

 

Die Beklagte hat der Klägerin wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB Schadensersatz zu leisten. Ihre Ersatzpflicht ist jedoch auf einen Anteil von 50% beschränkt, weil bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden der Klägerin mitgewirkt hat.

 

1. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie die mittig in den mit Metallgittern versehenen Pflanzinseln gelegenen Gruben nicht gesichert hat.

 

a) Zutreffend hat das Landgericht dabei die allgemeinen rechtlichen Voraussetzungen für die Begründung einer Verkehrssicherungspflicht und die im öffentlichen Straßenverkehr zu berücksichtigenden Sicherungserwartungen von Fußgängern dargelegt. Diese von ihm unter Ziffer 2.a. des Urteils wiedergegebenen Sicherungserwartungen von Fußgängern gelten allerdings grundsätzlich nur für Unebenheiten auf den eigentlichen Laufflächen von Gehwegen mit einheitlicher und durchgehender für den Fußgängerverkehr bestimmter Pflasterung (OLG Hamm, Urt. v. 15.12.1999 - 11 U 101/99 -, zitiert nach juris). Wird zur Bewässerung und zum Schutz eines Baumes in einer Fußgängerzone eine sogenannte Baumscheibe eingelassen, die sich optisch erkennbar von der Pflasterung abhebt, dient hingegen das Metallgitter der Baumscheibe erkennbar nicht als Gehfläche für Fußgänger (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 15.12.1999 - 11 U 101/99 -; OLG München, Beschl. v. 12.04.2012 - 1 U 210/12-, jeweils zitiert nach juris). Baumscheiben sind leicht erkennbar und bilden für den normalen aufmerksamen Verkehr keine Gefahr. Dies gilt besonders, wenn der Baum bereits gepflanzt ist (OLG Celle, VersR 1989, 157). Es ist regelmäßig nicht erforderlich, metallene Baumscheiben zu betreten, auch wenn ein Fußweg nicht so breit sein sollte, dass zwei sich begegnende Fußgänger nicht aneinander vorbeigehen können. Wenn ein Fußgänger auf eine solche Baumscheibe ausweicht und wegen des Niveauunterschiedes zwischen der Baumscheibe und der sie umgebenen Pflasterung zu Fall kommt, handelt er regelmäßig auf eigene Gefahr (LG Karlsruhe, Urt. v. 12.10.1993 - 7 O 459/93 - Saarl. OLG, Urt. V. 14.01.2016, - 4 U 49/15 -, jeweils zitiert nach juris).

 

b. Soweit das Landgericht in Anwendung dieser Maßstäbe eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten verneint hat, hat es die Gegebenheiten des vorliegenden Einzelfalles nicht hinreichend beachtet. Die Klägerin ist gerade nicht wegen eines Niveauunterschiedes zwischen dem Baumgitter und der das Gitter umgebenden Pflasterung zu Fall gekommen, sondern aufgrund eines mindestens 10 cm messenden Niveauunterschiedes zwischen dem Metallgitter und dem unverfüllten Erdloch in dessen Mitte. Mit einem derartigen Niveauunterschied musste die Klägerin jedoch nicht (mehr) rechnen, da die gepflasterte Fläche und die Gitterfläche nach Wegnahme des Baumes ausweislich der bei den Akten befindlichen Lichtbilder den Eindruck erwecken, als seien diese als einheitliche Fläche begehbar. Insoweit war die durch einen gepflanzten Baum gegebene Warnfunktion, dass ein Fußgänger um einen Baum herum nicht mit einer durchweg sicheren Verkehrsfläche rechnen kann, nicht (mehr) vorhanden.

 

2. Bei der Entstehung des Schadens hat jedoch ein Verschulden der Klägerin mitgewirkt (§ 254 BGB), welches der Senat mit 50% bewertet. Das Baumgitter hebt sich farblich sowie in Material und Struktur deutlich von den Pflastersteinen ab, sodass für den normalen Fußgänger erkennbar ist, dass sich dort kein üblicher Gehweg befindet. Betritt er diesen Bereich, hat er dabei besondere Sorgfalt walten zu lassen. Bei Anwendung dieser erforderlichen Sorgfalt hätte die Klägerin nach Überzeugung des Senats die Grube mit einem Durchmesser von immerhin mindestens 60 cm erkennen und dieser ausweichen können, zumal ihr die örtlichen Gegebenheiten und die vorherige Bepflanzung grundsätzlich bekannt waren.

 

3. Die Klägerin kann von der Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 1.500,00 verlangen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat der Senat im Wesentlichen die erlittene Verletzung selbst, deren operative Versorgung sowie die postoperativen Maßnahmen mit 12 Terminen Krankengymnastik berücksichtigt. Als gewichtig waren überdies die zunächst über eine Dauer von mindestens 2 Monaten noch bestehende Bewegungseinschränkungen und die noch heute bei alltäglicher Belastung zeitweise auftretenden Schmerzen zu bewerten. Die Klägerin hat insoweit glaubhaft angegeben, dass sie übliche Haushaltstätigkeiten, etwa staubsaugen und einkaufen, nur mit Schmerzen bewältigen kann und andere das Handgelenk belastende Tätigkeiten, wie etwa Plätzchen backen, wegen der hierbei auftretenden Schmerzen nicht mehr ausführt. Schließlich hat der Senat in seine Erwägungen eingestellt, dass die zur Primärversorgung eingesetzte Platte möglicherweise in einer weiteren Operation wieder entfernt werden muss. Schmerzensgeld mindernd war allerdings zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigungen der Klägerin auch darauf beruhen, dass diese an der Entstehung des Schadens ein hälftiges Mitverschulden trifft. Der Senat hält in der Gesamtwürdigung aller Umstände deshalb ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 1.500,00 für angemessen. Dieser Betrag ist auch mit denjenigen Beträgen, die in ähnlich gelagerten Fällen in der Rechtsprechung für angemessen erachtet worden, in etwa vergleichbar (vgl. Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2016, 34. Auflage, Nr. 1042 [EUR 1.151,00 Bruch rechte Hand; Verkehrssicherungspflichtverletzung und mitverschulden]; Nr. 1045 [EUR 1.594, Fraktur Mittelhandknochen, 5 Wochen AU und KG, 50% Mitverschulden]; Nr. 1050 [EUR 2.021, distale Radiusfraktur, später disloziert, Schiene und KG, Belastungseinschränkung; Verkehrssicherungspflichtverletzung und Mitverschulden].

 

4. Die Klägerin kann von der Beklagten Ersatz ihres materiellen Schadens in Höhe von EUR 211,06 (entsprechend 50% von EUR 422,11) verlangen. Soweit die Beklagten einen Schaden in Höhe von EUR 161,00 für einen „Service ergänzende Hilfe“ durch die Caritas vom 21.06. - 05.07.2017 (geltend gemacht als Haushaltshilfe) bestritten hat, ist der Senat nach Anhörung der Klägerin von der unfallbedingten Notwendigkeit einer derartigen Hilfe im Haushalt zeitlich auch noch nach Ablauf der Rezeptierung einer Haushaltshilfe überzeugt.

 

5. Der Feststellungsantrag ist zulässig und unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 50% auch begründet. Das Handgelenk der Klägerin ist nach wie vor durch eine Platte belastet, die - soweit diese die Klägerin behindert oder schmerzt - operativ entfernt werden muss. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung der Dres. med. F. und M. ist ferner die Entstehung einer Handgelenksarthrose als Spätschaden nicht ausgeschlossen (AH, AS. 5).

 

6. Die Klägerin kann von der Beklagten ferner Erstattung ihrer vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 334,75, berechnet aus einem Gegenstandswert von bis zu EUR 3.000,00 (hieraus die 1,3fache Geschäftsgebühr zzgl. Pauschale und Mwst.) verlangen.

 

7. Der Zinsausspruch folgt aus § 291 BGB.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.