Prozessrecht

Zulässigkeit des Feststellungsantrages auf (künftigen) Schadensersatz

KG, Urteil vom 16.04.2018 - 22 U 168/16 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Beklagten haben dem Kläger aufgrund eines Unfalls, bei dem der Kläger einen Bruch des Schulterblattes erlitt, vorgerichtlich ein Schmerzensgeld gezahlt und auch bestimmte materielle Schäden ersetzt. Mit seiner Klage erhob der Kläger, soweit im Berufungsrechtszug noch von Interesse, auch eine Feststellungsklage, mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung sämtlicher weiterer materiellen und zukünftigen immateriellen Schäden anstrebte. Das Landgericht hatte den über das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld hinausgehenden Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie den Feststellungsantrag, diesen wegen Fehlens eines Feststellungsinteresses als unzulässig,  abgewiesen. Die in Bezug auf die Abweisung des Feststellungsantrages eingelegte Berufung war erfolgreich.

 

Das KG führte aus, dass von einem ausreichenden Feststellungsinteresse auszugehen sei. Dieses sei anzunehmen, wenn dem subjektiven Recht hier auf Schadensersatz eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch drohe, dass der Beklagte es ernstlich bestreite und das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet sei, dieser Gefahr zu begegnen (BGH, Urteil vom 22.06.1977 - VIII ZR 5/76 -).

 

Zwar hätten vorliegend die Beklagten nicht ihre Verpflichtung bestritten, für den Schaden eintreten zu müssen. Allerdings hätten sie die Ansicht vertreten, über die bereits geleisteten Zahlungen hinaus keine Zahlungen erbringen zu müssen. Insoweit würde das Entstehen weiterer Schäden bestritten wie auch die Möglichkeit, dass sich für den Geschädigten aus seiner Verletzung weitere nachteilige Folgen ergeben könnten, die mit den erbrachten Zahlungen nicht abgedeckt wären und damit den Schadensersatzanspruch wieder aufleben lassen könnten. Damit sei ein Feststellungsurteil geeignet, die Verpflichtung zur Leistung festzulegen wie auch eine zu erwartende Einrede der Verjährung zu verhindern.

 

Auch soweit der Kläger bereits jetzt Schadensersatzansprüche zur Höhe geltend machen könne, wäre er (obwohl die Leistungsklage der Feststellungsklage vorgeht) nicht gehindert, hier die Feststellungsklage zu erheben. Bei einer nicht abgeschlossenen Schadensersatzentwicklung sei der Kläger nicht verpflichtet, alle bereits feststehenden Einzelansprüche mit der Leistungsklage geltend zu machen (BGH, Urteil vom 20.02.1986 - VII ZR 318/84 -).

 

Es sei vorliegend auch mit ausreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Eintritt von Folgeschäden auszugehen. Aus dem Arztbericht ergäbe sich, dass Dauerschäden aus dem Bruch des Schulterblattes nicht auszuschließen seien. Im übrigen sei das Schulterblatt Teil des Schultergelenks und bei Knochenverletzungen sei regelmäßig von Folgeschäden auszugehen (BGH , Urteil vom 19.03 1991 - VI ZR 199/90 -).

 

 

Auch käme es nicht darauf an, dass erstinstanzlich der Kläger nicht zum Feststellungsinteresse vorgetragen habe. Die Zurückweisung des Vortrages in 2. Instanz als neuer Vortrag nach § 531 ZPO komme nicht in Betracht, da die Norm hier nicht greife. Bei dem Feststellungsinteresse handele es sich um eine vom Gericht selbstätig zu prüfende Prozessvoraussetzung (BGH vom 11.10.1989 - IVa ZR 208/87 -).

 

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 4. August 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin, Az.: 41 O 210/15, teilweise abgeändert:

 

Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch für sämtliche materiellen sowie zukünftigen immateriellen Schäden, die durch das Unfallereignis vom 10. Juli 2014 auf der J. Chaussee in Berlin verursachten wurden oder künftig entstehen, einstandspflichtig sind.

 

Die Beklagten haben die Kosten der Berufung zu tragen. Von den Kosten erster Instanz hat der Kläger 9% und haben die Beklagten 91% zu tragen.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

 

(abgekürzt nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)

 

I .Die Berufung des Klägers, die nur noch auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Beklagten für sämtliche weiteren materiellen und zukünftigen immateriellen Schäden einzustehen haben, die durch das Unfallereignis vom 10. Juli 2014 verursacht wurden, ist nach § 511 Abs. 1 ZPO statthaft. Der Wert des Feststellungsantrags ist insoweit bereits in erster Instanz nachvollziehbar und von den Parteien nicht angegriffen mit 700 EUR angenommen worden, wobei dieser Wert auch für die Höhe der Rechtsmittelbeschwer nach § 2 ZPO anzunehmen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 - VII ZR 134/11 -, juris Rdn. 5). Sie ist auch im Übrigen zulässig. Mit der am 8. September 2016 eingegangenen Berufungsschrift ist nach § 517 ZPO am 8. September 2016 endende Berufungsfrist gewahrt. Die Berufung ist auch mit dem nach einer Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 7. November 2016 am 4. November 2016 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag fristgerecht begründet worden. Der Schriftsatz erfüllt auch die Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

 

II. Die Berufung ist auch erfolgreich. Dabei war der gestellte Antrag - wie im Tenor geschehen - entsprechend den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2018 klarzustellen. Die Verpflichtung zur Zahlung weiteren Schmerzensgeldes kann sich nur auf zukünftige Beeinträchtigungen beziehen kann. Denn mit der Abweisung des Antrags auf Zahlung eines Schmerzensgeldbetrages, der über den vorprozessual gezahlten Betrag von 8.000 EUR hinausgeht, durch das Landgericht sind alle derzeitigen und voraussehbaren Beeinträchtigung mit Rechtskraft berücksichtigt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 20. Januar 2015 - VI ZR 27/14 -, juris Rdn. 7;Urteil vom 07. Februar 1995 - VI ZR 201/94 -, juris Rdn. 13). In dieser Klarstellung liegt auch weder eine Klageänderung oder ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO, weil sie sich bereits durch Auslegung aus dem Vorbringen des Klägers ergibt.

 

1. Das Landgericht hat die auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von mindestens 7.000 EUR und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen und den weiter gestellten Feststellungsantrag wegen Fehlens des notwendigen Feststellungsinteresses als unzulässig angesehen. Denn zwischen den Parteien sei unstreitig, dass die Beklagte zu 2) als die Haftpflichtversicherung des von dem Beklagten zu 1) geführten KfZ für den Unfall vom 10. Juli 2014, bei dem der Beklagte zu 1) den auf einem Moped fahrenden Kläger touchiert hat und dieser bei dem Sturz gegen einen geparkten Lkw gerutscht ist, alleine einzustehen habe. Dann aber sei für die begehrte Feststellung kein Raum. Die Beklagte zu 2) habe auch - was unstreitig ist - vorgerichtlich bereits 8.000 EUR als Schmerzensgeld, 500 EUR wegen der Beschädigung von Kleidung und 880,72 EUR an vorgerichtlichen Anwaltskosten gezahlt und damit umfassend und abschließend entschädigt.

 

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts geht der Senat davon aus, dass die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung nach § 256 Abs. 1 ZPO vorliegen, so dass der Klage insoweit stattzugeben und die Entscheidung des Landgerichts auf die Berufung entsprechend abzuändern ist.

 

a) Die auf die Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage ist zulässig.

 

Wie das Landgericht zu Recht annimmt, besteht zwischen den Parteien ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Denn hierzu reicht ein Schuldverhältnis aus, nach dem die eine Partei der anderen zum Schadensersatz verpflichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1991 - VII ZR 245/90 -, juris Rdn. 8). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil der Beklagte zu 1) nach § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG und die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherung nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG für den Schaden einzustehen haben, der dem Kläger wegen des Unfalls vom 10. Juli 2014 entstanden ist. Aufgrund der Schilderungen der Parteien ist dabei auch davon auszugehen, dass selbst unter Berücksichtigung einer Betriebsgefahr des von dem Kläger geführten Mopeds nach den §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG eine Alleinhaftung der Beklagten gegeben ist.

 

Es ist aber auch von einem ausreichenden Feststellungsinteresse auszugehen. Das Feststellungsinteresse besteht, wenn dem subjektiven Recht des Klägers - hier dem Anspruch auf Schadensersatz - eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Beklagte es ernstlich bestreitet und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, dieser Gefahr zu begegnen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1977 - VIII ZR 5/76 -, BGHZ 69, 144-153 Rdn. 11; Urteil vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 351/08 -, juris Rdn. 12; BGH, Versäumnisurteil vom 16. September 2008 - VI ZR 244/07 -, juris Rdn. 19). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagten bestreiten zwar nicht ihre Verpflichtung, für den entstandenen Schaden einzustehen. Nach ihrer Auffassung sind sie aber, wie sich etwa aus der Klageerwiderungsschrift vom 19. Oktober 2015 ergibt, nicht zur Leistung weiteren Schadensersatzes verpflichtet, der über die bereits von der Beklagten zu 2) erbrachten Leistungen hinausgeht. Insoweit wird sowohl das Entstehen weiteren Schadens bestritten als auch die Möglichkeit, dass sich aus der Verletzung des Klägers weitere nachteilige Folgen ergeben, die den Schadensersatzanspruch wieder aufleben lassen könnten. Dann aber ist ein entsprechendes Feststellungsurteil geeignet nicht nur die Verpflichtung zur Leistung des Schadensersatzes festzulegen, sondern auch, eine zu erwartende Einrede der Verjährung zu verhindern, die ohne entsprechendes Urteil durchgreifen würde.

 

Der Kläger ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht zur Erhebung einer Leistungsklage verpflichtet, soweit er jetzt schon weiteren Schadensersatz begründen könnte. Denn der Kläger ist bei einer nicht abgeschlossenen Schadensersatzentwicklung nicht verpflichtet, alle bereits feststehenden Einzelansprüche mit der Leistungsklage geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1986 - VII ZR 318/84 -, juris Rdn. 13).

 

b) Die auf die Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage ist auch begründet.

 

Voraussetzung hierfür ist neben dem Vorliegen eines entsprechenden Rechtsverhältnisses, dass ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1992 - V ZR 230/91 -, BGHZ 120, 204-215 Rdn. 25; Urteil vom 26. September 1991 - VII ZR 245/90 -, juris Rdn. 9; Urteil vom 25. November 1977 - I ZR 30/76 -, juris Rdn. 17). An die Darlegung der für ein Feststellungsbegehren erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass spätere Schadensfolgen eintreten können, sind vor allem mit Rücksicht auf das Interesse des Klägers an einem Schutz vor der Verjährung seiner Ersatzansprüche stets maßvolle Anforderungen zu stellen. Es genügt, dass der Kläger die aus seiner Sicht bei verständiger Würdigung nicht eben fern liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch das Auftreten weiterer Folgeschäden aufzeigt (BGH, Urteil vom 19. März 1991 - VI ZR 199/90 -, juris Rdn. 10; Urteil vom 25. Januar 1972 - VI ZR 20/71; Urteil vom 30. Oktober 1973 - VI ZR 51/72). Davon ist aber bei Knochenverletzungen regelmäßig auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 1973 - VI ZR 4/72 - juris Rdn. 17/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. März 2012 - 7 U 104/11 -, juris Rdn. 32; OLG München, Urteil vom 24.11.2006, Az. 10 U 2555/06, juris Rdn. 27; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. März 2000 - 4 U 192/99 - 139 -, juris Rdn. 71; OLG Hamm, Urteil vom 18. Oktober 1994 - 9 U 90/94 -, juris Rdn. 12).

 

Danach ist hier eine ausreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Folgeschäden gegeben. Der Kläger hat einen Bruch des Schulterblattes erlitten, der durch Einbringung von Stützmaterial behandelt worden ist. Das Schulterblatt ist zudem Teil des Schultergelenks. Insoweit ergibt sich auch aus den von dem Kläger eingereichten Arztunterlagen, wie dem Bericht der behandelnden Orthopäden vom 24. Februar 2015, dass Dauerschäden nicht auszuschließen waren und eine Einwirkung der Unfallfolgen auf die Erwerbstätigkeit zu diesem Zeitpunkt nicht abschätzbar war. All dies lässt den Schluss zu, dass auch spätere Komplikationen oder Einschränkungen nicht ausgeschlossen werden können. Für die von den Beklagten angenommene uneingeschränkte Ausheilung ergeben sich demgegenüber keine Anhaltspunkte.

 

c) Soweit die Beklagten rügen, der Vortrag zum Vorliegen der Voraussetzungen einer zulässigen und begründeten Feststellungsklage sei erstmals in der Berufungsinstanz erfolgt und deshalb nicht zu berücksichtigen, greift dies nicht durch.

 

In Bezug auf das Feststellungsinteresse kommt eine Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO schon deshalb nicht in Betracht, weil dieses als nicht verzichtbare Prozessvoraussetzung durch das Gericht von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteil vom 08. Juli 1955 - I ZR 201/53 -, BGHZ 18, 98-107 Rdn. 29; Urteil vom 11. Oktober 1989 - IVa ZR 208/87 -, juris Rdn. 6). Im Übrigen sind die für die Begründetheit relevanten Tatsachen, wie die Unfallfolgen, bereits in erster Instanz vorgetragen worden. Dass der Kläger zu der Rechtsfrage des Vorliegens der Begründetheit seines Feststellungsantrags in erster Instanz keine Ausführungen gemacht hat, schadet nicht, weil es sich um eine Rechtsfrage handelt, zu der es von Seiten der Parteien keines Vortrags bedarf, so dass auch keine Verspätung eintreten kann.

 

III. Die Kostenentscheidung folgt für die Kosten der Berufung aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, für die Kosten der ersten Instanz aus § 92 Abs. 1 ZPO. Eine Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO scheidet aus. Die Vorschrift ist zwar auch dann anzuwenden, wenn der Kläger nur mit einem geringen Teil der von ihm geltend gemachten Anträge durchdringt. Hier werden aber besondere Kosten verursacht, weil der Wert des Feststellungsantrags zu einem Gebührensprung führt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 711, 713. Die Zulassung der Revision scheidet aus.