Sozialversicherung


Gesetzliche Unfallversicherung: Keine Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB bei Arbeitsunfall

BGH, Urteil vom 09.12.2021 - VII ZR 170/19 -

Der gesetzliche Unfallversicherungsträger (UT) im Falle eines Personenschadens des (pflicht-) versicherten Arbeitnehmers anlässlich eines Arbeits- oder Wegeunfalls eintrittspflichtig. Die Ansprüche, für die der UUT aufkommen muss, gehen bereits mit dem Unfallereignis auf den UT über, die dieser gegen den verantwortlichen Schädiger (unter Berücksichtigung eines evtl. Mitverschuldens des Arbeitnehmers) regressieren kann, § 110 SGB X. In Betracht kommen können dabei auch Ansprüche gegen den Arbeitgeber („Unternehmer“ nach dem Gesetzeswortlaut im SGB VII). Allerdings sind hier Besonderheiten zu berücksichtigen. So haftet der bei einem Arbeitsunfall gegenüber dem Arbeitnehmer nach § 104 Abs. 1 SGB VII nur bei Vorsatz; ein Forderungsübergang nach § 116 SGB X findet, soweit eine Haftung nicht besteht, nach § 116 SGB X nicht statt. Allerdings sieht § 107 Abs. 1 SGB VII vor, dass der Arbeitgeber dem UT dessen entstandene Aufwendungen (bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs) zu erstatten hat, wenn der als Versicherungsfall nach dem SGB VII einzustufende Unfall vom Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde.

 

In dem dem BGH zur Entscheidung über eine Revision vorliegenden Rechtsstreit hatte die Arbeitgeberin (Beklagte) zwei Personen (die ehemaligen Beklagten zu 3. und 5., tätig als Nachunternehmer) im Rahmen eines ihr erteilten Auftrags zur Dacheindeckung mit der Errichtung des benötigten Gerüsts beauftragt, welches fehlerhaft ohne Fangnetz und Bordbretter erstellt wurde. Der geschädigte Arbeitnehmer (ein Auszubildender der Beklagten) stürzte bei der Ausführung von Dachdeckerarbeiten vom Dach und zog sich schwere Verletzungen zu. Das Oberlandesgericht (OLG) hat unter Abänderung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts (LG) die Klage des UT gegen die Arbeitgeberin (Beklagte) (haftend neben den ehemaligen Beklagten zu 3. und 5.) dem Grunde für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Urteil gegen sie aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

 

Soweit das OLG als Anspruchsgrundlage § 116 SGB X nannte, verneinte der BGH diesen zutreffend unter Verweis auf § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII, da es sich weder um einen vorsätzlich begangenen Arbeitsunfall noch um einen Wegeunfall handelte.

 

Damit käme als Rückgriffsanspruch des klagenden UT lediglich nach §§ 110 Abs. 1, § 11 S. 1 SGB VII in Betracht. Die hierzu getroffenen Feststellungen des OLG hielt der BGH für eine Bejahung des Anspruchs nicht für ausreichend.

 

Die Haftung nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII für Personen, deren Haftung wie hier nach §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt sei, gehe bis zur Höhe des zivilrechtlichen Haftungsanspruchs nur auf den UT über, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätten. Gleiches gelte nach § 111 S. 1 SGB VII, wenn der Arbeitgeber durch ein Organ (z.B. den Geschäftsführer), Abwickler oder Liquidator einer juristischen Person, vertretungsberechtigten Gesellschafter (so bei einer OHG oder dem Komplementär einer KG) oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter des Unternehmers in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig den Versicherungsfall verursacht hätten. 

 

Es würde sich bei §§ 110, 111 SGB VII nicht um einen (wie in § 116 SGB X) übergeleiteten Schadensersatzanspruch, sondern um einen originären selbständigen Anspruch des UT privatrechtlicher Natur handeln. Er fordere Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Unternehmers (Arbeitgebers) oder qua gesetzlicher Zurechnung der in § 111 SGB VII benannten Personen. Offen ließ der BGH in diesem Zusammenhang, ob die (vergleichbar zu der zu § 31 BGB entwickelte Repräsentantenhaftung) Haftungszurechnung auch Personen umfasse, denen der Unternehmer bedeutsame wesensmäßige Funktionen zugewiesen hat und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführten (bejahend OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.03.2010 - 12 U 91/09 -). Jedenfalls würde § 111 S. 1 SGB VII nicht eine Zurechnung des Verschuldens von Personen begründen, die als Nachunternehmer von der juristischen Person (dem Arbeitgeber des Geschädigten) beauftragt seien.

 

Ein über § 111 S. 1 SGB VII hinausgehender Rückgriffsanspruch auf Dritte käme im Rahmen der Haftung nach § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe den Rückgriffsanspruch nach § 110 ff SGB VII besonders ausgestaltet und dabei von einer weitergehenden Zurechnungsnorm abgesehen, weshalb es sich verbiete, eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen nach anderen Vorschriften vorzunehmen. Dies begründe sich auch aus dem Regelungszweck der Normen, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen würden (BGH, Urteil vom 15.07.2008 - VI ZR 212/07 -) und am besonders zu missbilligendes Verhalten der durch die Haftungsbeschränkung gem. § §§ 104 ff SGB VII Begünstigte selbst oder (bei juristischen Personen) ihrer Organe anknüpfen würden.

 

Zudem sei auch § 278 BGB im Hinblick auf die Voraussetzung der Verschuldenszurechnung nicht erfüllt. Dies setze ein bereits bestehendes Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner voraus, aus dem sich die Verbindlichkeit ergebe (BGH, Urteil vom 07.03.1972 - VI ZR 158/70 -). Ein derartiges Schuldverhältnis würde aber zwischen dem gesetzlichen Unfallversicherer und dem Unternehmer vor dem Eintritt des Versicherungsfalls nicht bestehen. Die maßgebliche, eigenständige Rechtsbeziehung würde erst durch den Versicherungsfall entstehen.

 

 

Zu einer abschließenden Entscheidung gem. § 563 Abs. 3 ZPO sah sich der BGH gehindert. Das OLG müsse prüfen, ob der Beklagte zu 2 (Geschäftsführer der Beklagten zu 1.) in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht habe. Dies könne in einer verursachenden Handlung oder Unterlassung verursacht habe, ohne dass es sich um eine spezifische Tätigkeit im Rahmen der Vertretungsberechtigung handeln müsste. Entscheidend sei, ob er im Rahmen der  Bauleitung (die er nach den Feststellungen des OLG erbracht habe) grob fahrlässig gegenüber dem verletzten Arbeitnehmer bestehende vertragliche Schutzpflichten und Verkehrssicherungspflichten verletzte und hierdurch den Arbeitsunfall verursachte bzw. mitverursachte. 

 

 

 

Tenor

 

Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Teilzwischen- und Teilendurteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 11. Juli 2019 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 9. August 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1 erkannt worden ist.

 

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens und der Beschwerdeverfahren, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

 

Die Klägerin, ein gesetzlicher Unfallversicherer, nimmt bei den Beklagten Rückgriff aufgrund eines am 1. Juni 2010 erfolgten Arbeitsunfalls des bei ihr versicherten Zeugen D.. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind ausschließlich Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1.

 

Die Beklagte zu 1, ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin, war damit beauftragt, die Dacheindeckung auf mehreren Hallen in T. durch Trapezblechplatten zu ersetzen. Der zuständige Bauleiter der Beklagten zu 1 war der Beklagte zu 2, der zugleich deren Geschäftsführer ist. Die Beklagte zu 1 beauftragte die Beklagte zu 3 und diese ihrerseits die Beklagte zu 5 mit der Errichtung des zur Ausführung der Dachdeckerarbeiten erforderlichen Gerüsts. Das Gerüst wurde ohne Fangnetz und Bordbretter errichtet.

 

Der Zeuge D. war am Unfalltag als Auszubildender zum Dachdeckergesellen bei der Beklagten zu 1 beschäftigt. Er stürzte während der Ausführung der Dachdeckerarbeiten vom Dach, wobei die Einzelheiten des Unfallhergangs zwischen den Parteien streitig sind. Die Klägerin erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte in der Folgezeit Versicherungsleistungen an den Zeugen D., der sich bei dem Unfall schwere Verletzungen zugezogen hatte.

 

Das Landgericht hat die Klage gegen die Beklagten auf Ersatz der infolge des Arbeitsunfalls erbrachten Aufwendungen und Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Aufwendungen abgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht, soweit für die Revision von Bedeutung, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils den auf Zahlung gerichteten Klageanspruch gegen die Beklagte zu 1 - als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 3 und 5 - dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Weiter hat es festgestellt, dass die Beklagte zu 1 - als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 3 und 5 - verpflichtet ist, der Klägerin die Aufwendungen zu ersetzen, die dieser aus Anlass des Unfalls ihres Versicherten entstanden sind und zukünftig entstehen werden, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs ihres Versicherten gegen die Beklagte zu 1, der bestehen würde, wenn die Beklagte zu 1 nicht nach §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert wäre. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zu 1 ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Revision der Beklagten zu 1 führt zur Aufhebung des Berufungsurteils im tenorierten Umfang und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit für die Revision von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt:

 

Die Klägerin habe gegen die Beklagte zu 1 einen auf sie gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangenen Anspruch des Zeugen D. auf Ersatz der aus Anlass des Arbeitsunfalls erbrachten Aufwendungen gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Die Beklagte zu 5 habe das Gerüst entgegen den berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften (hier: § 8 BGV C22 Unfallverhütungsvorschrift "Bauarbeiten") nicht - wie bei einer Dachneigung von mehr als 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als drei Metern erforderlich - mit Fangnetzen oder Fanggittern zur Verhinderung eines Absturzes vom Dach versehen. Das Anbringen eines vierten Querholms habe keinen hinreichenden Ersatz für das Anbringen eines Fangnetzes oder Fanggitters dargestellt. Die Beklagte zu 5 habe die ausführenden Bauhandwerker damit nicht hinreichend gegen das Abstürzen vom Dach gesichert und dadurch ihre Vertragspflichten verletzt. Die Pflichtverletzung der Beklagten zu 5 müsse sich die Beklagte zu 1 nach § 278 BGB zurechnen lassen, da sie sich der Beklagten zu 5 als Erfüllungsgehilfin bei der Erstellung des Gerüsts bedient habe.

 

Hinsichtlich der Beklagten zu 1 sei überdies zu sehen, dass diese der Klägerin nur nach § 110 Abs. 1 SGB VII hafte. Nach dieser Vorschrift hafteten Personen, deren Haftung nach §§ 104 ff. SGB VII beschränkt sei, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen nur, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hätten. Die Beklagte zu 1 zähle als Arbeitgeberin des Zeugen D. zu den nach § 104 Abs. 1 SGB VII privilegierten Personen. Von einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls sei nicht auszugehen. Der Beklagten zu 1 sei aber grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da sie sich die Erstellung des Gerüsts in seiner tatsächlichen Ausgestaltung gemäß § 278 BGB zurechnen lassen müsse, indem sie den Auftrag zur Errichtung des Gerüsts für die Dacharbeiten an die Beklagte zu 3 und diese wiederum an die Beklagte zu 5 weitergegeben habe. Der Umstand, dass bei der Errichtung des Gerüsts nicht nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen worden seien, sondern von den in § 8 BGV C22 vorgeschriebenen, dem Schutz der Bauhandwerker vor tödlichen Gefahren dienenden Sicherungsvorkehrungen völlig abgesehen worden sei, rechtfertige den Schluss auf ein subjektiv gesteigertes Verschulden, welches zu dem objektiv groben Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten hinzutrete.

 

II.

 

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

 

Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 auf Ersatz der infolge des Arbeitsunfalls erbrachten Aufwendungen nicht bejaht werden.

 

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht kein gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klägerin übergegangener vertraglicher Anspruch des Zeugen D. gegen die Beklagte zu 1 auf Ersatz der infolge des Arbeitsunfalls erbrachten Aufwendungen gemäß § 618 Abs. 1, § 280 Abs. 1 BGB.

 

Ein solcher Anspruch des Zeugen D. gegen die Beklagte zu 1 scheidet - ebenso wie ein etwaiger Anspruch aus Delikt - jedenfalls gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII aus. Nach dieser Vorschrift sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Danach haftet die Beklagte zu 1 gegenüber dem Zeugen D. nicht. Die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII liegen vor. Der Zeuge D. ist im Rahmen seiner betrieblichen Tätigkeit als Auszubildender für die Beklagte zu 1 vom Dach gestürzt und hat sich hierdurch schwer verletzt. Der Unfall ist unstreitig als Arbeitsunfall anerkannt worden. Die Beklagte zu 1 gehört als Unternehmerin und Arbeitgeberin des Zeugen D. zu dem Personenkreis, zu dessen Gunsten die Haftungsbeschränkung gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII eingreift. Nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte zu 1 den Versicherungsfall auch weder vorsätzlich herbeigeführt noch hat es sich um einen Wegeunfall gehandelt.

 

2. Ein Rückgriffsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 aus eigenem Recht gemäß § 110 Abs. 1, § 111 Satz 1 SGB VII kann nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ebenfalls nicht bejaht werden.

 

a) Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haften Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs nur dann, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. § 111 Satz 1 SGB VII bestimmt weiter, dass die Vertretenen nach Maßgabe des § 110 SGB VII auch dann haften, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter der Unternehmer in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben.

 

aa) Bei dem Rückgriffsanspruch gemäß § 110 Abs. 1, § 111 Satz 1 SGB VII handelt es sich nicht um einen übergeleiteten Schadensersatzanspruch des Verletzten, sondern um einen originären, selbständigen Anspruch des Sozialversicherungsträgers, der privatrechtlicher Natur ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1973 - VI ZR 160/71, VersR 1973, 818, juris Rn. 31 zu der Vorgängerregelung der §§ 640, 641 RVO; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. November 2014 - VI ZR 47/13 Rn. 35, BGHZ 203, 224). Der Rückgriffsanspruch setzt voraus, dass der Unternehmer, dessen Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt ist, den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Handelt es sich bei dem Unternehmer um eine juristische Person, die durch ihre Organe handelt, ist der Rückgriffsanspruch gegen die juristische Person gegeben, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs den Versicherungsfall in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Vorschrift des § 111 Satz 1 SGB VII begründet damit eine Haftung der juristischen Person nach Maßgabe des § 110 SGB VII, indem dieser das Verschulden ihrer vertretungsberechtigten Organe zugerechnet wird (vgl. allgemein hierzu z.B. Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand: September 2020, § 111 Rn. 1, 9; BeckOK Sozialrecht/Stelljes, Stand: 1. Juni 2021, § 111 SGB VII Rn. 1). Dabei kann im Streitfall offen bleiben, inwieweit eine juristische Person nach dieser Vorschrift - vergleichbar mit der zu § 31 BGB entwickelten Repräsentantenhaftung - auch für sonstige Personen haftet, denen sie bedeutsame wesensmäßige Funktionen zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen hat und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben (dies bejahend z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 4. März 2010 - 12 U 91/09, BeckRS 2011, 23044). Denn jedenfalls findet nach § 111 Satz 1 SGB VII eine Zurechnung des Verschuldens von Personen, die als Nachunternehmer von der juristischen Person beauftragt wurden, nicht statt.

 

bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII eine - über § 111 Satz 1 SGB VII hinausgehende - Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, nach § 278 BGB nicht in Betracht.

 

Bereits Wortlaut und Systematik der §§ 110, 111 SGB VII zeigen, dass ein Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers gegen den Unternehmer nur bestehen soll, wenn dieser selbst oder durch eine in § 111 Satz 1 SGB VII genannte, in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen handelnde, vertretungsberechtigte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Der Gesetzgeber hat den Rückgriffsanspruch der Sozialversicherungsträger gemäß §§ 110 ff. SGB VII besonders ausgestaltet und dabei von einer weitergehenden Zurechnungsnorm abgesehen. Daher verbietet sich eine über § 111 SGB VII hinausgehende Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen nach anderen Vorschriften (vgl. im Ergebnis ebenso OLG Rostock, Urteil vom 18. Mai 2000 - 1 U 168/99, juris Rn. 50 a.E. zu der Vorgängerregelung der §§ 640, 641 RVO; Marschner, BB 1996, 2090, 2092). Hierfür spricht letztlich auch der Regelungszweck der Vorschriften, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen (vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - VI ZR 212/07 Rn. 31 m.w.N., NJW 2009, 681) und deshalb an ein besonders zu missbilligendes Verhalten der durch die Haftungsbeschränkung gemäß §§ 104 ff. SGB VII Begünstigten selbst oder - bei juristischen Personen - ihrer vertretungsberechtigten Organe anknüpfen.

 

Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen der Verschuldenszurechnung gemäß § 278 BGB nicht erfüllt. Denn eine nach § 278 BGB erfolgende Zurechnung des Verschuldens einer Person, deren sich der Schuldner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, setzt ein bereits bestehendes Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner voraus, aus dem sich die Verbindlichkeit ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 1972 - VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207, juris Rn. 14; RG, Urteil vom 9. Mai 1939 - VII 251/38, RGZ 160, 310, 314). Ein solches Schuldverhältnis zwischen dem gesetzlichen Unfallversicherer und dem Unternehmer besteht indes vor Eintritt des Versicherungsfalls nicht (vgl. Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand: September 2020, § 111 Rn. 1). Vielmehr entsteht die hier maßgebliche, eigenständige Rechtsbeziehung zwischen diesen Personen gemäß §§ 110 ff. SGB VII erst anlässlich des Versicherungsfalls.

 

b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht einen Rückgriffsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII rechtsfehlerhaft bejaht.

 

Denn das Berufungsgericht hat die Haftung der Beklagten zu 1 nach § 110 Abs. 1 SGB VII nicht darauf gestützt, dass der Beklagte zu 2 als ihr gemäß § 35 GmbHG vertretungsberechtigtes Organ den Arbeitsunfall grob fahrlässig im Rahmen der ihm zustehenden Verrichtungen herbeigeführt hat, § 111 Satz 1 SGB VII. Es hat den Anspruch vielmehr tragend allein damit begründet, dass es die als grob fahrlässig eingeordnete Errichtung des Gerüsts ohne Fangnetze oder Fanggitter durch die als Nach-Nachunternehmerin mit der Ausführung beauftragte Beklagte zu 5 der Beklagten zu 1 wie eigenes schuldhaftes Handeln nach § 278 BGB zugerechnet hat, weil die Beklagte zu 5 als deren Erfüllungsgehilfin anzusehen sei.

 

3. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten zu 1 entschieden worden ist.

 

Der Senat kann nicht gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Beklagte zu 2 als vertretungsberechtigtes Organ der Beklagten zu 1 in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht hat. Dabei genügt es, wenn die den Arbeitsunfall verursachende Handlung oder Unterlassung des Beklagten zu 2 in den ihm zugewiesenen Aufgabenbereich fällt; nicht erforderlich ist, dass es sich um eine spezifische Tätigkeit im Rahmen der Vertretungsberechtigung handelt (vgl. KassKomm/Ricke, 115. EL Juli 2021, SGB VII § 111 Rn. 5 a.E.; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. September 1971 - VI ZR 122/70, NJW 1972, 334, juris Rn. 18 zu § 31 BGB). Es wird daher entscheidend darauf ankommen, ob der Beklagte zu 2, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts für die Beklagte zu 1 die Bauleitung erbracht hat, im Rahmen seines Aufgabenbereichs grob fahrlässig gegenüber dem Zeugen D. bestehende vertragliche Schutzpflichten und Verkehrssicherungspflichten der Beklagten zu 1 verletzt und hierdurch den Arbeitsunfall (mit-)verursacht hat.

 

 

Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zu treffen.