Prozessrecht


WEG: Fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung und Voraussetzung für Wiedereinsetzung

BGH, Beschluss vom 22.10.2020 - V ZB 45/20 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Parteien waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft und stritten um die Nutzung einer Terrasse und die Pflicht zur Erstellung der Jahresabrechnung. In der Rechtsmittelbelehrung zum Urteil gab das Amtsgericht als zuständiges Berufungsgericht das LG Göttingen an, wohin der Beklagte seine Berufung gegen das Urteil auch richtete. Das LG Göttingen wies den Beklagten darauf hin, dass gem. § 72 Abs. 2 GVG zuständiges Berufungsgericht das LG Braunschweig sei. Hierauf beantragte der Beklagte die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Braunschweig. Dem kam das LG Göttingen nicht nach und verwarf die Berufung als unzulässig. Die dagegen vom Beklagten erhobene Rechtsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen.

 

Da tatsächlich nach der Zuständigkeitsbestimmung für Rechtsmittel in Wohnungseigentumssachen aufgrund der Zuordnung hier zum LG Braunschweig das LG Göttingen unzuständig war, hatte es die bei ihm eingelegte Berufung zutreffend als unzulässig verworfen. Der Umstand, dass die Einlegung auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung durch das Amtsgericht zurückzuführen war, ändert daran nichts. Denn auf diesen Umstand der fehlerhaften Belehrung hatte das LG Göttingen den Beklagten zutreffend vor der Zurückweisung der Berufung hingewiesen und ihm mitgeteilt, dass das LG Braunschwieg zuständig sei.

 

Fristwahrend könne eine Berufung bei Vorliegen von Streitigkeiten iSv. § 43 Nr. 1 – 6, 6 WEG (wie hier) nur bei dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 GVG vorgegeben Berufungsgericht eingelegt werden. Eine bei einem falschen Gericht eingelegte Berufung , die nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelange, könne nicht in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen werden mit der Folge, dass die Berufung von dem unzuständigen Gericht zu verwerfen sei. .

 

Eine Verweisung wäre nur in Ausnahmefällen möglich. Ein solcher würde angenommen, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit iSv. § 43 Nr. 1 – 4, 6 WEG vorliege, für bestimmte fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und man aus guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein könne. In einem solchen Fall könne einer Partei nicht zugemutet werden, zur Vermeidung eines unzulässigen Rechtsmittels vorsichtshalber sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht als auch dem Gericht des § 72 Abs. 2 GVG  das Rechtsmittel einzulegen. Diese Ausnahm habe hier aber nicht vorgelegen, da die Zuordnung als Streitigkeit iSv. § 43 Nr. 1 – 4, 6 WEG eindeutig und geklärt sei.

 

 

Auch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung durch das Amtsgericht führe nicht dazu, dass das Rechtsmittel fristwahrend bei dem funktional unzuständigen Gericht eingelegt werden könne. Zwar führe die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung auch bei einem Rechtsanwalt zu einem unverschuldeten Rechtsirrtum, der allerdings nur zur möglichen Wiedereinsetzung wegen schuldlos Fristversäumung führe, wenn er die Berufung bei dem nicht nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Gericht einlege. Damit würde die Berufungsfrist durch die Einlegung der Berufung bei dem unzuständigen Gericht nicht gewahrt. Dem unverschuldeten Rechtsirrtum würde dadurch Rechnung getragen, dass die Berufung verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  (§ 233 ZPO) behoben werden könne. Die Frist dafür beginne gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem das aufgrund fehlerhafter Rechtsmittebelehrung angerufene Gericht den Berufungsführer auf seine Unzuständigkeit verweise.

 

Aus den Grünen:

 

Tenor

 

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Göttingen - 1. Zivilkammer - vom 15. Mai 2020 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.

 

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt bis zu 5.000 €.

 

Gründe

 

I.

 

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie streiten über die Unterlassung der Nutzung einer Terrasse und über die Pflicht zur Erstellung von Jahresabrechnungen. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils des Amtsgerichts Duderstadt wird das Landgericht Göttingen als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Dorthin richtete der Beklagte seine Berufung. Nach einem Hinweis des Landgerichts Göttingen, dass zuständiges Berufungsgericht gemäß § 72 Abs. 2 GVG das Landgericht Braunschweig sei, hat der Beklagte die Verweisung dorthin beantragt. Das Landgericht Göttingen ist dem nicht nachgekommen und hat die Berufung des Beklagten durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Kläger beantragen.

 

II.

 

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Landgericht Braunschweig eingelegt worden sei. Eine bindende Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Berufungsgericht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO scheide in der Berufungsinstanz grundsätzlich aus. Eine Ausnahme habe der Bundesgerichtshof anerkannt, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG vorliege, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und man über deren Beantwortung mit guten Gründen streiten könne. Davon zu unterscheiden sei der Fall der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung. Durch die unrichtige Angabe des für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgerichts möge ein unverschuldeter Rechtsirrtum hervorgerufen worden sein, der eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist bei dem zuständigen Berufungsgericht rechtfertige. Einen Grund für eine Verweisung nach § 281 ZPO stelle dies aber nicht dar.

 

III.

 

Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die maßgeblichen rechtlichen Grundsätze sind geklärt. Das Berufungsgericht kommt auf deren Grundlage rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis, dass die Berufung unzulässig ist. Der Beklagte konnte die Berufung nicht fristwahrend bei dem Landgericht Göttingen einlegen. Dieses hat den Rechtsstreit daher zu Recht nicht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an das zuständige Landgericht Braunschweig verwiesen.

 

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass bei Vorliegen einer Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG die Berufung fristwahrend grundsätzlich nur bei dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 GVG vorgegebenen Berufungsgericht eingelegt werden kann. Eine bei dem falschen Berufungsgericht eingelegte Berufung, die nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelangt, kann daher auch nicht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an dieses Gericht verwiesen werden. Vielmehr ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 73/16, NJW-RR 2017, 525 Rn. 14; Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rn. 9). Um eine solche Streitigkeit geht es hier. Bei dem Streit zwischen Wohnungseigentümern über die Unterlassung der Nutzung einer Terrasse und über die Pflicht zur Erstellung von Jahresabrechnungen für die Wohnungseigentümergemeinschaft handelt es sich um Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 und Nr. 3 WEG, für die hier das Landgericht Braunschweig gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG zuständiges Berufungsgericht ist.

 

2. Allerdings kann die Berufungsfrist in Ausnahmefällen auch durch Anrufung des funktionell unzuständigen Berufungsgerichts gewahrt und in solchen Fällen der Rechtsstreit entsprechend § 281 ZPO auf Antrag an das zuständige Gericht verwiesen werden. Einen solchen Ausnahmefall hat der Senat angenommen, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann. Eine Partei könne es in einer solchen Konstellation nicht angesonnen werden, zur Meidung der Verwerfung ihres Rechtsmittels als unzulässig Berufung sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht einzulegen als auch bei dem des § 72 Abs. 2 GVG (Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 73/16, NJW-RR 2017, 525 Rn. 15; Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rn. 11; Beschluss vom 20. Februar 2014 - V ZB 116/13, NJW 2014, 1879 Rn. 15). Diese Voraussetzungen sind bei dem hier vorliegenden Streit um die Nutzung einer Terrasse und die Pflicht zur Erstellung von Jahresabrechnungen nicht erfüllt.

 

3. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde begründet die unrichtige Belehrung durch das erstinstanzliche Gericht über das nach § 72 Abs. 2 GVG zuständige Berufungsgericht keinen Ausnahmefall, in dem die Berufung fristwahrend bei dem funktionell unzuständigen Berufungsgericht eingelegt werden kann.

 

Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt ein Rechtsanwalt in aller Regel einem - zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumung führenden - unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt (Senat, Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 18/16, NJW 2017, 3002 Rn. 13; Beschluss vom 28. September 2017 - V ZB 109/16, NJW 2018, 164 Rn. 14). Der unverschuldete Rechtsirrtum führt aber nicht dazu, dass die bei dem funktionell unzuständigen Gericht eingelegte Berufung die Berufungsfrist wahrt und der Rechtsstreit auf Antrag in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das zuständige Gericht zu verweisen ist. Vielmehr wird dem unverschuldeten Rechtsirrtum dadurch Rechnung getragen, dass die mit der Berufungseinlegung bei dem unzuständigen Berufungsgericht entstandene Fristversäumnis durch erneute Berufungseinlegung bei dem zuständigen Gericht verbunden mit einem Antrag gemäß § 233 ZPO auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 18/16, NJW 2017, 3002 Rn. 11 ff.; Beschluss vom 28. September 2017 - V ZB 109/16, NJW 2018, 164 Rn. 11 ff.). Die Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 2 ZPO beginnt regelmäßig erst zu laufen, wenn das aufgrund der Rechtsmittelbelehrung angerufene Gericht auf seine Unzuständigkeit hinweist (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2020 - V ZR 17/19, NJW 2020, 1525 Rn. 17).

 

III.

 

 

             Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.