Reiserecht


Zur Unschädlichkeit verspätet geltend gemachter Schadensersatzansprüche und fehlender Fristsetzung zur Abhilfe

BGH, Urteil vom 03.07.2018 - X ZR 96/17 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Klägerin hatte mit der Beklagten einen Reisevertrag geschlossen. In den Beförderungsbedingungen der Beklagten war ausgeführt, dass der reisende bei nicht vertragsgemäßer Leistung Abhilfe verlangen könne und er daher verpflichtet wäre, alles ihm zumutbare zu tun, um zu einer Behebung der Störung beizutragen und einen evtl. Entstehenden Schaden gering zu halten bzw. zu vermeiden. Beanstandungen seien daher anzuzeigen.

 

Nach dem Reisevertrag sollte der Rückflug von  Antayla nach Frankfurt am 07.10.2014 um 20.05 erfolgen. Am Abreisetag wurde die Klägerin informiert, dass sich der Rückflug wegen eines technischen Problems auf 22.40 Uhr verschiebe und der neue Zielort Köln sei. Die tatsächliche Ankunftsverspätung in Frankfurt betrug rund 6,5 Stunden. In Ansehung der Ankündigung der Beklagten buchte die Klägerin einen Ersatzflug bei einer anderen Fluggesellschaft für denselben Abend nach Frankfurt. Die Mehrkosten des Fluges in Höhe von € 1.235,00 verlangte sie am 18.03.2015  von der Beklagten als Schadensersatz. Klage und Berufung blieben erfolglos.

 

Der BGH verurteilte die Beklagte auf die zugelassene Revision antragsgemäß. Die Erwägungen des Landgerichts seien in einem entscheidungserheblichen Punkt verfehlt.

 

Richtig habe das Landgericht erkannt, dass ein Reisemangel vorgelegen habe. Die Verschiebung der Abflugzeit um rund drei Stunden, die Ankunft an einem anderen Zielflughafen, der notwendige Bustransfer und die Folge des Zeitverlusts, der dazu führe, dass die Klägerin erst in den Morgenstunden des Folgetages zu Hause gewesen wäre, würden den Reisemangel begründen, da dies die Tauglichkeit der Reise zu dem gewöhnlichen Nutzen in ihrer Gesamtheit mindere.

 

Auch sei die landgerichtliche Entscheidung richtig, dass die Überschreitung der Monatsfrist zur Geltendmachung des Schadens hier unbeachtlich sei, da die Beklagte über diese Ausschlussfrist informierte und die widerlegbare Vermutung gilt, dass bei korrekter Information die Frist eingehalten worden wäre. Zwar habe die Beklagte in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auf diese Frist hingewiesen; dies genüge aber nicht den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Nr. 8 und Abs. 4 BGB-InfoV. Es hätte ein Hinweis in der Reisebestätigung erfolgen müssen; in einem Prospekt genüge der Hinweis nur dann den Anforderungen, wenn die einschlägige Fundstelle dort auch benannt würde.

 

Auch sei die Erforderlichkeit der Aufwendungen durch das Landgericht rechtfehlerfrei festgestellt worden.

 

 

Entgegen der Annahme des Landgerichts stünde hier aber dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, dass diese entgegen § 651c Abs.  3 Satz 1 BGB die Beklagte nicht unter Fristsetzung zur Abhilfe aufgefordert habe. Diesbezüglich habe es an einem ordnungsgemäßen Hinweis mit dem in § 6 Abs. 2 Nr. 7 BGB-InfoV ermangelt. Danach habe der Reiseveranstalter den Reisenden in der Reisebestätigung darauf hinzuweisen, dass er einen Mangel anzuzeigen habe und vor einer Kündigung des Reisevertrages grundsätzlich eine angemessene Frist zur Abhilfeleistung zu setzen habe. Dies geschah nicht; nur in den AGB sei pauschal darauf hingewiesen worden. Dies genüge den Anforderungen nicht. Damit könne die Beklagte nicht eine Pflichtverletzung der Beklagten wegen fehlenden Abhilfeverlangens und Fristsetzung geltend machen. Die notwendige Erkenntnismöglichkeit fehle dem Reisenden.

 

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Revision wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 1. August 2017 aufgehoben.

 

Auf die Berufung wird das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14. März 2016 abgeändert.

 

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.235 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. April 2015 zu zahlen.

 

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der beklagten Reiseveranstalterin Ersatz der Mehrkosten für einen Ersatzflug, den sie nach der Verschiebung des ursprünglich vorgesehenen Flugs in Eigenregie gebucht hat.

 

Die Klägerin buchte bei der Beklagten für sich, ihren Ehemann und ihre zwei Kinder für die Zeit vom 1. bis 7. Oktober 2014 eine Pauschalreise in die Türkei zu einem Gesamtpreis von 4.874 Euro.

 

Die Beförderungsbedingungen der Beklagten enthalten folgende Regelung:

 

"Wird die Reise nicht vertragsgemäß erbracht, so können Sie Abhilfe verlangen. Dazu bedarf es - unbeschadet der vorrangigen Leistungspflicht der [Beklagten] - Ihrer Mitwirkung. Deshalb sind Sie verpflichtet, alles Ihnen Zumutbare zu tun, um zu einer Behebung der Störung beizutragen und eventuell entstehenden Schaden möglichst gering zu halten oder ganz zu vermeiden. Sie sind insbesondere verpflichtet, Ihre Beanstandungen unverzüglich anzuzeigen. (...) Schicken Sie der [Beklagten] bitte erforderlichenfalls ein Fax (...) oder rufen Sie die [Beklagte] an unter (...)."

 

Der Rückflug von Antalya nach Frankfurt war für den 7. Oktober 2014 um 20:05 Uhr vorgesehen. Am Abreisetag wurde der Klägerin am Flughafen mitgeteilt, dass sich der Start aufgrund eines technischen Problems auf 22:40 Uhr verschiebe. Als neuer Zielort des Rückflugs wurde Köln angegeben; von dort wurde ein Bustransfer nach Frankfurt angeboten. Die tatsächliche Ankunftsverspätung in Frankfurt betrug rund 6 ½ Stunden.

 

Die Klägerin buchte auf die Ankündigung hin ohne weiteres bei einer anderen Fluggesellschaft einen Ersatzflug für denselben Abend nach Frankfurt.

 

Am 18. März 2015 meldete die Klägerin ihre Ersatzansprüche bei der Beklagten an. Sie begehrt Zahlung der durch den Ersatzflug entstandenen Mehrkosten in Höhe von 1.235 Euro.

 

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Die Beklagte war in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

Über die Revision der Klägerin ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat säumig war und die Revision begründet ist. Ungeachtet der Säumnis beruht das Urteil auf einer vollständigen rechtlichen Nachprüfung (vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2015 - X ZR 170/12GRUR 2016, 630 Rn. 9 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II [insoweit nicht in BGHZ 208, 119]).

 

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

 

Dem geltend gemachten Anspruch stehe nicht entgegen, dass die Klägerin ihn erst nach Ablauf der in § 651g BGB aF vorgesehenen Ausschlussfrist geltend gemacht habe. Die Beklagte habe insoweit ihrer Hinweispflicht nach § 6 Abs. 2 Nr. 7 BGB-InfoV nicht genügt.

 

Die Klage sei dennoch unbegründet, weil die Klägerin die Beklagte weder zur Abhilfe aufgefordert noch eine Frist dafür gesetzt habe. Der Reiseveranstalter habe auf diese Obliegenheiten nicht gesondert hinzuweisen. Ein Abhilfeverlangen und eine Fristsetzung seien im Streitfall auch nicht entbehrlich gewesen.

 

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

 

1. Auf den zwischen den Parteien geschlossenen Reisevertrag sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der BGB-Informationspflichten-Verordnung in der bis 30. Juni 2018 geltenden Fassung weiter anzuwenden (Art. 229 § 42 EGBGB).

 

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Reisemangel bejaht.

 

Die Verlegung der Abflugzeit um rund drei Stunden, die Landung an einem anderen Zielort, der dadurch erforderliche Bustransfer und der darauf beruhende weitere Zeitverlust mit der Folge, dass eine Ankunft zu Hause erst in den Morgenstunden des Folgetags möglich gewesen wäre, begründen Abweichungen von der vertraglich vereinbarten Sollbeschaffenheit, die in ihrer Gesamtheit die Tauglichkeit der Reise zu dem gewöhnlichen Nutzen mindern.

 

3. Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klageanspruch nicht deshalb unbegründet ist, weil die Klägerin ihn erst nach Ablauf eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise geltend gemacht hat.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird, wenn der Reiseveranstalter seine Pflicht zum Hinweis auf die in § 651g Abs. 1 BGB normierte Ausschlussfrist nicht erfüllt hat, widerleglich vermutet, dass die Versäumung der Frist nicht auf einem Verschulden des Reisenden beruht (BGH, Urteil vom 12. Juni 2007 - X ZR 87/06RRa 2007, 215 Rn. 37; Urteil vom 21. Februar 2017 - X ZR 49/16RRa 2017, 168 Rn. 15).

 

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

 

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte auf die in § 651g BGB normierte Frist lediglich in ihren Allgemeinen Vertragsbedingungen hingewiesen. Dies genügt nicht den Anforderungen aus § 6 Abs. 2 Nr. 8 und Abs. 4 BGB-InfoV. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Allgemeinen Vertragsbedingungen als Prospekt im Sinne von § 6 Nr. 4 BGB-InfoV anzusehen sind. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, fehlte es jedenfalls an einem ausreichenden Verweis darauf in der Reisebestätigung.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht ein in der Reisebestätigung enthaltener Verweis auf Angaben im Prospekt nur dann aus, wenn auf die Existenz von Obliegenheiten zur Anzeige von Mängeln und Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen hingewiesen und die einschlägige Fundstelle im Prospekt angeführt wird (BGH, RRa 2007, 215 Rn. 28RRa 2017, 168 Rn. 19). Darüber hinaus muss der Verweis hinreichend deutlich und bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit des Kunden ohne weiteres erkennbar sein (BGH, RRa 2007, 215 Rn. 30RRa 2017, 168 Rn. 20). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ist im Streitfall keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

 

4. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht ferner zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aufwendungen erforderlich waren.

 

Erforderlich sind Aufwendungen, die der Reisende bei sorgfältiger, die Umstände des Falles berücksichtigender Prüfung für angemessen halten durfte (vgl. BT-Drucks. 8/786, S. 26 f.; A. Staudinger in Staudinger, BGB, 2016, § 651c Rn. 178). Dass diese Voraussetzung im Streitfall vorlag, hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei bejaht.

 

5. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen, dass die Klägerin die Beklagte entgegen § 651c Abs. 3 Satz 1 BGB nicht unter Fristsetzung zur Abhilfe aufgefordert hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Aufforderung und Fristsetzung schon deshalb entbehrlich waren, weil die Beklagte nicht darauf hingewiesen hat, dass diese für einen Anspruch auf Ersatz von Mehraufwendungen nach § 651c Abs. 3 BGB grundsätzlich erforderlich sind. Im Streitfall war die Klägerin zu einem entsprechenden Vorgehen jedenfalls deshalb nicht gehalten, weil es schon an einem ordnungsgemäßen Hinweis mit dem in § 6 Abs. 2 Nr. 7 BGB-InfoV vorgesehenen Inhalt fehlte.

 

a) Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 7 BGB-InfoV hat der Reiseveranstalter den Reisenden in der Reisebestätigung darauf hinzuweisen, dass er einen aufgetretenen Mangel anzuzeigen und vor der Kündigung des Reisevertrags grundsätzlich eine angemessene Frist zur Abhilfeleistung zu setzen hat.

 

Schon dieser Obliegenheit ist die Beklagte im Streitfall nicht nachgekommen.

 

Die Beklagte hat einen Hinweis des genannten Inhalts nur in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen erteilt und in der Reisebestätigung lediglich pauschal auf diese verwiesen. Dies genügt den auch insoweit maßgeblichen Anforderungen aus § 6 Abs. 4 BGB-InfoV aus den bereits im Zusammenhang mit § 6 Abs. 2 Nr. 8 BGB-InfoV genannten Gründen nicht.

 

b) Diese Pflichtverletzung führt dazu, dass die Beklagte dem Ersatzanspruch aus § 651c Abs. 3 BGB nicht entgegenhalten darf, dass die Klägerin von einem Abhilfeverlangen und einer Fristsetzung abgesehen hat.

 

Das Erfordernis einer Mangelanzeige ermöglicht es beiden Vertragspartnern des Reisevertrags, Klarheit über die weitere Vorgehensweise zu schaffen. Der Reiseveranstalter erhält durch sie insbesondere die Möglichkeit, durch eigene Maßnahmen Abhilfe zu schaffen, was für ihn typischerweise mit geringeren Kosten verbunden ist als Abhilfemaßnahmen durch Dritte. Der Reisende wird in die Lage versetzt, sein weiteres Verhalten an die Reaktion des Veranstalters auf eine erfolgte Anzeige anzupassen. Lehnt der Veranstalter die Abhilfe des angezeigten Mangels ab, ist der Reisende gemäß § 651c Abs. 3 Satz 2 BGB auch ohne Fristsetzung berechtigt, selbst Abhilfe zu schaffen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen zu verlangen. Sagt der Veranstalter kurzfristige Abhilfe zu, liegt es für den Reisenden auch ohne weitergehende Belehrung nahe, von eigenen Abhilfemaßnahmen vorerst abzusehen.

 

Einem Reisenden, der nach dem § 6 Abs. 7 BGB-InfoV zu Grunde liegenden Regelungsgedanken mangels ordnungsgemäßer Belehrung typischerweise nicht weiß, dass er einen Mangel grundsätzlich dem Reiseveranstalter anzuzeigen hat, wird diese grundlegende Erkenntnismöglichkeit genommen. Deshalb entspricht es dem Zweck der Belehrungspflicht, einen Ersatzanspruch aus § 651c Abs. 3 BGB grundsätzlich nicht daran scheitern zu lassen, dass ein nicht ordnungsgemäß über das Anzeigeerfordernis belehrter Reisender von einer Anzeige und einer Fristsetzung abgesehen hat.

 

Im Streitfall kann die Beklagte dem auf § 651c Abs. 3 BGB gestützten Klageanspruch folglich weder das Unterbleiben einer Mangelanzeige noch das Fehlen eines Abhilfeverlangens unter Fristsetzung entgegenhalten, weil sie auf das Erfordernis einer Mangelanzeige nicht in der vorgeschriebenen Weise hingewiesen hat. Besondere Umstände, aus denen sich ausnahmsweise eine abweichende Beurteilung ergeben könnte, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

 

c) Nach alledem kann offen bleiben, ob im Streitfall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer ein Abhilfeverlangen oder eine Fristsetzung auch bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht erforderlich gewesen wären.

 

III. Die Sache ist zur Endentscheidung reif.

 

Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergibt sich aus den oben dargelegten Gründen, dass der Klageanspruch begründet ist. Ergänzende Tatsachenfeststellungen, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, kommen angesichts des im Berufungsurteil festgestellten Sach- und Streitstands nicht in Betracht. Deshalb ist die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

 

 

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 2 ZPO.