Kostenrecht


Kostenentscheidung bei beidseitiger Erledigungserklärung und Eintritt der Erledigung vor Rechtshängigkeit

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.12.2017 - 9 W 36/17 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der Kläger hatte außergerichtlich bei der beklagten Deckungsschutz für eine Klage gegen einen Unfallversicherer begehrt. Nachdem dies nicht erfolgte, erhob er, nach Versagung mit Schreiben vom 01.10.2014, mit Klageschrift vom 08.12.2016  gegen die Beklagte Feststellungsklage auf Rechtsschutz für die 1. Instanz zu gewähren habe. Mit Schreiben vom 19.12.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie gewähre den Rechtsschutz. Die Klage wurde der Beklagten am 03.02.2017 zugestellt. Beide Parteien hatten sodann den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Mit Beschluss gem. § 91a Abs. 1 ZPO erlegte das Landgericht der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Die dagegen von der Beklagten erhobene sofortige Beschwerde wurde zurückgewiesen.

 

Das OLG verwies darauf, dass bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung die Kostenentscheidung gem. § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO nach billigen Ermessen erfolge. Entscheidend für eine Entscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO sei nur, dass die Parteien übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklären. Es käme nicht darauf an, ob und wann das erledigende Ereignis eingetreten sei; dies sei nur bei der einseitigen Erledigungserklärung (der Klägerseite) zu prüfen.

 

 Nur um Hinblick auf den Feststellungsantrag im Schriftsatz vom 08.12.2016 sei mit der Zustellung der Klage Rechtshängigkeit eingetreten und insoweit ein Prozessrechtsverhältnis entstanden. Damit sei im Rahmen der nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO vorzunehmenden Billigkeitsentscheidung auch nur zu prüfen, ob und inwieweit der geltend gemachte Anspruch bestand, bzw. inwieweit Ermessensausübungen in Bezug auf den Feststellungsantrag zugunsten der einen oder anderen Seite sprächen. Soweit zwischen den Parteien auch andere Fragen streitig gewesen wären, würden diese weder für den Streitgegenstand noch den Streitwert relevant sein. Von daher käme es auch nicht darauf an, ob der Kläger über den Feststellungsantrag hinausgehenden Deckungsschutz verlangen könne. Auch sei eine der Beklagten nicht zugestellte Klageerweiterung (die Zustellung unterblieb mangels Zahlung des Kostenvorschusses) nicht Gegenstand des Prozessrechtsverhältnisses geworden und von daher nicht zu beachten (Anm.: In Ansehung der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 13.07.2018 - 3 W 52/18 -, wonach auch die Anhängigkeit bereits streitwerterhöhend wirkt, könnte diese Einschätzung jedenfalls als fraglich angesehen werden).

 

Auch wenn bei § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO in der Regel die Frage im Vordergrund stünde, wie der Rechtsstreit ohne Erledigung ausgegangen wäre, schließe dies nicht die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Gesichtspunkte aus. Wenn feststünde, dass - unabhängig von prozessualen Fragen - eine Kostenerstattungspflicht nach materiellem Recht aus Schadensersatzgesichtspunkten bestünde, erscheine es billig, diese materielle Rechtslage der Kostenentscheidung zugrunde zu legen. 

 

 

Diese Schadensersatzpflicht ergäbe sich hier aus § 280 Abs. 1 BGB. Die Beklagte sei zur Gewährung von Rechtsschutz verpflichtet gewesen und hatte auch zuletzt im Prozess keine Einwendungen dagegen erhoben. Damit war das Ablehnungsschreiben vom 01.10.2014 rechtlich fehlerhaft gewesen und stelle sich als eine Verletzung von Vertragspflichten dar. Dies sei ursächlich für die Prozesskosten für die die Klage vom 08.12.2016 gewesen. Damit seien die Prozesskosten Gegenstand eines materiellen Schadensersatzanspruchs, der für die Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO ausschlaggebend sei.

 

Aus den Gründen:

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 27.09.2017 - 1 O 48/16 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

 

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 08.12.2016 hat der Kläger gegen die Beklagte eine Feststellungsklage erhoben, mit dem Antrag, dass diese ihm Rechtsschutz im Zivilprozess gegen einen Unfallversicherer zu gewähren habe und zwar für die erste Instanz, und insoweit, als der Kläger von dem Versicherer die Zahlung einer Übergangsleistung verlange. Die Beklagte hat mit außergerichtlichem Schreiben vom 19.12.2016 erklärt, sie wolle den verlangten Rechtsschutz gewähren. Der Feststellungsantrag ist der Beklagten am 02.03.2017 zugestellt worden. Die Parteien haben den Rechtsstreit später übereinstimmend für erledigt erklärt.

 

Mit Beschluss vom 27.09.2017 hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 91 a Abs. 1 ZPO. Es entspreche billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen. Das erledigende Ereignis, nämlich das Schreiben der Beklagten vom 19.12.2016, sei nach Anhängigkeit aber vor Rechtshängigkeit eingetreten. Bei einer übereinstimmenden Erledigung sei jedoch auch ein erledigendes Ereignis zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit zu berücksichtigen. Da die Klage vom 08.12.2016 zum Zeitpunkt der Anhängigkeit - also vor der Leistungszusage der Beklagten - begründet gewesen sei, erscheine es billig, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.

 

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Sie ist der Auffassung, bei einer Entscheidung nach billigem Ermessen seien die Kosten dem Kläger aufzuerlegen. Denn der Streit zwischen den Parteien habe sich vorrangig nicht auf eine Kostenzusage der Beklagten für das Verfahren gegen den Unfallversicherer in erster Instanz bezogen, sondern auf die Kosten für das Berufungsverfahren gegen den Unfallversicherer. Insoweit habe die Beklagte erst im April 2017 eine Deckungszusage erteilen können, da der Kläger - hinsichtlich des Berufungsverfahrens gegen den Unfallversicherer - erst zu diesem Zeitpunkt seinen Mitwirkungspflichten gegenüber der Beklagten nachgekommen sei. Die Kosten des Rechtsstreits seien mithin durch Obliegenheitsverletzungen des Klägers gegenüber der Beklagten entstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung der Beklagten vom 10.11.2017 verwiesen.

 

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Der Kläger ist der sofortigen Beschwerde entgegengetreten.

 

II.

 

Die gemäß § 91 a Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt.

 

1. Bei einer übereinstimmenden Erledigung richtet sich die Kostenentscheidung gemäß § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO nach billigem Ermessen des Gerichts. Für die Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelung in § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt es nur darauf an, dass die Parteien entsprechende übereinstimmende Erklärungen abgegeben haben. Die Frage, ob und wann ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ist nur bei einer sogenannten einseitigen Erledigung zu prüfen; bei einer übereinstimmenden Erledigung hängt die Anwendung von § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO hingegen nicht vom erledigenden Ereignis ab.

 

2. Zwischen den Parteien war nur der Feststellungsantrag im Schriftsatz des Klägervertreters vom 08.12.2016 rechtshängig. Nur wegen dieses Antrags ist ein Prozessrechtsverhältnis entstanden. Daher ist bei der Ausübung des billigen Ermessens im Sinne von § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO nur zu prüfen, ob und inwieweit der im Schriftsatz vom 08.12.2016 geltend gemachte Anspruch bestand, bzw. inwieweit Ermessensausübungen, die sich auf diesen Feststellungsantrag beziehen, für eine Kostenentscheidung zu Gunsten der einen oder der anderen Partei sprechen.

 

Es trifft zwar zu, dass zwischen den Parteien zeitweise - außergerichtlich und in einem Prozesskostenhilfeantragsverfahren - auch andere Fragen streitig waren. Streitige Fragen, die nicht Gegenstand des Prozessrechtsverhältnisses waren, haben jedoch den Streitgegenstand nicht bestimmt, spielen für den Streitwert keine Rolle und sind im Rahmen von § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu berücksichtigen. Für die Kostenentscheidung kommt es daher nicht darauf an, ob und inwieweit die Beklagte einen über den Antrag vom 08.12.2016 hinausgehenden Deckungsschutz zu gewähren hatte. Es spielt keine Rolle, dass der Kläger ursprünglich außergerichtlich Rechtsschutz nicht nur für einen Anspruch auf Übergangsleistung, sondern auch für einen Anspruch auf Invaliditätsleistung gegen den Versicherer verlangt hat. Ebensowenig kommt es auf den Deckungsschutz an, den die Beklagte dem Kläger (wegen der Übergangsleistung) für das Berufungsverfahren gegen den Unfallversicherer gewährt hat. Denn eine Rechtsschutzdeckung wegen des Berufungsverfahrens gegen den Unfallversicherer war nicht Gegenstand des Prozessrechtsverhältnisses; eine entsprechende Klageerweiterung ist der Beklagten nicht zugestellt worden, da der Kläger keinen Vorschuss einbezahlt hat.

 

3. Es kann dahinstehen, ob die prozessualen Erwägungen des Landgerichts eine Kostenentscheidung zu Gunsten des Klägers rechtfertigen können. (Vgl. zu einer von der Argumentation des Landgerichts abweichenden Kostenentscheidung nach prozessualen Gesichtspunkten in einem ähnlichen Fall OLG Celle, NJW-RR 1994, 1276). Denn für eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen müssen im vorliegenden Fall jedenfalls materiell-rechtliche Erwägungen maßgeblich sein.

 

Zwar steht bei einer Kostenentscheidung gemäß § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Regel die Frage im Vordergrund, wie der Rechtsstreit ausgegangen wäre, wenn keine Erledigung eingetreten wäre. (Vgl. dazu bei einer Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit OLG Celle a. a. O.) Dies schließt jedoch nicht aus, dass im Rahmen von § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO auch materiell-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden können. Wenn bei der Kostenentscheidung feststeht, dass - unabhängig von prozessualen Fragen - jedenfalls eine Kostenerstattungspflicht nach materiellem Recht aus Schadensersatzgesichtspunkten besteht, erscheint es billig, die materielle Rechtslage der Kostenentscheidung zugrunde zu legen (vgl. Zöller/Althammer, Zivilprozessordnung, 32. Auflage 2018, § 91 a ZPO, Rn. 24).

 

 

Die materiell-rechtliche Schadensersatzpflicht der Beklagten ergibt sich aus § 280 Abs. 1 BGB. Die Beklagte war zur Gewährung von Rechtsschutz entsprechend dem Antrag vom 08.12.2016 nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien verpflichtet. Die Beklagte hat zuletzt im Rechtsstreit keine Einwendungen mehr gegen diese Verpflichtung erhoben. Dementsprechend war das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 01.10.2014 (Anlage K 13, As. 359) - soweit es um die Übergangsleistung ging - rechtlich fehlerhaft und im Verhältnis zum Kläger eine Verletzung von Vertragspflichten. Die sich aus dem Ablehnungsschreiben vom 01.10.2014 ergebende Pflichtverletzung der Beklagten war ursächlich dafür, dass Prozesskosten für eine Klage gemäß dem klägerischen Antrag vom 08.12.2016 entstanden sind. Wegen des Verfahrens gegen den Unfallversicherer in erster Instanz, begrenzt auf die Übergangsleistung, hat der Kläger vor Antragstellung am 08.12.2016 keine Obliegenheiten gegenüber der Beklagten verletzt. Unter diesen Umständen sind die Prozesskosten Gegenstand eines materiellen Schadensersatzanspruchs, der für die Entscheidung gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO vorliegend ausschlaggebend ist.