Prozessrecht


Zur Wirksamkeit der Unterschrift bei Abweichung derselben von der maschinenschriftlichen Angabe

BGH, Beschluss vom 29.03.2017  - XII ZB 567/16 -

 

Kurze Inhaltsangabe:

 

Es kann leicht passieren. Der sachbearbeitende Anwalt gibt seiner Mitarbeiterin an, gegen ein bestimmtes Urteil für den Mandanten Berufung einzulegen. Die Mitarbeiterin fertigt die Berufungsschrift und setzt unter die vorgesehene Unterschriftszeile des Namen des sachbearbeitenden Anwalts. Ein anderer Anwalt unterschreibt ohne Vertretungszusatz.

 

In einem entsprechenden Fall hat OLG Stuttgart darauf hingewiesen, dass es die Verwerfung der Berufung als unzulässig beabsichtige. Der Berufungsführer stellte mit der Begründung einen Wiedereinsetzungsantrag, es sei seit jeher usus der Partnerschaftsgesellschaft der Anwälte, dass ein anderes Mitglied der Kanzlei bestimmende Schriftsätze unterschreibe, als derjenige, der maschinenschriftlich aufgenommen wurde, ohne dass dies bisher jemals beanstandet worden wäre. Das half nichts. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig. Zwar ergäbe sich die Unwirksamkeit der Berufung nicht daraus, dass die Namensunterschrift nicht lesbar sei, da es sich doch noch um eine hinreichend individualisierende Unterschriftsleistung handele, die auch dem unterzeichnenden Anwalt zugeordnet werden könne. Allerdings sei der maschinenschriftliche Zusatz des Namens eines anderen Anwalts aufgenommen worden, ohne zu verdeutlichen, dass der unterzeichnende Anwalt für diesen in Vertretung handele. Damit, so das OLG, sei der unbedingte Wille der unterzeichnenden Anwalts, die Verantwortung für den Inhalt zu übernehmen, nicht deutlich gemacht worden. Für das Gericht müssen gewährleistet sein, dass eine nicht lesbare Unterschrift durch einen maschinenschriftlichen Zusatz identifizierbar würde, was hier nicht der Fall sei. Da ein Verschulden vorläge, käme auch eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht.

 

Die gegen den Verwerfungsbeschluss erhobene Rechtsbeschwerde zum BGH war erfolgreich.

 

Die eigenhändige Unterschrift des zugelassenen Anwalts unter die Berufungsschrift sei Wirksamkeitsvoraussetzung für die rechtzeitige Berufung, §§ 519 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO. Das Berufungsgericht habe richtig angenommen, dass die Unterschrift auf Berufungs- und Berufungsbegründung den  Anforderungen an eine Unterschrift entsprochen habe, da sie zwar unleserlich war, aber ersichtlich keine Paraphe oder Abkürzung.   Rechtsfehlerfrei habe das OLG die Unterschrift auch einem bestimmten postulationsfähigen Anwalt zugeordnet; zwar wurde erst später (nach dem Hinweis des OLG) erklärt, wer die Unterschrift geleistet habe, doch sei eine Identitätsfeststellung noch ausreichend und rechtzeitig, wenn diese zum Zeitpunkt über die Entscheidung über die Zulässigkeit feststünde.

 

 

Die Formwirksamkeit der Unterschrift scheitere entgegen der Auffassung des OLG nicht daran, dass unterhalb der Unterschrift maschinenschriftlich der Name eines anderen Anwalts aufgenommen wurde.  Der maschinenschriftliche Zusatz verdeutliche, dass der Schriftsatz von diesem Anwalt und nicht vom Unterzeichner stamme. Auch wenn bei der Unterschrift ein Zusatz fehle „für“ diesen zu unterschrieben, ließe sich doch erkennen, dass der Unterzeichner an dessen Stelle die Unterschrift leiste und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats auftreten wolle. Damit habe er auch die Verantwortung für den Inhalt übernommen, da sich dies für einen Anwalt im Zweifel von selbst verstehe; er sei nicht als Erklärungsbote tätig geworden. Über den Wiedereinsetzungsantrag habe danach nicht mehr entschieden werden müssen, da die Berufung formgerecht eingelegt wurde.

 

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. August 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der Streithelferin, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 132.076 €

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der beklagten Bank die Rückabwicklung eines mit ihr geschlossenen Fremdwährungsdarlehens. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. November 2015, zugestellt am 25. November 2015, abgewiesen. Dagegen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers, eine unter anderem aus den Rechtsanwälten Dr. S.    und Sa.   bestehende Rechtsanwaltspartnerschaft mbH, am 22. Dezember 2015 Berufung eingelegt und diese am 25. Februar 2016 fristgerecht begründet. Sowohl die Berufungsschrift als auch die Berufungsbegründung sind mit einer - augenscheinlich - von derselben Person herrührenden Unterschrift versehen, die unleserlich ist, aber individuelle und unterscheidungskräftige Züge aufweist. Unter der Unterschrift befindet sich jeweils der maschinenschriftliche Zusatz: "RA Dr. S.     , Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht", von dem indes die beiden Unterschriften nicht stammen.

Nach Hinweis der Beklagten, dass die Berufungsschrift nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und deshalb die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei, hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers erläutert, die Unterschrift stamme von Rechtsanwalt Sa.  , der von dem Kläger ebenfalls bevollmächtigt worden sei. Zugleich hat der Kläger vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt, weil es ständige Praxis seiner Prozessbevollmächtigten gewesen sei, dass auch andere postulationsfähige Anwälte der Rechtsanwaltspartnerschaft bestimmende Schriftsätze mit einem "falschen" Namenszusatz unterzeichnet hätten, ohne dass dies bislang beanstandet worden sei.

Mit Beschluss vom 18. August 2016 hat das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Die Unleserlichkeit der Unterschrift hindere allerdings die Wirksamkeit der Berufung nicht, weil es sich bei dem Schriftzug noch um eine hinreichend individuelle Unterschrift handele, die Rechtsanwalt Sa.   zugeordnet werden könne. Dieser sei als zugelassener Rechtsanwalt vor allen Oberlandesgerichten postulationsfähig und auch von dem Kläger ausweislich der Prozessvollmacht vom 9. Juli 2014 bevollmächtigt worden. Die formwirksame Einlegung des Rechtsmittels scheitere aber daran, dass der Unterschrift von Rechtsanwalt Sa.   der maschinenschriftliche Zusatz "RA Dr. S.     " beigefügt gewesen sei, ohne deutlich zu machen, dass Rechtsanwalt Sa.   in Vertretung für Rechtsanwalt Dr. S.    unterschrieben habe. Aufgrund dessen sei der unbedingte Wille von Rechtsanwalt Sa.  , die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen, nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Für das Gericht müsse gewährleistet sein, dass eine unleserliche Unterschrift durch einen maschinenschriftlichen Zusatz identifizierbar sei. Dies sei bei der Handhabung der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht der Fall. Hierin liege zugleich ein schuldhaftes Handeln seiner Prozessbevollmächtigten, das ihm zuzurechnen sei. Aufgrund dessen sei ihm auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig, weil es an einer ordnungsgemäßen Einlegung der Berufung fehle, verletzt den Kläger in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers nach § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO Wirksamkeitsvoraussetzung für eine rechtzeitige Berufungsschrift. Damit soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsschrift von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; vom 22. November 2005 - VI ZB 75/04, VersR 2006, 387 Rn. 5; vom 17. November 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 12 und vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 6; jeweils mwN).

2. An diesen Grundsätzen gemessen ist vorliegend eine formgerechte Berufungsschrift eingereicht worden.

a) Der entsprechende Schriftsatz ist - was das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - mit einem individuellen, nicht nur als Handzeichen oder Paraphe anzusehenden, sondern den Anforderungen an eine Unterschrift genügenden handschriftlichen Schriftzug unterzeichnet (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 1997 - XII ZB 17/97, FamRZ 1997, 737; vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775; vom 17. November 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 17; vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, BeckRS 2010, 04929 Rn. 10 und vom 16. September 2010 - IX ZB 13/10, NZI 2011, 59 Rn. 6).

b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass dieser Schriftzug von Rechtsanwalt Sa.   herrührt, bei dem es sich um einen bei dem Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt handelt. Zwar ist dies erst nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist erläutert worden, so dass für das Berufungsgericht bis dahin nicht erkennbar war, welcher Rechtsanwalt unterschrieben hat. Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn für die Prüfung der Frage, ob die Identität und die Postulationsfähigkeit des Unterzeichners eines derartigen Schriftsatzes feststeht beziehungsweise erkennbar ist, ist nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung abzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012 - VII ZB 83/10, MDR 2012, 796 Rn. 11 und vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 10).

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert die formwirksame Einlegung der Berufung nicht daran, dass der Unterschrift von Rechtsanwalt Sa.   der maschinenschriftliche Zusatz "RA Dr. S.     , Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht" beigefügt worden ist. Dieser Zusatz macht zunächst lediglich deutlich, dass die Berufungsschrift von diesem Rechtsanwalt erstellt worden ist. Auch wenn ein ausdrücklicher Zusatz, "für" diesen tätig zu werden, fehlt, lässt sich hier der Unterzeichnung durch einen anderen Rechtsanwalt gleichwohl entnehmen, dass er an dessen Stelle die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats des Klägers auftreten wollte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 11). Damit hat er zu erkennen gegeben, dass er zugleich die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsschrift übernehmen wollte. Anhaltspunkte, die dem entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Für einen Rechtsanwalt versteht es sich im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 192/02, NJW 2003, 2028; Beschluss vom 26. Juli 2012, aaO) und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig zu werden (vgl. für den Zusatz "i.A." BGH, Beschlüsse vom 5. November 1987 - V ZR 139/87, NJW 1988, 210; vom 27. Mai 1993 - III ZB 9/93, NJW 1993, 2056, 2057 und vom 7. Juni 2016 - KVZ 53/15, NJW-RR 2016, 1336 Rn. 5).

Soweit das Berufungsgericht meint, dass vorliegend kein Rechtsanwalt die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernommen habe, weil Rechtsanwalt Dr. S.     den Schriftsatz nicht unterzeichnet und Rechtsanwalt Sa.  sich nicht in eindeutiger Weise zu dem Schriftsatz bekannt habe, trifft dies daher nicht zu. Mit seiner Unterschrift hat Rechtsanwalt Sa.   die Verantwortung für die Berufungsschrift - wie im Übrigen auch für die Berufungsbegründung - übernommen.

3. Ist danach die Unterschrift unter die Berufungsschrift in diesem Sinne von Rechtsanwalt Sa.   geleistet worden, durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden. Der Kläger hat vielmehr die Berufung rechtzeitig und formgerecht eingelegt, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Über den Antrag auf Wiedereinsetzung war daher nicht mehr zu entscheiden.