Anwaltsrecht und -haftung

Anwaltsrat kann teuer kommen

BGH, Beschluss vom 31.01.2012 - VIII ZR 277/11 -

Der Senat beabsichtigt, die zugelassene Revision der Beklagten gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

 

Gründe

1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich.

 

a) Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte, eine Versicherungsgesellschaft niederländischen Rechts, die in L.   Eigentümerin eines Wohnkomplexes mit 142 Mietwohnungen ist, über ausreichend kaufmännisch vorgebildetes Personal verfügt und insoweit mit einem gewerblichen Großvermieter im Sinne des Senatsurteils vom 6. Oktober 2010 (VIII ZR 271/09, WuM 2010, 740 Rn. 9 f.) jedenfalls vergleichbar sei, gegenüber dem im Zeitraum von Dezember 2009 bis Februar 2010 mit seinen Mietzahlungen ganz oder teilweise säumigen Kläger sowohl die Erstmahnung hinsichtlich der aufgelaufenen Mietrückstände als auch die darauf gestützte fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ohne Beauftragung eines Rechtsanwalts selbst hätte vornehmen können und müssen. Es hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob bei einem - wie hier - rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Sachverhalt für diese Maßnahmen die Einschaltung eines Rechtsanwalts zweckmäßig und erforderlich gewesen sei und die dadurch entstandenen Kosten damit als Verzugsschaden erstattungsfähig seien, oder ob die Beklagte nach ihrer Infrastruktur nicht in der Lage hätte sein müssen, diese Schreiben ohne Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe selbst zu verfassen.

 

b) Die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen tragen keinen der im Gesetz genannten Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO).

 

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Schädiger nicht schlechthin alle durch ein Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten des Geschädigten zu ersetzen hat, sondern nur solche Kosten, die aus der ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person in der Situation des Geschädigten nach den Umständen des Falles zur Wahrung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteile vom 6. April 1976 - VI ZR 246/74, BGHZ 66, 182, 192; vom 30. April 1986 - VIII ZR 112/85, WM 1986, 1056 unter IV; vom 8. November 1994 - VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 f.; vom 6. Oktober 2010 - VIII ZR 271/09, aaO Rn. 9). Ob die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der ergriffenen Maßnahme gegeben ist, entzieht sich dabei einer generalisierenden Betrachtung; dies ist vielmehr vom Tatrichter aufgrund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH, Urteile vom 6. April 1976 - VI ZR 246/74, aaO S. 193; vom 9. März 2011 - VIII ZR 132/10, WuM 2011, 214 Rn. 23). Dabei gilt - und zwar auch hinsichtlich der Anforderungen an die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Mietzahlungsverzugs (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 2010 - VIII ZR 271/09, aaO Rn. 10) -, dass in einfach gelagerten Fällen, bei denen mit rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten nicht zu rechnen ist, der Geschädigte eine erstmalige Geltendmachung seiner Rechte grundsätzlich selbst vornehmen kann, und dass es unter diesen Umständen zur sofortigen Einschaltung eines Rechtsanwalts zusätzlicher Voraussetzungen in der Person des Geschädigten wie etwa eines Mangels an geschäftlicher Gewandtheit oder einer Verhinderung zur Wahrnehmung seiner Rechte bedarf (BGH, Urteil vom 8. November 1994 - VI ZR 3/94, aaO S. 352 mwN).

 

Vor diesem Hintergrund kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch bietet der vorliegende Fall Veranlassung, höchstrichterliche Leitsätze aufzustellen, für die nur dann ein Bedürfnis besteht, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2011 - VIII ZR 84/11, WuM 2011, 690 Rn. 8). Denn die Beantwortung der im Streitfall aufgeworfenen Rechtsfrage hängt weitgehend von der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der betreffenden Einzelfallumstände ab, für die der rechtliche Rahmen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits abgesteckt ist und an der sich das Berufungsgericht ersichtlich orientiert hat, so dass zugleich auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts gefordert ist.

 

2. Die Sache hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung stand.

 

a) Das Berufungsgericht ist - ohne dass die Revision dies beanstandet - rechtsfehlerfrei von einem tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Mietzahlungsverzugs- und Kündigungssachverhalt ausgegangen. Der Kläger war zweifelsfrei mit Mietzahlungen in Rückstand geraten, die zwei Monatsmieten überstiegen. Einwendungen gegen seine Verpflichtung zur Zahlung der (vollen) Miete hatte er weder erhoben noch waren sie sonst ersichtlich.

 

Bei dieser Sachlage konnte das Berufungsgericht den Sachverhalt ohne Rechtsfehler dahin würdigen, dass es sich um einen mietrechtlichen Routinefall gehandelt hat, bei dem weder zur Erstmahnung noch zum Ausspruch der auf den Zahlungsrückstand gestützten Kündigung des Mietverhältnisses die Beauftragung eines Rechtsanwalts zweckmäßig und erforderlich war. Die Beklagte ist Großvermieterin im Sinne des Senatsurteils vom 6. Oktober 2010 (VIII ZR 271/09, aaO). Vor diesem Hintergrund macht es keinen Unterschied, dass sie ihren Sitz im Ausland hat. Zu Recht konnte das Berufungsgericht annehmen, dass die Beklagte bei ihrem inländischen Wohnungsbestand ohne Weiteres in der Lage war, durch das bei ihr vorhandene kaufmännisch vorgebildete Personal sowohl die Erstmahnung hinsichtlich des bereits auf den ersten Blick überschaubaren Mietrückstandes als auch die hierauf gestützte Kündigung auszusprechen, an deren Abfassung keine besonderen Anforderungen zu stellen waren.

 

b) Anders als die Revision meint, konnte das Berufungsgericht ferner ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass allein der Umstand, die Forderungseinziehung über einen Rechtsanwalt zu betreiben, um durch einen damit gegebenenfalls erzeugten Druck die Zahlungsmoral des Schuldners zu erhöhen, die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts bereits zu der in Rede stehenden Erstmahnung - für den rechtsgestaltenden Kündigungsausspruch spielt dieser Gesichtspunkt ohnehin nur eine untergeordnete Rolle - nicht rechtfertigen konnte. Es liegt im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung, wenn das Berufungsgericht bei der hier gegebenen Fallgestaltung davon ausgegangen ist, dass zumindest der Versuch einer Erstmahnung durch die Beklagte selbst notwendig gewesen wäre, bevor zusätzliche Kosten durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts verursacht wurden.

 

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

 

 

Anmerkung: Die Revision wurde mit Beschluss vom 20.03.2012 zurückgewiesen.