Schadensersatz


Haftungsabwägung: Überbreite des landwirtschaftlichen Gespanns  versus Geschwindigkeitsüberschreitung und Verstoß gegen Rechtsfahrgebot

OLG Celle, Urteil vom 04.03.2020 - 14 U 182/19 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der Sohn des Klägers steuerte den Schlepper nebst Anhänger mit einer Geschwindigkeit zwischen 25 – 35km/h. Die (außerhalb der geschlossenen Ortschaft) belegen Gemeindestraße hatte eine Breite von 4,95m; eine Fahrbahnmarkierung war nicht vorhanden. Das klägerische Gespann hatte ein Gewicht von 18.000kg und eine Breite von 2,95m. Im Gegenverkehr zum landwirtschaftlichen Gespann fuhr die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit ihrem PKW mit einer Geschwindigkeit von 75 – 85km/h. Der PKW stieß in einer leichten Rechtskurve mit der vorderen linken Seite gegen den vorderen linken Reifen des Anhängers des Gespanns und überschlug sich, die Fahrerin des PKW erlitt schwerste Verletzungen. Der Vorfall hatte sich zur Nachtzeit (bei Dunkelheit, nach 21 Uhr) Ende  September ereignet.

 

Der Kläger machte materiellen Schadensersatz (Fahrzeugschaden, Mietfahrzeug und Pauschale) geltend. Hierauf zahlte die Beklagte 50%. Die weiteren 50% forderte der Kläger mit seiner Klage. Seine Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung änderte das OLG die landgerichtliche Entscheidung und erkannte auf einen Schadensersatz von insgesamt 70% zu Lasten der Beklagten. Die Haftung der Beklagte folge aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG, 249, 286, 288 Abs. 1 BGB. Den Kläger würde nur eine Haftung gem. § 7 Abs. 1 StVG aus der erhöhten Betriebsgefahr seines Fahrzeugspanns treffen.

 

Auf Seiten der Beklagten läge ein Verschulden vor. Dieses bestünde in einer Geschwindigkeitsüberschreitung gem. § 3 Abs. 1 S. 5 StVO und einem Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gem. § 3 Abs. 1 StVO.

 

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit sei auf der Gemeindestraße auf 80km/h durch Verkehrszeichen 274 begrenzt gewesen. Nah der gutachterlichen Feststellung fuhr der PKE mit einer Geschwindigkeit von 75 – 85km/h, weshalb in Ermangelung von Bremsspuren die Ausgangsgeschwindigkeit mit der Kollisionsgeschwindigkeit gleichzusetzen sei. Danach wäre der PKW allenfalls minimal schneller als die erlaubten 80km/h gefahren. Allerdings sei bei Dunkelheit bei einer Straßenbreite von 4,95m sowie erkennbaren Gegenverkehr (Fahrzeugbeleuchtung) in einer leichten Rechtskurve eine Geschwindigkeit auch von 75km/h zu schnell, um den Anforderungen des § 3 Abs. 1 StVO zu genügen. Die ortskundige Fahrerin des PKW habe auf der Gemeindestraße mit landwirtschaftlichem Verkehr zu rechnen gehabt. Ende September sei Erntezeit und von daher auch nach 21 Uhr mit Erntefahrzeugen in ländlichen Gebieten zu rechnen. Landwirtschaftliche Fahrzeuge seien regelmäßig breiter als PKW. Die gesetzlich vorgeschriebene Beleuchtung (Lampen, Reflektortafeln, Begrenzungsleuchten) sei vorhanden gewesen. Eine Rundumleuchte, wie beklagtenseits moniert, sei nicht erforderlich gewesen. Die Sicht der Verkehrsteilnehmer sei frei gewesen, weshalb die Fahrerin des PKW das Gespann hätte rechtzeitig erkennen können und dem Umstand hätte Rechnung tragen können, dass die Straße sehr schmal und kurvig ist und keine seitliche Befestigung aufwies und eine Überbreite einkalkulieren müssen. Damit hätte sie gem. § 3 Abs. 1 S. 5 StVO auf halber Sicht fahren müssen, zumal sie auch bei Tageslicht angesichts der Umstände ihre Geschwindigkeit hätte erheblich reduzieren müssen. Die Geschwindigkeitsüberschreitung habe sich kausal ausgewirkt, da die Fahrerin de PKW bei einer niedrigeren Geschwindigkeit mehr Zeit zur Reaktion und insbesondere einem Lenken nach rechts gehabt hätte.

 

Der PKW (Skoda Fabia) sei 1,66m breit. Der Klägerin hätten unter Beachtung der Straßenbreite von 4,95m mithin 2,00m zur Verfügung gestanden. Nach dem Gutachten habe eine Überdeckung von 20 bis 25cm bestanden. Wäre der PKW mittig der eigenen Fahrbahnhälfte gesteuert worden, hätte er das Gespann gefahrlos passieren können, zumal das Gespann nach dem Sachverständigengutachten sogar ca. 30 – 35cm in den rechten Seitenraum gesteuert worden sei. Für ein Fahren am äußersten rechten Fahrbahnrand habe hier angesichts des Gegenverkehrs Veranlassung bestanden, weshalb ein Verstoß gegen das rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO vorläge.

 

Auf Klägerseite sei die erhöhte Betriebsgefahr des Gespanns nach § 7 Abs. 1 StVG zu berücksichtigen. Dies ergäbe sich aus der Breite und dem Gewicht. Diese Betriebsgefahr aus Masse und Überbreite habe sich auch kausal ausgewirkt, denn aller Voraussicht nach wäre es bei einem schmaleren Fahrzeug nicht zu einer Kollision gekommen, und bei einem leichteren Fahrzeug wären die Unfallfolgen geringer ausgefallen (denn vorliegend sei der Motor des Skoda durch den Aufprall herausgerissen und der PKW weggeschleudert worden, was zu den schweren Verletzungen der Fahrerin geführt habe).

 

Ein Verschulden des Sohnes des Klägers läge allerdings nicht vor. Das Gespann sei ordnungsgemäß beleuchtet und abgesichert gewesen und ein weiteres Fahren nach rechts hätte die Gefahr der Instabilität des Gespanns sowie eine Kollision mit Leitpfosten am rechten Fahrbahnrand bedeutet. Auch sei seine Geschwindigkeit mit 25 – 35km/h bei grundsätzlich erlaubten 80km/h sehr langsam gewesen und das weite Fahren nach rechts nahm er, soweit gefahrlos möglich, vor. Ein Stehenbleiben sei ihm zwar auch möglich gewesen, doch hätte dies an der Verkehrssituation selbst nichts geändert, da die Fahrerin des PKW über die Fahrbahnmitte geraten sei, weshalb es zur Kollision auch gekommen wäre, wenn des Gespann gestanden hätte. Ob ein mögliches Hupen oder Lichtzeichen oder Warnblinklicht die Fahrerin des PKW stärker gewarnt hätten, ließe sich nicht beurteilen, wogegen auch spräche, dass sie den Gegenverkehr nicht zum Anlass genommen habe, zu bremsen und weiter nach rechts zu steuern. Auch seien Anzeichen einer Übermüdung, wie beklagtenseits eingewandt, nicht erkennbar, da er optimal auf den PKW durch ein Ausweichen nach rechts, soweit möglich, reagiert habe.

 

Im Rahmen der danach erforderlichen Haftungsabwägung gem. § 17 Abs. 1 StVG sei das zweifache Verschulden der Fahrerin des PKW als wesentliche kausale Ursache zu berücksichtigen. Der Umstand der Überbreite des Gespanns und ein danach bedingtes Herausragen über die Fahrbahnmitte habe sich in Ansehung der ausreichenden Platzverhältnisse nicht maßgeblich ausgewirkt. Diese Überbreite hätte die Fahrerin des PKW auch berücksichtigen müssen. Diese Umstände würden zu einer überwiegenden Haftung auf Beklagtenseite (70%) führen. Allerdings würde die Betriebsgefahr hier nicht hinter das Verschulden der Fahrerin des PKW völlig zurücktreten. Die Überbreite auf der schmalen Straße und die Masse des Gespanns hätten andere Verkehrsteilnehmer nennenswert gefährdet und hier auch zur Schwere des Verletzungsbildes bei der Fahrerin des PKW beigetragen. Für jede Seite des PKW hätten auf dessen Fahrbahnhälfte gesehen jeweils nur 17cm zur Verfügung gestanden; bei einem derart schmalen Korridor und nach dazu bei Dunkelheit auf einer Straße ohne Fahrbahnmarkierung könne es leicht geschehen, die Fahrbahnmitte um wenige cm zu überschreiten.

 

 

Anmerkung: Obwohl nach der Darlegung des OLG der Verkehrsunfall ohne das Verschulden der Fahrerin des PKW (langsameres Fahren und äußerst rechts Fahren, was gerade bei langsamerer Fahrt ohne weiteres bis zum rechten Fahrbahnrand hin möglich gewesen wäre) vermieden worden wäre, wird alleine wegen der Breite des Gespanns (und dessen Schwere in Ansehung der Unfallfolgen für die Fahrerin des PKW, die im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich waren) die Betriebsgefahr berücksichtigt, da sie sich (noch) kausal auswirkten.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Auf die Berufung des Klägers wird das am 27. September 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden <8 O 23/19> unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

 

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.125,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Dezember 2017 zu zahlen.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Von den Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen) haben der Kläger 60 % und die Beklagte 40 % zu tragen.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.814,62 EUR festgesetzt.

 

Gründe

 

I.

 

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Verkehrsunfall am 23. September 2017 in H., OT H., außerorts auf der Gemeindestraße „…“ zwischen den Orten B. und H. in Fahrtrichtung B. Der Sohn des Klägers – T. W. – steuerte ein landwirtschaftliches Gespann, bestehend aus Schlepper und Anhänger, … und …, mit einer Geschwindigkeit von 25 – 35 km/h. Die Gemeindestraße ist 4,95 m breit ohne Fahrbahnmarkierungen; das klägerische Gespann wies eine Breite von 2,95 m auf bei einer Masse von 18.000 kg. Im Gegenverkehr steuerte die Versicherungsnehmerin der Beklagten – K. S. – das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug Skoda Fabia, …, mit einer Geschwindigkeit von 75 – 85 km/h. Es kam zur Kollision beider Fahrzeuge dergestalt, dass das Beklagtenfahrzeug mit der vorderen linken Seite gegen den vorderen linken Reifen des Anhängers vom klägerischen Gespann stieß. Das Beklagtenfahrzeug schleuderte – sich überschlagend – in den rechten Straßengraben; die Fahrerin erlitt schwerste Verletzungen.

 

Mit der Klage hat der Kläger gegenüber der Beklagten seinen materiellen Schaden (Fahrzeugschaden, Mietfahrzeug und Pauschale) in Höhe von unstreitigen 15.629,23 EUR insgesamt geltend gemacht. Hierauf hatte die Beklagte vorgerichtlich die Hälfte, nämlich 7.814,62 EUR, erstattet. Der Kläger hat gemeint, die Beklagte müsse seinen Schaden zu 100 % ersetzen. Sein Sohn habe nach den sachverständigen Feststellungen nicht weiter rechts fahren und den Unfall folglich nicht vermeiden können. Dagegen sei die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit unangepasster Geschwindigkeit und unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot über die Fahrbahnmitte hinausgekommen. Ihr Verschulden sei so groß, dass die Betriebsgefahr für das klägerische Gespann vollständig zurücktrete.

 

Die Beklagte hat eine Haftungsquote von 50 % zu 50 % für angemessen erachtet. Sie hat eine Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens für den Sohn des Klägers bestritten. Dieser hätte weiter rechts fahren können und müssen. Das Anbringen einer Rundumleuchte an dem klägerischen Gespann wäre geboten gewesen. Eine eventuelle Blendung ihrer Versicherungsnehmerin sei ebenso wenig auszuschließen wie eine Übermüdung des Fahrers des klägerischen Gespanns, der bereits 10 Stunden im Ernteeinsatz zugebracht habe. Die hohe Gefährlichkeit des klägerischen Gespanns durch seine Überbreite und Masse müsse sich in einer Haftungsquote wiederspiegeln.

 

Die Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden hat das Strafverfahren <7 Ds 240 Js 42728/17 (310/18)> der StA Verden bzw. des AG Rotenburg (Wümme) beigezogen und nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. K. vom 11. Juli 2019 (Anlage zur Akte) die Klage mit Urteil vom 27. September 2019 (Bl. 84 – 88 d. A.) abgewiesen. Sie hat eine Haftungsquote von 65 % zu 35 % zulasten des Klägers für angemessen gehalten. Der Sohn des Klägers habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar nicht gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen, aber gegen § 1 Abs. 2 StVO, indem er die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht durch Hupen oder Lichtzeichen auf sein überbreites Fahrzeug aufmerksam gemacht und dieses nicht angehalten habe. Eine Rundumleuchte habe nicht benutzt werden müssen, weil es dafür an der erforderlichen Genehmigung gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 3 StVZO gefehlt habe, die erst bei Fahrzeugen ab 3 m Breite erteilt werde. Dagegen sei die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit unangepasster Geschwindigkeit und nicht weit rechts genug gefahren (§§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 1 StVO). Im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1 StVG sei das Schwergewicht der Haftung auf Klägerseite zu erblicken wegen der Gefährlichkeit des Fahrzeuggespanns.

 

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch vollumfänglich weiter. Er rügt eine fehlerhafte Haftungsabwägung der Einzelrichterin. Es sei richtig zu stellen, dass das klägerische Gespann entgegen der Feststellungen im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils nicht mit einer Rundumleuchte ausgestattet gewesen sei. Für die von der Einzelrichterin für erforderlich gehaltenen Warnzeichen habe kein Anlass bestanden, sodass der Sohn des Klägers nicht gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe. Die Versicherungsnehmerin der Beklagten sei ortskundig gewesen, habe die Straße gekannt und gewusst, dass diese regelmäßig von überbreiten landwirtschaftlichen Fahrzeugen befahren wird. Sie sei mit unangepasster Geschwindigkeit und zu weit links gefahren. Eine Alleinhaftung der Beklagten sei geboten.

 

Der Kläger beantragt,

 

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts, Aktenzeichen 8 O 23/19, die Beklagte zu verurteilen, an ihn – den Kläger – einen Betrag in Höhe von 7.814,62 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Dezember 2017 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie meint, zugunsten ihrer Versicherungsnehmerin sei zu berücksichtigen, dass die Fahrbahn unstreitig keine Markierungen aufgewiesen habe, es dunkel gewesen sei und der Streckenverlauf kurvig. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit habe 100 km/h betragen. Wegen seiner Masse und Breite falle für das klägerische Gespann eine deutlich höhere Betriebsgefahr ins Gewicht.

 

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Begründung des angefochtenen Urteils wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das angefochtene Urteil (Bl. 84 – 88 d. A.) Bezug genommen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Verden <240 Js 42728/17> war in kopierter Form (Stand: bis April 2019) zu Informations- und Beweiszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung (im Folgenden BA). Der Sohn des Klägers ist mit Urteil des Amtsgerichts Rotenburg (Wümme) <7 Ds 310/18> vom 8. Juli 2019 rechtskräftig vom Vorwurf einer fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen worden.

 

II.

 

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene und begründete, Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Das angefochtene Urteil war dahin abzuändern, dass die Beklagte unter Klagabweisung im Übrigen verurteilt wird, an den Kläger 3.125,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Dezember 2017 zu zahlen. Die von der Einzelrichterin gebildete Haftungsquote war zu korrigieren. Die Beklagte haftet gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG, §§ 249, 286, 288 Abs. 1 BGB für die Folgen des Unfallgeschehens vom 23. September 2017 zu 70 % wegen Verschuldens ihrer Versicherungsnehmerin. Den Kläger trifft dagegen nur eine Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG aus der erhöhten Betriebsgefahr seines Fahrzeuggespanns.

 

1. Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten

 

Zutreffend hat die Einzelrichterin angenommen, dass die Versicherungsnehmerin der Beklagten die Kollision verschuldet hat; dies ist im Berufungsverfahren auch unstreitig:

 

a) Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO

 

Ausweislich Bl. 1, 6 Band I der BA und Seiten 4, 33 im Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. K. vom 29. Juni 2018 war die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der streitgegenständlichen Gemeindestraße durch Verkehrszeichen 274 auf 80 km/h begrenzt. Sachverständigenseits ist die Kollisionsgeschwindigkeit für den Pkw Skoda Fabia auf 75 – 85 km/h ermittelt worden. Bremsspuren gab es nicht (Bl. 6 und 7 Band I der BA), sodass die Ausgangsgeschwindigkeit mit der Kollisionsgeschwindigkeit gleichzusetzen ist. Demzufolge ist die Versicherungsnehmerin der Beklagten allenfalls minimal schneller gefahren als erlaubt.

 

Bei Dunkelheit auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen sowie erkennbaren Gegenverkehr (Fahrzeugbeleuchtung) in einer leichten Rechtskurve waren aber selbst 75 km/h zu schnell, um den Anforderungen des § 3 Abs. 1 StVO zu genügen. Der Kläger hat unbestritten vorgetragen, dass die ortskundige Versicherungsnehmerin der Beklagten auf der Gemeindestraße mit landwirtschaftlichem Verkehr grundsätzlich rechnen musste. Ende September ist Erntezeit; auch nach 21.00 Uhr befahren Erntefahrzeuge in ländlichen Gegenden in der Erntezeit Landstraßen in Bereichen, die – wie hier ausweislich der Lichtbilder in der BA offenkundig – landwirtschaftlich genutzt werden. Landwirtschaftliche Fahrzeuge sind regelmäßig breiter als Pkw. Das klägerische Gespann war ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. K. in seinem schriftlichen Gutachten vom 29. Juni 2018 (SH zur BA) entsprechend den gesetzlichen Vorschriften beleuchtet und abgesichert (Lampen, Reflektortafeln, Begrenzungsleuchten). Eine Rundumleuchte war nicht vorgeschrieben. Es herrschte freie Sicht der Fahrzeugführer aufeinander (vgl. Fotos im schriftlichen Gutachten Dipl.-Ing. K. vom 29. Juni 2018 ab Seite 33 f.). Die Versicherungsnehmerin der Beklagten hätte folglich Gegenverkehr in Form eines landwirtschaftlichen Gespanns rechtzeitig erkennen und ihre Geschwindigkeit reduzieren können, um dem ihr bekannten Umstand Rechnung zu tragen, dass die Straße sehr schmal und kurvig war sowie keine seitliche Befestigung aufwies. Sie musste einkalkulieren, dass das klägerische Gespann überbreit war und ihr selbst weniger Platz zur Verfügung stand als bei einem Pkw im Gegenverkehr. Folglich hätte die Versicherungsnehmerin der Beklagten entsprechend § 3 Abs. 1 S. 5 StVO auf halbe Sicht fahren müssen. Schon bei Tageslicht wäre angesichts der engen und kurvigen Straßenverhältnisse eine deutliche Geschwindigkeitsreduzierung bei Gegenverkehr angebracht gewesen (vgl. Fotos im schriftlichen Gutachten Dipl.-Ing. K. vom 29. Juni 2018 auf Seite 33 und 34). Die Geschwindigkeitsüberschreitung hat sich auch kausal ausgewirkt, weil die Versicherungsnehmerin der Beklagten bei einer niedrigeren Geschwindigkeit mehr Zeit zur Reaktion, insbesondere einem Lenken nach rechts, gehabt hätte.

 

b) Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO

 

Darüber hinaus ist die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht weit genug rechts gefahren (§ 2 Abs. 2 StVO). Der Pkw Skoda Fabia war 1,66 m breit; ihr standen – unter Abzug der 2,95 m für das klägerische Gespann – auf einer 4,95 m breiten Straße noch 2 m zur Verfügung. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. K. in seinem Gutachten vom 11. Juli 2019 betrug die Überdeckung der beiden Fahrzeuge 20 bis 25 cm. Wenn die Versicherungsnehmerin der Beklagten mittig auf ihrer Fahrbahnhälfte gefahren wäre, hätte sie das klägerische Gespann auf der schmalen Straße kollisionsfrei passieren können. Dies gilt umso mehr, als der Sohn des Klägers das klägerische Gespann mit der rechten Bereifung seines Anhängers sogar ca. 30 – 35 cm in den rechten Seitenraum gesteuert hatte (Sachverständiger Dipl.-Ing. K. im schriftlichen Gutachten vom 11. Juli 2019). Damit hatte die Versicherungsnehmerin der Beklagten genügend Platz, um kollisionsfrei an dem Treckergespann vorbeizufahren. Das hat der Sachverständige Dipl.-Ing. K. in diesem Gutachten in der Abbildung 6 auf Seite 5 anschaulich dargestellt. Wenn die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht mittig, sondern am äußersten rechten Rand der Gemeindestraße gefahren wäre, hätte sie das Gespann erst Recht problemlos passieren können. In seinem Gutachten vom 29. Juni 2018 hat Dipl.-Ing. K. sogar erklärt, der Pkw hätte 0,9 bis 1,0 m weiter rechts (wohl unter Nutzung des unbefestigten Seitenstreifens) fahren können. Für ein äußerstes Fahren am rechten Fahrbahnrand hätte vorliegend Veranlassung bestanden angesichts des erkennbaren Gegenverkehrs.

 

Dagegen hat die Versicherungsnehmerin der Beklagten nach den Feststellungen des Sachverständigen die Fahrbahnmitte mit der vorderen linken Front ihres Pkw überfahren, ohne dass hierfür ein verkehrsbedingter Anlass bestanden hat. Ihr Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot ist mithin eindeutig zu bejahen.

 

2. Erhöhte Betriebsgefahr für das klägerische Gespann

 

Eine Haftungsbefreiung des Klägers von § 7 Abs. 1 StVG gemäß § 8 Nr. 1 StVG scheidet vorliegend offenkundig aus, weil das klägerische Gespann bauartbedingt schneller als 20 km/h fahren konnte und tatsächlich sogar 25 – 35 km/h gefahren ist.

 

Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass für das klägerische Gespann angesichts seiner Masse von 18.000 kg und 2,95 m Breite (laut Sachverständigen Dipl.-Ing. K. vom 29. Juni 2018) eine erhöhte Betriebsgefahr im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG anzunehmen ist. Vorliegend haben sich Masse und Überbreite in dem tragischen Unfallgeschehen auch kausal ausgewirkt, denn aller Voraussicht nach wäre bei einem schmaleren Fahrzeug eine Kollision angesichts der Platzverhältnisse unterblieben und bei einem leichteren Fahrzeug wären die Unfallfolgen geringer ausgefallen, denn durch den Aufprall ist der Motor des Pkw Skoda herausgerissen und der Pkw weggeschleudert worden, was zu den schweren Verletzungen der Versicherungsnehmerin der Beklagten geführt hat.

 

3. Kein Verschulden des Sohnes des Klägers

 

Ein Verschulden des Sohnes des Klägers lässt sich dagegen nicht nachweisen. Die Einzelrichterin hat zu Recht erkannt, dass dem Fahrer des klägerischen Gespannes nicht der Vorwurf gemacht werden kann, es unzureichend beleuchtet und abgesichert bzw. gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen zu haben. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen auf Seiten 5 und 8 LGU. Der Sachverständige Dipl.-Ing. K. hat in seinen beiden schriftlichen Gutachten überzeugend ausgeführt, dass das klägerische Gespann vorschriftsmäßig beleuchtet und abgesichert gewesen ist, dass eine zusätzliche Rundumleuchte nicht zwingend vorgeschrieben war (sie war ausweislich der Lichtbilder in der BA auch nicht vorhanden, was im Berufungsverfahren unstreitig ist), und dass ein weiteres Fahren nach rechts für den Sohn des Klägers die Gefahr der Instabilität des Gespanns sowie der Kollision mit Leitpfosten am rechten Straßenrand bedeutet hätte.

 

Anders als die Einzelrichterin erkennt der Senat keinen Verstoß des Sohnes des Klägers gegen § 1 Abs. 2 StVO. Er fuhr mit 25 – 35 km/h bei erlaubten 80 km/h bereits sehr langsam. Des Weiteren hatte er das klägerische Gespann so weit nach rechts gesteuert, wie es tatsächlich gefahrlos möglich war. Ein Stehenbleiben hätte an der Verkehrssituation nichts geändert, weil die Versicherungsnehmerin der Beklagten über die Mitte der Fahrbahn geraten ist; deshalb wäre es auch zur Kollision gekommen, wenn der Sohn des Klägers mit dem Gespann gestanden hätte. Ob ein Hupen oder Lichtzeichen in Form von Aufblenden oder Warnblinklicht die Versicherungsnehmerin stärker gewarnt hätten, lässt sich nicht sicher beurteilen. Dagegen spricht, dass die Versicherungsnehmerin der Beklagten den erkennbaren Gegenverkehr in Form eines landwirtschaftlichen Zuggespannes schon nicht zum Anlass genommen hat, um zu bremsen und ihr Fahrzeug weiter nach rechts zu lenken.

 

Anzeichen für eine Übermüdung des Sohnes des Klägers sind nicht ersichtlich: Er hat optimal auf den Gegenverkehr reagiert, indem er so weit nach rechts wie möglich gefahren ist.

 

4. Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG

 

Im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG sieht der Senat keinen Anlass dafür, die Haftung des Klägers gegenüber der Beklagten deutlich überwiegen zu lassen, wie die Einzelrichterin es getan hat. Das zweifache Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten (Geschwindigkeitsüberschreitung und Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot) hat den tragischen Verkehrsunfall im Wesentlichen verursacht. Wenngleich die Überbreite des landwirtschaftlichen Gespannes ebenfalls zur Kollision mit beigetragen hat, ist doch zu bedenken, dass die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit einem Fahren weiter rechts problemlos daran hätte vorbeifahren können. Eine geringere Geschwindigkeit hätte ihr mehr Zeit zur Reaktion, sprich einem Lenkmanöver nach rechts, gelassen. Maßgeblich kausal war der Umstand, dass sie die Fahrbahnmitte überfahren hat. Der Umstand, dass das klägerische Gespann überbreit ist und ebenfalls über die Fahrbahnmitte hinausgeragt hat, hat sich wegen der ausreichenden Platzverhältnisse für die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht maßgeblich für das Unfallgeschehen ausgewirkt. Der Sohn des Klägers durfte die schmale Straße befahren und musste dies auch tun, um vom Feld zum Hof des Klägers zu gelangen. Die Überbreite von landwirtschaftlichen Gespannen auf der Straße hätte die Versicherungsnehmerin der Beklagten berücksichtigen müssen, als sie das klägerische Gespann im Gegenverkehr wahrgenommen hat. Nach Abwägung dieser Umstände erscheint dem Senat eine Haftungsquote von 30 % zu 70 % zulasten der Beklagten für angebracht, weil hier einer Verschuldenshaftung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot nur eine erhöhte Betriebsgefahr für ein überbreites Fahrzeuggespann gegenübersteht, was zu einer überwiegenden Haftung der Beklagten führen muss.

 

Ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr, für die der Kläger gemäß § 7 Abs. 1 StVG haftet, hinter dem Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten erscheint dem Senat nicht angebracht. Die Überbreite des Gespanns auf der schmalen Straße und seine Masse haben andere Verkehrsteilnehmer nennenswert gefährdet und hier konkret zur Schwere des Verletzungsbildes bei der Versicherungsnehmerin der Beklagten beigetragen. Für diese standen auf jeder Seite ihres 1,66 m breiten Wagens nur 17 cm zur Verfügung (2 m minus 1,66 geteilt durch 2). Bei einem so schmalen Korridor, noch dazu bei Dunkelheit und auf einer Straße ohne Fahrbahnmarkierungen, kann es relativ leicht geschehen, die Fahrbahnmitte um wenige cm zu überschreiten.

 

5. Schadenshöhe

 

Der materielle Schaden des Klägers in Höhe von insgesamt 15.629,23 EUR ist unstreitig. Hiervon 70 % machen einen Betrag von 10.940,46 EUR aus. Abzüglich der vorgerichtlich bereits gezahlten 7.814,62 EUR verbleiben 3.125,84 EUR, die die Beklagte an den Kläger zahlen muss.

 

Die Zinsforderung folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2017 hat der Kläger die Beklagte ab dem 14. Dezember 2017 in Verzug gesetzt.

 

Die weitergehende Klage ist unbegründet und war abzuweisen. Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen, soweit er über die tenorierte Verurteilung hinaus unbegründet eine höhere Schadensersatzleistung (zu 100 %) verlangt hat.

III.

 

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.

IV.

 

 

Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren folgt aus § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.