Prozessrecht


Abgrenzung allgemeiner Familiensache von sonstiger Zivilsache

BGH, Hinweisbeschluss vom 22.08.2018 - XII ZB 312/18 -

 

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der BGH hatte eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Hamburg deshalb als unzulässig angesehen, da es sich um eine Familiensache handele. Während in Familiensachen Nichtzulassungsbeschwerden unzulässig sind, wäre sie auch bei einer Entscheidung durch das Familiengericht zulässig, wenn es sich tatsächlich um eine Familiensache handele, was vorliegend verneint wurde. Damit hatte sich der BGH mit der notwendigen Abgrenzung auseinandergesetzt.

 

Zugrunde lag dem folgender Sachverhalt: Die Parteien des Verfahrens waren seit 2002 getrennt und das Scheidungsverfahren war seit 2008 rechtshängig. Der Antragsgegner (AG) war bis 2011 alleiniger Gesellschafter der T GmbH, Geschäftsführer von 2003 bis 2008 die Antragstellerin (AS) sowie über 2008 hinaus die neue Lebensgefährtin  des AG, der der AG in 2011 seine Gesellschaftsanteile übertrug.   Die Parteien hatten der Gesellschaft in 2002 Kredite gewährt, deren Rückzahlung „auf erstes Anfordern“ erfolgen sollte. Im März 2014 forderte die AS den AG auf, gemeinsam mit ihr die Kündigung der Kredite gegenüber der Gesellschaft zu erklären, worauf der AG nicht reagierte. Mit ihrer 2014 erhobenen Klage forderte die AS die Abgabe der erforderlichen Willenserklärung vom AG. Der AG verteidigte sich damit, dass er in 2003 der AS die Hälfte des Kredites in bar ausgezahlt habe. Das Landgericht hatte nach Hinweis auf Antrag beider Parteien den Rechtsstreit an das Amtsgericht – Familiengericht – verwiesen, welches den Antrag der AS zurückwies. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem OLG (während dem die Scheidung der Ehe ausgesprochen wurde und der AG seine Lebensgefährtin heiratete) stellte die AS als Hilfsantrag einen Zahlungsantrag, dem das OLG stattgab. Dagegen richtete sich die Nichtzulassungsbeschwerde des AG.

 

Da die Nichtzulassungseschwerde in Familiensachen nicht gegeben sei und eine Rechtsbeschwerde nur bei hier nicht vorliegender Zulassung nach § 70 Abs. 1 FamG statthaft sei, käme es darauf an, ob es sich tatsächlich um eine sonstige Familiensache nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handele.

 

Sonstige Familiensachen seien Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateter oder ehedem verheirateter Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe beträfen, sowie nicht die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) bis k) ZPO genannten Sachgebiete, Wohnungseigentumsrecht oder Erbrecht betroffen sei und sofern es sich nicht nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handele. Ordnungskriterium sei die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand, welches im Interesse der Beteiligten alle durch den sozialen Verband der Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten entscheiden soll. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG müsse ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen, was dann der Fall sei, wenn das Verfahren vor allem der wirtschaftlichen Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten diene. Für die Prüfung käme es nicht lediglich auf den klägerischen Vortrag, sondern auch auf jenen des Beklagten an.   

 

Die AS habe hier das Ziel der Auflösung einer Mitgläubigerschaft mit dem AG (§ 432 BGB) verfolgt. Streitig sei hier lediglich gewesen, ob durch eine Barzahlung des AG die Entflechtung bereits erfolgt sei. Dass der Anspruch seinen Rechtsgrund nicht unmittelbar in der Ehe habe oder aus dieser herrühre, sei unschädlich. Der Begriff des Zusammenhangs mir der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft sei großzügig zu beurteilen. Dies sei nur dann nicht der Fall, wenn ein familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet sei, was nicht der Fall sei, wenn Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsfolge (wie hier) ursächlich sei.

 

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde in der Folge zurückgenommen.

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

Der Antragsgegner wird darauf hingewiesen, dass sein als Nichtzulassungsbeschwerde erhobenes Rechtsmittel gegen den Beschluss des 4. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 12. Juni 2018 unstatthaft und daher als unzulässig zu verwerfen sein dürfte.

 

Der Antragsgegner kann hierzu bis einschließlich 17. September 2018 Stellung nehmen.

 

Gründe

 

I.

 

Die beiden Beteiligten waren miteinander verheiratet und lebten seit Ende 2002 getrennt. Ab dem Jahr 2008 war das Scheidungsverfahren rechtshängig.

 

Der Antragsgegner war bis ins Jahr 2011 alleiniger Gesellschafter der T. GmbH (im Folgenden: GmbH), deren Geschäftsführerinnen in den Jahren 2003 bis 2008 seine (damalige) Ehefrau (im Folgenden: Antragstellerin) sowie seine neue Lebensgefährtin waren. Alleinige Geschäftsführerin der GmbH war ab dem Ausscheiden der Antragstellerin die Lebensgefährtin, auf die der Antragsgegner im Jahre 2011 seine Gesellschaftsanteile übertrug.

 

Die beiden Beteiligten gewährten der GmbH Mitte 2002 aufgrund von vier unbefristeten Darlehensverträgen Kredite in Höhe von insgesamt 90.467,30 €. Die Rückzahlung sollte "auf erstes Anfordern" erfolgen. Im März 2014 forderte die Antragstellerin den Antragsgegner auf, gemeinsam mit ihr die Kündigung der Darlehen gegenüber der GmbH zu erklären. Der Antragsgegner reagierte hierauf nicht.

 

Mit ihrer im April 2014 beim Landgericht erhobenen Klage hat die Antragstellerin die Verurteilung des Antragsgegners zur (Mit-)Erklärung der Darlehenskündigungen begehrt. Der Antragsgegner hat sich mit dem Einwand verteidigt, er habe der Antragstellerin bei einem Gespräch im Jahre 2003, in dem es um die weitere Zusammenarbeit anlässlich der familiären Situation gegangen sei, die Hälfte der Kreditsumme - nämlich 45.000 € - in bar ausgezahlt.

 

Nach entsprechendem Hinweis hat das Landgericht den Rechtsstreit auf übereinstimmenden Antrag beider Beteiligter an das Amtsgericht - Familiengericht - verwiesen, weil es um einen Anspruch gegen den Antragsgegner als den Ehemann gehe und die begehrte Kündigung im Zusammenhang mit der Trennung der Eheleute stehe. Nach den Angaben der Antragstellerin liege der Grund für ihr Begehren "in der Trennung der Eheleute - verbunden mit der Übertragung des Geschäftsanteils des Beklagten an der Darlehensnehmerin auf seine neue Lebensgefährtin - und dem Scheidungsbegehren des Beklagten (…). Das Fernziel der Klage [sei] ersichtlich die wirtschaftliche Entflechtung der Parteien hinsichtlich der gemeinsamen Darlehensrückforderung."

 

Das Amtsgericht hat den Antrag, den Antragsgegner zur Abgabe der Kündigungserklärungen zu verpflichten, zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und mit einem ersten Hilfsantrag die Feststellung begehrt, dass der Antragsgegner - der nach der während des Beschwerdeverfahrens erfolgten Scheidung seine Lebensgefährtin geheiratet hat - zur Kündigungserklärung verpflichtet gewesen sei. Einen zweiten Hilfsantrag hat sie auf die Verpflichtung des Antragsgegners gerichtet, an sie 45.233,65 € nebst Zinsen als Schadensersatz gemäß §§ 745 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB zu zahlen.

 

Das Oberlandesgericht hat diesem zweiten Hilfsantrag bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben, weil der Antragsgegner seine aus § 744 Abs. 1 BGB folgende Pflicht zur gemeinsamen Darlehenskündigung verletzt habe und der Antragstellerin dadurch ein Schaden in hälftiger Darlehenshöhe entstanden sei. Denn ihr hätte nach Kündigung und Rückzahlung des Darlehens die Hälfte zugestanden. Die weitergehende Beschwerde und die weiteren Anträge der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.

 

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seinem als Nichtzulassungsbeschwerde bezeichneten Rechtsmittel.

 

II.

 

Das vom Antragsgegner beim Bundesgerichtshof eingelegte Rechtsmittel ist nach vorläufiger Auffassung des Senats unstatthaft und daher unzulässig. Es dürfte eine sonstige Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorliegen mit der Folge, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde gesetzlich nicht gegeben und die Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 1 FamFG nur bei - hier fehlender - Zulassung durch das Oberlandesgericht eröffnet wäre.

 

Das Rechtsmittelgericht hat das Verfahren allerdings so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 14). Würde es sich daher bei der vorliegenden Sache entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht um eine Familiensache, sondern um eine allgemeine Zivilsache handeln, wäre die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO statthaft. Das ist jedoch nicht der Fall.

 

1. Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt. Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert ("Großes Familiengericht"). Damit sollen bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder die in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Ordnungskriterium dabei ist nach der Gesetzesbegründung allein die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Ein inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft. Bei dieser Prüfung sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen. Für die Prüfung, ob der zur Entscheidung anstehende Verfahrensgegenstand eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit oder eine Familiensache im Sinne des § 17 a Abs. 6 GVG darstellt, kommt es nicht allein auf den Vortrag der Klägerseite, sondern ebenfalls auf das Verteidigungsvorbringen der Gegenseite an (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 8 ff. mwN).

 

2. Gemessen hieran hat das vorliegende Verfahren eine sonstige Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zum Gegenstand. Der von dieser Vorschrift geforderte Zusammenhang ist gegeben.

 

Die Antragstellerin verfolgt das Ziel, eine in der Ehezeit begründete Mitgläubigerschaft (§ 432 BGB) mit dem Antragsgegner für die Rückforderung eines Darlehens aufzulösen, das die - nunmehr geschiedenen - Ehegatten dem damals im wirtschaftlichen Eigentum des Antragsgegners stehenden Unternehmen gewährt haben. Anlass für die Streitigkeit ist nach Darstellung beider Beteiligter das Scheitern der Ehe und die sich daraus ergebende Frage, wie die in diesem Punkt bestehende wirtschaftliche Verflechtung der beiden Ehegatten aufzulösen ist. Streitig ist allein, ob diese Entflechtung schon durch eine Barzahlung des Antragsgegners im Jahre 2003 herbeigeführt worden ist oder noch aussteht. Die für § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG nötige, durch den sozialen Verbund der Ehe zwischen den Beteiligten bestehende sachliche Verbindung des Rechtsstreits zu den familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen der Beteiligten ist mithin gegeben. Dass die hier geltend gemachten Ansprüche ihren Rechtsgrund nicht unmittelbar in der Ehe haben oder aus dieser herrühren, ist insoweit unschädlich. Denn im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte ist der Begriff des Zusammenhangs mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft großzügig zu beurteilen. Auszuscheiden sind nur die Fälle, in denen ein vorhandener familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint. Das ist nicht der Fall, wenn Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe - wie hier - in tatsächlicher Hinsicht für die geltend gemachte Rechtsfolge ursächlich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2012 - XII ZB 652/11 - FamRZ 2013, 281 Rn. 29 mwN).

 

 

Eine der von § 266 Abs. 1 FamFG genannten Spezialzuständigkeiten liegt nicht vor. Insbesondere handelt es sich bei den von den Ehegatten ausgereichten Darlehen nach keiner der vertretenen Auffassungen (vgl. hierzu etwa OLG München FamRZ 2015, 277, 279; Heinemann FamRB 2014, 413, 414; Keidel/Giers FamFG 19. Aufl. § 266 Rn. 21) um Bank- und Finanzgeschäfte im Sinne von § 266 Abs. 1 FamFG, § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b ZPO; ebenso wenig liegt eine Handelssache nach § 266 Abs. 1 FamFG, § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. f ZPO, § 95 GVG vor.