Werkvertragsrecht


Gewährleistungsansprüche: Unwirksame AGB-Sicherungsklausel im Bauwerkvertrag

BGH, Urteil vom 30.03.2017 - VII ZR 170/16 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Streitgegenständlich war im Revisionsverfahren noch eine Forderung der Klägerin (Werkunternehmer) auf restwerklohn in Höhe von € 7.470,72. Es handelte sich hier um einen von der Beklagten nach dem Bauwerkvertrag einbehaltenen Sicherungseinbehalt. In der entsprechenden Klausel des Bauwerkvertrages hießt es:

 

22.1. Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft -, den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den AG in Höhe von 5% der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und Erstattung von Überzahlungen.

22.2. Der AN ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank … abzulösen; frühestens allerdings nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellter Mängel oder fehlender Leistungen…

 

Der BGH ging, mangels anderweitiger Feststellungen der Vorinstanzen im Revisionsverfahren davon aus, dass es sich bei dem Vertrag um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Diese verweigerte die Zahlung des darauf gestützten Betrages, nachdem die Klägerin wegen fehlender Baufreiheit den Vertrag kündigte und die erbrachten Leistungen abrechnete. Sie hatte zusammen mit dem Architekten ein Mängelprotokoll erstellt, welches allerdings von der Klägerin nicht gegengezeichnet wurde.

 

In den Vorinstanzen wurde die Klage abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das OLG.

 

Nach Auffassung des BGH verstößt die Regelung in 22.1. und 22.2. des AGB-Werkvertrages gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. In diesem Sinne sei eine Klausel unangemessen, nach der der Auftraggeber für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Einbehalt zur Sicherung seiner daraus resultierenden möglichen Ansprüche vornehmen darf, der Auftragnehmer dafür aber keinen angemessenen Ausgleich erhält und das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist trägt und ihm die Liquidität sowie die Verzinsung vorenthalten werden.

 

Allerdings sei unter diesem Gesichtspunkt eine Klausel, nach der der Auftraggeber 5% der Bausumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist durch eine selbstschuldnerische unbefristete ablösen kann, danach nicht unwirksam. Dies folge daraus, dass die in der Zinsbelastung und einer Einschränkung der Kreditlinie bei Bereitstellung einer Bürgschaft im Hinblick auf das berechtigte Sicherungsinteresse des Auftraggebers nicht so gewichtig sind, um daraus die Unwirksamkeit herzuleiten (Senat vom 26.02.2004 - VII ZR 247/02 -).

 

Allerdings sei diese Klausel dann unwirksam, wenn  - wie hier – die Ablösung des Einbehalts durch eine Bürgschaft davon abhängig gemacht würde, dass wesentliche Mängel nicht (mehr) vorhanden sind (Senat vom 13.11.2003 - VII ZR 57/02 -).

 

Die Regelungen unter 22.1. und 22.2. stellen sich nach Ansicht des BGH als Einheit dar und bedürften daher einer Gesamtbeurteilung. Da hier die Ablösemöglichkeit erst nach Beseitigung von im Abnahmeprotokoll  festgestellter Mängel oder fehlender Leistungen bestünde, handele es sich um eine so weitreichende Einschränkung, dass ein angemessener Ausgleich im Hinblick auf Nachteile des Auftragnehmers nicht mehr angenommen werden könne. Die Frage, ob Mängelrügen bei der Abnahme resp. die Rügen fehlender Leistungen berechtigt sind oder nicht, könne zu einer langjährigen Kontroverse führen, die sich über die Dauer der Mängelfrist für Gewährleistungsansprüche hinziehen könnte.

 

 

Die Zurückverweisung erfolgte, damit das OLG klärt, ob es sich bei den Regelungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt.

 

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 25. Mai 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von Restwerklohn für Bauarbeiten.

Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit schriftlichem "Bauwerkvertrag nach BGB" vom 25./26. Juni 2012 (im Folgenden: Bauwerkvertrag) mit der Errichtung eines Rohbaus für einen Anbau (Einliegerwohnung/Erweiterungsbau zum bestehenden Einfamilienhaus) in J. zum Pauschalpreis von brutto 150.000 €.

§ 22 des Bauwerkvertrags lautet auszugsweise:

"§ 22 Sicherheitseinbehalt

22.1 Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den AG [= Auftraggeber] in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen.

22.2 Der AN [= Auftragnehmer] ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen. …"

Die Klägerin kündigte den Vertrag mit Anwaltsschreiben vom 4. Juni 2013 wegen fehlender Baufreiheit. Sie erteilte am 17. Juni 2013 Schlussrechnung, mit der sie einen Restbetrag von 59.469,09 € geltend machte. Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Schreiben vom 1. Juli 2013 wegen Schuldnerverzugs.

In einem vom 10. Juli 2013 datierenden, von der Beklagten und dem Architekten O., nicht aber von der Klägerin unterschriebenen Abnahmeprotokoll sind Mängel und nicht erfolgte Restarbeiten aufgeführt.

Die Klägerin hat in erster Instanz Restwerklohn zuletzt in Höhe von 59.169,09 € nebst Zinsen gefordert. Das Landgericht hat die Beklagte nach Beweisaufnahme verurteilt, an die Klägerin 14.063,08 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen dieses Urteil sind erfolglos geblieben.

Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision zugelassen, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme (= 7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen hat der Senat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin den nicht zuerkannten Werklohnanspruch zuzüglich Zinsen im Umfang der Zulassung der Revision weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt im angefochtenen Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

Bezüglich des Sicherheitseinbehalts sei die Berufung unbegründet. Das Landgericht habe den Sicherheitseinbehalt zu Recht von der Klageforderung abgezogen. Er sei entgegen der Ansicht der Klägerin wirksam vereinbart. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Einbehalt nicht nur wegen wesentlicher, sondern auch wegen unwesentlicher Mängel zugelassen sei.

Auch die fehlende Regelung über eine Einzahlung auf ein Sperrkonto führe nicht zur Unwirksamkeit der Klausel. Denn eine solche Anforderung stelle nur § 17 VOB/B. Die VOB/B sei aber im vorliegenden Fall nicht wirksam in den Bauvertrag einbezogen worden. Deshalb sei auch die Sperrkontoregelung des § 17 VOB/B nicht anzuwenden.

Einer Wirksamkeit der Einbehaltsklausel stehe auch nicht entgegen, dass ein Sicherheitseinbehalt neben einem Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht werden könne.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen nicht zurückgewiesen werden.

1. Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 und § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.

2. Auf dieser Grundlage ist die Vereinbarung eines Einbehalts "in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen" gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

a) Nach dieser Vorschrift ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteile vom 16. Februar 2017 - VII ZR 242/13 Rn. 22; vom 22. September 2016 - III ZR 264/15, NJW-RR 2016, 1387 Rn. 25; vom 7. September 2016 - IV ZR 172/15, VersR 2016, 1420 Rn. 27 und vom 16. Juni 2016 - VII ZR 29/13, BauR 2016, 1475 Rn. 15 = NZBau 2016, 556).

Bei der Prüfung, ob eine vom Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellte Klausel, mit der ein Sicherheitseinbehalt vereinbart wird, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, sind nicht nur Höhe und Dauer des Einbehalts, sondern auch der Regelungszusammenhang, in dem die Klausel steht, zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für die Art, wie der Einbehalt abgelöst werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27, 30, juris Rn. 12). Sicherungseinbehalt und Ablösungsmöglichkeit sind untrennbar miteinander verknüpft, was eine einheitliche, die wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Gesamtbeurteilung des die Sicherungsvereinbarung betreffenden Regelungsgefüges gebietet (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rn. 20 m.w.N.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs benachteiligt eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, nach der der Auftraggeber für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche vornehmen darf, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, wenn diesem kein angemessener Ausgleich dafür zugestanden wird, dass er, der Auftragnehmer, den Werklohn nicht sofort ausgezahlt bekommt, das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen muss und ihm die Liquidität sowie die Verzinsung des Werklohns vorenthalten werden (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2007 - VII ZR 210/06, NZBau 2007, 583 Rn. 6 m.w.N. = BauR 2007, 1575, 1576).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, wonach ein Sicherheitseinbehalt in Höhe von 5 % der Bausumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist durch eine selbstschuldnerische unbefristete Bürgschaft abgelöst werden kann, nicht gemäß § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam (BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 f.). Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass die in der Zinsbelastung und der Einschränkung der Kreditlinie liegenden Nachteile bei Bereitstellung einer derartigen Bürgschaft in Anbetracht der berechtigten Sicherungsinteressen des Auftraggebers nicht als so gewichtig erscheinen, dass ihretwegen die Unwirksamkeit der Klausel angenommen werden müsste (BGH, Urteil vom 26. Februar 2004 - VII ZR 247/02, BauR 2004, 841, 843, juris Rn. 20 = NZBau 2004, 323).

Eine solche Klausel ist indes nach § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam, wenn die Ablösung des Sicherheitseinbehalts zusätzlich davon abhängig gemacht wird, dass wesentliche Mängel nicht (mehr) vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 und 17).

b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die

 

formularmäßige Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die Vertragsbestimmungen § 22.1 und § 22.2 Satz 1 bilden entsprechend dem vorstehend Ausgeführten eine untrennbare Einheit; sie unterliegen einer Gesamtbeurteilung.

Die getroffene Regelung benachteiligt die Klägerin als Auftragnehmerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Das ergibt sich jedenfalls aus der Einschränkung, dass eine Ablösungsmöglichkeit bezüglich des Sicherheitseinbehalts frühestens nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlenden Leistungen besteht. Diese Einschränkung ist so weitreichend, dass ein angemessener Ausgleich zu den mit dem Sicherheitseinbehalt für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen nicht mehr zugestanden wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 32, juris Rn. 17). Die Frage, ob im Abnahmeprotokoll festgestellte Mängel vollständig beseitigt sind, kann Gegenstand langwieriger Kontroversen sein, die sich über die Dauer der Verjährungsfrist für die Mängelansprüche hinziehen können. Jeder diesbezügliche Streit kann zur Blockade der Ablösungsmöglichkeit führen, so dass es dann bei dem Sicherheitseinbehalt und den mit diesem für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, aaO). Entsprechendes gilt bezüglich etwaiger im Abnahmeprotokoll als fehlend festgestellter Leistungen.

III.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. In diesem Umfang ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen in der Sache nicht selbst entscheiden (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO), weshalb die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

Das Berufungsgericht wird Feststellungen dazu zu treffen haben, ob es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.