Prozessrecht


Unselbständigen Anschlussberufung: Kostenrisiko bei Beschluss nach § 522 ZPO

OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.06.2021 - 23 U 728/21 -

 

Kurze Inhaltsangabe:

 

1. Eine Anschlussberufung liegt vor, wenn eine Partei gegen ein der Klage teilweise stattgebendes Urteil das Rechtmittel der Berufung zur nächsthöheren Instanz einlegt und die andere Partei nachfolgend ebenfalls. Anschluss Berufung wird qua Definition von demjenigen eingelegt, der das Rechtsmittel als Zweiter einlegt. Für die Rechtsfolgen ist entscheidend, ob es sich um eine selbständige oder eine unselbständige Anschlussberufung handelt.

 

Handelt es sich um eine selbständige Anschlussberufung, so gelten für diese die üblichen Normen der ZPO für Berufungen und zwischen dem Berufungskläger und dem Anschlussberufungskläger besteht keinerlei Unterschied in der Behandlung der jeweiligen Berufung. Eine selbständige Berufung liegt vor, wenn die Anschlussberufung als solche qua Zulassung oder Streitwert zulässig ist und innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils durch einen an einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt wird. Um eine unselbständige Anschlussberufung handelt es sich in dem Fall, dass die Berufung erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt wird, eine Berufung der anderen Partei bereits vorliegt (die allerdings für die Zulässigkeit der Anschlussberufung auch zulässig sein muss, also rechtzeitig erhoben sein muss und ansonsten zulässig sein müsste) oder aber zwar evtl. auch innerhalb der eigenen Berufungsfrist eingelegt wird, aber im Hinblick auf den Streitwert und mangels Zulassung ansonsten nicht zulässig wäre.

 

Die unselbständige Anschlussberufung wird zwar wie eine normale Berufung behandelt, ist aber letztlich ist abhängig von der Berufung (Hauptberufung) der anderen Partei. Nimmt die andere Partei ihre Berufung (noch zulässig) zurück oder weist das Berufungsgericht die Berufung der anderen Partei wegen offensichtlicher Unbegründetheit nach § 522 ZPO per Beschluss (nicht durch Urteil; im Falle eines Urteils wäre auch in der Sache über die Anschlussberufung zu entscheiden) zurück, so kann auch nicht mehr über die unselbständige Anschlussberufung entschieden werden. Ihre Zulässigkeit ist von dem Bestand er Hauptberufung abhängig.

 

In diesem Zusammenhang besteht in Literatur und Rechtsprechung Streit zu der Frage, wie mit den Kosten der Anschlussberufung umzugehen ist. Teils wird angenommen, dass mit der Zurückweisung nach § 522 ZPO der Hauptberufungsführer auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen habe, teils wird angenommen, dass die Kosten nach dem Verhältnis von Berufung und Anschlussberufung zu quoteln sind (auch dann, wenn die Anschlussberufung in der Sache Erfolg haben könnte).

 

2. Das OLG Stuttgart hatte die Hauptberufung im Beschlussweg nach § 522 ZPO in seinem hier besprochenen Beschluss zurückgewiesen und dabei gleichzeitig festgestellt, dass die unselbständige Anschlussberufung wirkungslos wurde (§ 524 Abs. 4 ZPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens (aus dem Streitwert von Hauptberufung und Anschlussberufung) hatte es im Verhältnis von 8%   des unselbständigen Anschlussberufung hatte es dem Kläger als Hauptberufungsführer mit 8%, dem Beklagten im Hinblick auf dessen unselbständige Anschlussberufung mit 92% auferlegt.

 

Zur Begründung der Kostenentscheidung wies das OLG darauf hin, dass § 522 Abs. 2  S. 1 ZPO nicht klärt, wer die Kosten einer zulässigen unselbständigen Anschlussberufung zu tragen habe und dies auch bisher höchstrichterlich Rechtsprechung (BGH) nicht geklärt sei, in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten sei. Es entscheid sich zu der Quotelung entsprechend einem jeweiligen Obsiegen zum Unterliegen und hat damit den Anschlussberufungskläger wie eine unterlegene Partei behandelt, ohne die mögliche Begründetheit dessen Berufung zu würdigen. Dabei hat sich das OLG mit verschiedenen Konstelltationen, die in der obergerichtlichen Rechtsprechung gebildet wurden. auseinandergesetzt:

 

Kostenteilung wegen Missbrauchsgefahr (so OLG Köln, Beschluss vom 23.07.2009 - 4 UF 80/09 - und OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2009 – 12 U 220/08 -): Dabei würde zugrunde gelegt, der Anschlussberufungskläger könne das Rechtsmittel nur einlegen, um die Kosten für den Berufungskläger in die Höhe zu treiben. Das könne zwar angenommen werden, wenn die Anschlussberufung erst nach einem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO erfolge (Hinweis darauf, dass beabsichtigt sei, die Berufung zurückzuweisen) oder z.B. offensichtlich sei, dass die Berufung unzulässig oder unbegründet ist. Dies sie aber nicht der Regelfall und könne hier nicht angenommen werden.

 

Kostenteilung wegen Abwartens bis zu einer Terminierung (z.B. OLG München, Beschluss vom 11.04.2014 – 23 U 4499/13 -). Da aber die Anschlussberufung (mit Ausnahme des Falles in § 524 Abs. 2 S. 3 ZPO) eine Anschließung nur bis zum Ablauf der (Anm.: diesbezüglich nicht verlängerbaren) Berufungserwiderungsfrist erfolgen könne, sei dies auch kein Argument für eine Kostenteilung, da in der Regel bis zu diesem Zeitpunkt keine Terminierung erfolge.

 

Gegen eine Kostenteilung spreche nicht, dass damit die Rücknahme der Berufung nach einem Hinweis nach § 522 ZPO mit der Zurückweisung nach § 522 ZPO gleichgestellt werden müssten. Diese Fälle lägen nicht gleich. Bei der Zurücknahme ohne gerichtliche Entscheidung durch eine im Belieben des Berufungsklägers liegende Entscheidung erfolge, nicht durch eine gerichtliche Maßnahme (Beschluss). Zwar könne nicht maßgeblich für eine Kostenteilung bei Zurückweisung sprechen, dass die Rücknahme noch im Belieben des Hauptberufungsführers stünde was zwar der Fall sei. Allerdings müsse für die Zurücknahme nicht zwingend sprechen, dass er sich von der Argumentation des Gerichts überzeugen ließ, da auch anderweitige Erwägungen (so, dass er zur Einsparung von Kosten darauf verzichte, des Gericht durch Argumentation von seiner Sicht zu überzeugen) möglich seien. Nutze der Hauptberufungsführer sein Recht zum rechtlichen Gehör und versuche er, das Gericht von einer Zurückweisung nach § 522 ZPO abzubringen, könne ihm dies alleine nicht zum Nachteil gereichen, weshalb es an einer Grundlage fehle, ihm auch die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen.

 

Folgende Gründe benannte das OLG zur Rechtefertigung seiner Kostenentscheidung:

 

Das Grundprinzip sei, dass derjenige, der mit seinem Angriff erfolglos bliebe, die Kosten dieses Angriffs zu tragen habe, gleich aus welchem Grund er damit erfolglos geblieben sei (so z.B. OLG München, Beschluss vom 23.07.2009 - 23 U 4499/13 -; zu Anschlussrevision BGH, Beschluss vom 11.03.1981 - GSZ 1/80 -). Zwar sei die unselbständige Anschlussberufung kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Angriff innerhalb der Berufung des Gegners, weshalb § 97 ZPO (Kosten des Rechtsmittels) nicht in Betracht käme. Der Grundsatz gelte insoweit, als nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO derjenige die Kosten trage, der unterliege. Dies setze sich in § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO fort, wonach bei teilweisen Obsiegen und Unterliegen die Kosten im Verhältnis aufzuteilen seien. Auch hebe der Kläger bei einer Klagerücknahme gem. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO regelmäßig die Kosten zu tragen ebenso der Berufungsführer bei einer Berufungsrücknahme . Auch im Rahmen des § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO (Hauptsacheerledigung) seien im Rahmen einer Ermessenentscheidung die jeweiligen Erfolgsaussichten bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen. Nach § 96 ZPO könnten auch dem obsiegenden Kläger Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels auferlegt werden. Es könne also nicht formal darauf abgestellt werden, dass die unselbständige Anschlussberufung kein eigenständiges Rechtsmittel sei. Sie diene nicht nur zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs, sondern mit ihr erstrebe die Partei mit Sachanträgen eine Abänderung der Entscheidung zu ihren Gunsten. Auch wenn die Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung gem. § 524 Abs. 4 ZPO kein Unterliegen iSv. § 92 ZPO sei, führe dies zur Erfolglosigkeit der Anschlussberufung.

 

Derjenige, der eine unselbständige Anschlussberufung einlege, hätte durch rechtzeitige eigene Berufungseinlegung sicherstellen können, dass sein Rechtsmittel nicht von demjenigen des Gegners abhängig ist. Weiterhin hätte er die unselbständige Anschlussberufung unter einer zulässigen auflösenden Bedingung erheben können (OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.07.2012 – 5 U 126/11 -; Anmerkung: Es ist strittig, ob eine Anschlussberufung unter einer Bedingung prozessual zulässig ist). 

 

 

Die Kostenquotelung sei nach dem jeweiligen Wert ermittelten Quote der Berufungsanträge zu bemessen. 

 

Aus den Gründen:

 

Tenor

 

 

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. September 2020, Aktenzeichen 20 O 190/20, wird zurückgewiesen.

 

2. Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. September 2020, Aktenzeichen 20 O 190/20, ist wirkungslos.

 

3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 8% und die Beklagte 92%.

 

4. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 37.312,93 € festgesetzt (Berufung des Klägers: 3.091,97 €, Anschlussberufung der Beklagten: 34.220,96 €).

 

Gründe

 

I.

 

Die Parteien streiten über Ansprüche wegen eines etwaigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Dieselfahrzeug.

 

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und der Anträge wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 12. März 2021 (Bl. 108 ff. d. eA.) und den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

 

Mit dem Hinweisbeschluss hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Berufung nach übereinstimmender Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg habe.

 

Eine Stellungnahme des Klägers hierzu ist nicht eingegangen.

 

II.

 

Die zulässige Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie nach einstimmiger Auffassung des Senats, auch in der geänderten Besetzung, offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

 

Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats verwiesen. Mangels Gegenerklärung sind weitere Ausführungen insoweit nicht erforderlich.

 

III.

 

Mit der Zurückweisung der Berufung verliert gemäß § 524 Abs. 4 Var. 3 ZPO die Anschlussberufung der Beklagten ihre Wirkung.

 

IV.

 

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und dem Rechtsgedanken der §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 91a Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1, 96, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2, 516 Abs. 3 Satz 1, 565 Satz 1 ZPO.

 

a) Wer bei einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Kosten einer zulässigen Anschlussberufung trägt, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, höchstrichterlich nicht geklärt (offengelassen von BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 – XI ZB 9/05, juris, Rn. 8) und in der obergerichtlichen Rechtsprechung äußerst umstritten (zur Literatur siehe z. B. einerseits Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 524, Rn. 44, und MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, § 524, Rn. 60, andererseits BeckOK-ZPO/Wulf, 40. Ed., 1.3.2021, § 524, Rn. 34, und sehr ausführlich Vidal/Aufderheide, NJW 2016, 3269). Insbesondere kommt entweder in Betracht, die Kosten des Berufungsverfahrens anhand der jeweiligen Streitwerte zu teilen oder dem Berufungskläger auch die Kosten der Anschlussberufung des Gegners aufzuerlegen.

 

b) Nach Ansicht des Senats ist es vorzugswürdig, die Kosten des Berufungsverfahrens entsprechend dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Parteien mit Berufung und Anschlussberufung zu teilen.

 

aa) Einige Argumente, die zu dieser Frage vorgebracht wurden, überzeugen nicht.

 

(1) Dies gilt zunächst für eine etwaige Missbrauchsgefahr, die für eine Kostenteilung herangezogen wird, etwa weil ein Berufungsbeklagter allein deshalb Anschlussberufung einlegen könne, um den Gegner mit weiteren Kosten zu belasten (so z. B. OLG Köln, Beschluss vom 23. Juli 2009 – 4 UF 80/09, juris, Rn. 9, das im betreffenden Fall Anhaltspunkte für eine solche Vermutung gesehen hat; s. a. OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. März 2009 – 12 U 220/08, juris, Rn. 5). Einem Missbrauch kann jedoch im konkreten Einzelfall begegnet werden, was z. B. in Betracht kommen könnte, wenn die Anschlussberufung erst eingelegt wird, nachdem das Gericht bereits einen Hinweis erteilt hat, oder wenn sie schon ohne nähere Sachprüfung offensichtlich unbegründet ist, sowie wenn die Berufung offensichtlich aussichtslos und dies für den Anschlussberufungskläger bei Einlegung der Anschlussberufung unzweifelhaft erkennbar ist. Anlass, die Gefahr eines Missbrauchs auch für diejenigen Fälle heranzuziehen, in denen ein solcher – was in aller Regel der Fall sein dürfte – nicht ersichtlich ist, besteht nicht.

 

(2) Mit dem Argument, dass mit der Einlegung der Anschlussberufung abgewartet werden könne, bis das Gericht Termin bestimme und mithin keinen Hinweisbeschluss erlasse (so z. B. OLG München, Beschluss vom 11. April 2014 – 23 U 4499/13, juris, Rn. 9; OLG Köln, Beschluss vom 23. Juli 2009 – 4 UF 80/09, juris, Rn. 9; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. März 2009 – 12 U 220/08, juris, Rn. 5), kann eine generelle Kostenteilung ebenfalls nicht begründet werden. Gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist – abgesehen von der Ausnahme in Satz 3 – die Anschließung nur bis zum Ablauf der Berufungserwiderungsfrist möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt wird aber häufig noch keine Entscheidung des Gerichts erfolgt sein, ob ein Termin bestimmt oder nach § 522 Abs. 2 ZPO vorgegangen wird. Hinzu kommt, dass das Gericht selbst nach einer Terminsbestimmung den Termin wieder aufheben und gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vorgehen kann.

 

(3) Gegen eine Kostenteilung wiederum spricht nicht, dass die Rücknahme auf einen gerichtlichen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO und die Zurückweisung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO kostenmäßig gleichbehandelt werden müssten, denn die beiden Fälle liegen nicht gleich. Zwar mag die Rücknahme in diesem Fall für den Berufungskläger nur eingeschränkt und mehr dem Namen nach „freiwillig“ sein (s. a. OLG München, Beschluss vom 19. November 2013 – 14 U 1510/13, Rn. 20) und es für den Anschlussberufungskläger in der Sache keinen Unterschied machen, ob seine Anschlussberufung – jeweils ohne (über eine argumentative Stellungnahme hinausgehende) Einflussmöglichkeit seinerseits und ohne gerichtliche Sachprüfung – durch Rücknahme oder durch Zurückweisung der Berufung wirkungslos wird (vgl. Vidal/Aufderheide, NJW 2016, 3269, 3272). Dies ändert aber nichts daran, dass die Anschlussberufung im einen Fall durch die gerichtliche Entscheidung, im Beschlusswege vorzugehen statt mündlich zu verhandeln, und sodann eine gerichtliche Sachentscheidung – wenn auch in der Sache der Berufung, nicht der Anschlussberufung –, im anderen hingegen durch eine im Belieben des Berufungsklägers stehende Prozesshandlung wirkungslos wird (OLG München, Beschluss vom 11. April 2014 – 23 U 4499/13, juris, Rn. 10; s. a. zur Anschlussrevision BGH, Beschluss vom 11. März 1981 – GSZ 1/80, juris, Rn. 11 f.), weshalb die Grundsätze der Kostenverteilung im Fall der Zurückweisung der Berufung nicht auf den Fall der Rücknahme nach Hinweis übertragen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 – XI ZB 9/05, juris, Rn. 8) oder umgekehrt.

 

(4) Allerdings dürfte umgekehrt auch nicht maßgeblich für eine Kostenteilung bei Zurückweisung sprechen, dass die Rücknahme auch nach Hinweis des Gerichts noch im Belieben des Klägers steht. Dies trifft zwar zu, dennoch erfolgt eine Rücknahme nicht zwingend deshalb, weil der Kläger sich von der Argumentation des Gerichts überzeugen lässt, sondern kann auch allein darauf beruhen, dass er zur Einsparung von Kosten auf den Versuch verzichtet, das Gericht von seiner Auffassung zu überzeugen. Wenn er insoweit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nutzt, sollte ihm das nicht allein mit diesem Argument zum Nachteil gereichen, zumal nach seiner Stellungnahme vor einer etwaigen Zurückweisung in aller Regel kein weiterer Hinweis erfolgt, der ihm trotz inhaltlicher Gegenwehr noch eine kostensparende Rücknahme ermöglicht.

 

bb) Es gibt sodann bedenkenswerte Argumente dafür, dem Berufungskläger auch die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen.

 

(1) Der Gesetzgeber gibt dem Berufungskläger im Rahmen des § 522 Abs. 2 ZPO nicht nur rechtliches Gehör, sondern auch die Gelegenheit, seine vom Gericht als aussichtslos eingeschätzte Berufung auf einen entsprechenden Hinweis hin kostengünstig zurückzunehmen, wodurch auch zur Entlastung der Gerichte beigetragen werden soll; wird die Rücknahme der Berufung – die, auch wenn sie nach einem Hinweis des Gerichts erfolgt, zur Folge hat, dass der Berufungskläger auch die Kosten der Anschlussberufung trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 – XI ZB 9/05, juris, Rn. 7) – hinsichtlich der Kosten der Anschlussberufung anders behandelt als ihre Zurückweisung durch Beschluss, steht der Berufungskläger im Falle einer Anschlussberufung je nach jeweiligem Streitwert in vielen Fällen bei der Rücknahme hinsichtlich der Kosten wirtschaftlich ungünstiger und wird dann in aller Regel von einer Rücknahme selbst dann absehen, wenn er von dieser als sinnvoll überzeugt ist (vgl. z. B. OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 11 U 85/18, juris, Rn. 13 f.; OLG München, Beschluss vom 19. November 2013 – 14 U 1510/13, Rn. 21 ff.; KG Berlin, Beschluss vom 30. Oktober 2013 – 26a U 98/13, Rn. 18, a. E.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. September 2012 – 6 U 844/12, juris, Rn. 39 ff.).

 

Ein „Wertungswiderspruch“ dürfte zwar nicht vorliegen, da der vielfach so genannte „einsichtige“ Berufungskläger nicht in jedem Fall bessergestellt werden muss als ein „uneinsichtiger“, der auch nur seinen Anspruch auf rechtliches Gehör wahrnimmt. Allerdings würde die Bestrebung des Gesetzgebers in den betreffenden Fällen konterkariert. In vielen dieser Fälle würde der Kläger seine Berufung allein deshalb weiterführen, um nicht aufgrund der Rücknahme mit höheren Kosten belastet zu werden, was nicht prozessökonomisch wäre und zu einem höheren Aufwand bei den Gerichten führte.

 

(2) Ein weiteres Argument, das nicht von der Hand gewiesen werden kann, liegt darin, dass der Anschlussberufungskläger Kosten tragen soll, obwohl nicht nur keine Sachentscheidung über seine materiell möglicherweise erfolgversprechenden Anträge ergeht – dies wäre für sich auch im Rahmen des § 93 ZPO oder des § 91a ZPO der Fall –, sondern dies zudem vollständig „fremdbestimmt“ ohne eigenen Einfluss seinerseits geschieht (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 11 U 85/18, juris, Rn. 14; OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. September 2012 – 6 U 844/12, juris, Rn. 36, das hierin einen der Unterschiede zur Entscheidung des BGH, Beschluss vom 11. März 1981 – GSZ 1/80, juris, zur Anschlussrevision, sieht).

 

cc) Erhebliche Gründe sprechen hingegen dafür, die Kosten zwischen dem Berufungskläger und dem Anschlussberufungskläger zu teilen.

 

(1) Ein maßgebliches Grundprinzip der Kostenentscheidung ist es, dass derjenige, der mit seinem Angriff erfolglos bleibt, die Kosten des Angriffs trägt, und zwar unabhängig davon, ob dieser sachlich geprüft wurde, bereits unzulässig war oder von ihm Abstand genommen wurde, die Kostenfolge mithin durch Erfolg und Misserfolg bestimmt wird (vgl. z. B. OLG Rostock, Beschluss vom 21. Dezember 2018 – 1 U 25/17, Rn. 70 f; OLG München, Beschluss vom 11. April 2014 – 23 U 4499/13, juris, Rn. 8; OLG Köln, Beschluss vom 23. Juli 2009 – 4 UF 80/09, juris, Rn. 9; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. März 2009 – 12 U 220/08, juris, Rn. 4; s. a. zur Anschlussrevision BGH, Beschluss vom 11. März 1981 – GSZ 1/80, juris, Rn. 7).

 

Die Anschlussberufung ist zwar kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Angriff innerhalb des vom Berufungsklägers eingelegten Rechtsmittels (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 – XI ZB 9/05, juris, Rn. 6), weshalb jedenfalls eine unmittelbare Anwendung des diesem Grundprinzip entsprechenden § 97 ZPO nicht in Betracht kommt. Hierauf beschränkt sich der genannte Grundsatz indes nicht (insoweit verkürzend Vidal/Aufderheide, NJW 2016, 3269, 3271). Er gilt zunächst insoweit, als nach der grundlegenden Vorschrift des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO derjenige die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, der in diesem unterliegt. Dies setzt sich in § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO fort, der den Fall, dass jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt, entsprechend regelt. Ebenso hat derjenige, der aufgrund eigener Entscheidung in der Sache erfolglos bleibt, regelmäßig die Kosten zu tragen, sei es gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO bei einer Klagerücknahme, gemäß §§ 516 Abs. 3 Satz 1, 565 Satz 1 ZPO bei der Rücknahme eines Rechtsmittels oder – wie die Ausnahmeregelung des § 93 ZPO – zeigt bei einem Anerkenntnis des Anspruchs. Auch im Rahmen des § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO werden im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung die jeweiligen Erfolgsaussichten maßgeblich berücksichtigt. Schließlich können gemäß § 96 ZPO – wenn auch diese, auf ausscheidbare Kosten bezogene Vorschrift nicht unmittelbar anwendbar ist (zutreffend OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. September 2012 – 6 U 844/12, juris, Rn. 37) – die Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels der Partei, die es geltend gemacht hat, sogar dann auferlegt werden, wenn sie in der Hauptsache obsiegt.

 

Hieran zeigt sich auch, dass nicht allein formal darauf abgestellt werden kann, dass die Anschlussberufung kein eigenes Rechtsmittel ist. Mehr noch als ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne des § 96 ZPO, der eine entsprechende Verteilung (dort im Rahmen einer Kostentrennung) nach Ermessen ermöglicht, ist die Anschlussberufung nicht nur ein sachliches oder prozessuales Vorbringen, um einen Anspruch durchzusetzen oder abzuwehren, sondern erstrebt sie – wie die Berufung selbst, wenn auch prozessual von dieser abhängig – mit Sachanträgen die Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

 

Auch trifft zwar formal zu, dass die Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung gemäß § 524 Abs. 4 ZPO kein Unterliegen im Sinne des § 92 ZPO und keine Erfolglosigkeit im Sinne des § 96 ZPO ist (so OLG München, Beschluss vom 19. November 2013 – 14 U 1510/13, juris, Rn. 9 f.). Im Ergebnis indes unterliegt der Anschlussberufungskläger insoweit und bleibt mit seiner Anschlussberufung erfolglos, da er mit seinen angekündigten Sachanträgen nicht durchdringt.

 

(2) Es ist zwar richtig, dass dies geschieht, ohne dass eine gerichtliche Sachprüfung der Anschlussberufung erfolgt, sowie ohne Einflussmöglichkeit seitens des Anschlussberufungsklägers (vgl. z. B. OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. September 2012 – 6 U 844/12, juris, Rn. 37). Demjenigen, der eine Anschlussberufung eingelegt hat, wäre indes unschwer möglich gewesen, es zu vermeiden, dass ihn eine nachteilige Kostenfolge ohne inhaltliche Prüfung seiner Anträge nur wegen der Zurückweisung der Berufung des Gegners treffen kann. Zum einen hätte er insbesondere eine selbständige Berufung einlegen können, um eine Entscheidung über seine Anträge sicherzustellen (so auch OLG München, Beschluss vom 11. April 2014 – 23 U 4499/13, juris, Rn. 9); gleichgültig, ob er sich mit dem angegriffenen Urteil zufriedengegeben hätte, wenn der Gegner nicht Berufung eingelegt hätte, oder ob er schlicht die Berufungsfrist versäumt hat, ist ihm dies jedenfalls zuzurechnen (anders OLG Frankfurt, Beschluss vom 18. Juli 2018 – 13 U 236/16, juris, Rn. 7, das den Berufungskläger als „ursprünglichen Veranlasser der Anschlussberufung“ sieht). Zum anderen hätte er die Anschlussberufung unter einer zulässigen auflösenden Bedingung erheben können (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 23. Juli 2012 – 5 U 256/11, juris, Rn. 12), wobei zuzugeben ist, dass eine entsprechende Bedingung als einzigen prozessualen Sinn die kostenrechtlichen Konsequenzen hätte (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. September 2012 – 6 U 844/12, juris, Rn. 46).

 

(3) Wer eine Anschlussberufung einlegt, weiß zudem, dass deren Erfolg auch davon abhängt, dass die Berufung des Gegners nicht durch Beschluss zurückgewiesen wird, und geht dieses Risiko bewusst ein (vgl. z. B. OLG Rostock, Beschluss vom 21. Dezember 2018 – 1 U 25/17, Rn. 69; OLG München, Beschluss vom 11. April 2014 – 23 U 4499/13, juris, Rn. 9; OLG Nürnberg, Beschluss vom 23. Juli 2012 – 5 U 256/11, juris, Rn. 12; KG Berlin, Beschluss vom 11. Mai 2010 – 6 U 170/09, juris, Rn. 11; OLG Köln, Beschluss vom 23. Juli 2009 – 4 UF 80/09, juris, Rn. 9; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. März 2009 – 12 U 220/08, juris, Rn. 5). Ihm ist von vorneherein bekannt, dass er in einem solchen Fall mit den Anträgen der Anschlussberufung keinen Erfolg haben wird, selbst wenn sie begründet wäre und ohne dass er hiergegen noch etwas unternehmen kann (entgegen Vidal/Aufderheide, NJW 2016, 3269, 3271, liegt darin auch kein Zirkelschluss; das Kostenrisiko wird nicht damit begründet, dass dem Anschlussberufungskläger das Kostenrisiko, sondern damit, dass ihm das Risiko des Unterliegens bekannt ist). Dieses Argument zwingt zwar nicht zu einer Kostenteilung (so zu Recht OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. September 2012 – 6 U 844/12, juris, Rn. 44), zeigt aber jedenfalls, dass der Anschlussberufungskläger damit nicht unbillig belastet wird. Zwar muss umgekehrt auch derjenige, der Berufung einlegt, damit rechnen, dass der Berufungsgegner, der sich mit dem Urteil abgefunden hätte, nunmehr Anschlussberufung erhebt und dadurch weitere Kosten auslöst (so OLG Nürnberg, a. a. O.), der Unterschied liegt jedoch darin, dass der Anschlussberufungskläger bereits weiß, dass Berufung eingelegt wurde (und nicht nur Anschlussberufung eingelegt werden könnte), sein ihm bekanntes Risiko darin besteht, ohne Sachprüfung seines Antrags mit diesem keinen Erfolg zu haben (und nicht nur einen Antrag entgegengesetzt zu bekommen, der vor Erfolg vom Gericht in der Sache geprüft wird), und schließlich der Eintritt des Risikos in der Hand des Gerichts (und nicht des Gegners) liegt.

 

dd) Bei einer Abwägung der unter bb) und cc) genannten Argumente sprechen aus Sicht des Senats im Ergebnis die gewichtigeren Gründe dafür, die Kosten zu teilen. Dass die Intention des Gesetzgebers, durch das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO in geeigneten Fällen eine für alle Beteiligten prozessökonomische und für den Kläger zudem kostengünstige Rücknahme der Berufung zu erreichen, im Falle einer zudem erhobenen Anschlussberufung häufig an der tatsächlichen Grundlage scheitern wird, dass es für den Kläger im konkreten, wenn auch nicht ganz seltenen Fall zu keiner Kostenersparnis kommt, muss für diese Ausnahmefälle hingenommen werden. Abgesehen davon, dass auch in Fällen mit einer Anschlussberufung je nach jeweiligem Streitwert eine Rücknahme der Berufung kostengünstiger sein kann als ihre Zurückweisung und der zahlenmäßig überwiegende Anwendungsfall des § 522 Abs. 2 ZPO, nämlich in Fällen ohne Anschlussberufung, ohnehin erhalten bleibt, wird das gesetzgeberische Ziel der Prozessökonomie zumindest teilweise auch dann erreicht, wenn die Berufung nicht zurückgenommen wird, da jedenfalls ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann und damit mit einem für alle Beteiligten geringeren Aufwand.

 

c) Angesichts des Wertes von Berufung und Anschlussberufung ergibt sich die tenorierte Quote.

 

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

 

 

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48, 45 Abs. 2 und 1 Satz 1 GKG bestimmt.