Kaskoversicherung:
Falsche Angaben zu Vorschäden und nicht dargelegte Vorschäden und ihre
Reparatur
Hanseatische OLG Bremen,
Hinweisbeschluss vom 14.06.2023 - 3 U 41/22 -
Kurze Inhaltsangabe (auch zum vorangegangenen Beschluss des OLG):
Vorliegend wurde die beklagte Vollkaskoversicherung von ihrer Versicherungsnehmerin, der Klägerin, nach dem Diebstahl von Kraftfahrzeugteilen im Januar 2019 aus ihrem Fahrzeug in Anspruch
genommen und die Beklagte hatte einen Sachverständigen beauftragt, der das Fahrzeug besichtigte und Reparaturkosten von € 18.098,28 ermittelt. Aufgrund von Zweifeln wohl infolge eines ähnlichen
Schadensfalls und stellte Nachfragen, im Rahmen der die Klägerin u.a. angab, keine Kenntnis von Vorschäden zu haben. Nachdem die Klage abgewiesen wurde, legte die Klägerin Berufung ein. Das
OLG erließ unter dem 19.04.2023 einen Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO, mit der es die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung als offensichtlich unbegründet mitteilte vor dem Hintergrund, dass
es davon überzeugt sei, dass die Klägerin arglistig ihre Obliegenheit gegenüber der Beklagten verletzt habe, da sie wahrheitswidrig angegeben habe, ihr sei kein Vorschaden bekannt gewesen. Nach
der Stellungnahme erließ das OLG einen weiteren (hier besprochenen) Hinweisbeschluss, in dem es darauf hinwies, weiterhin die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückweisen zu wollen.
Im Rahmen ihrer Stellungnahme überließ die Klägerin ihre Schadensanzeige vom 23.01.2018, in der sie mitgeteilt habe, dass ihr von einem Vorschaden nichts bekannt sei. Abzustellen sei auf
die zugrundeliegenden AKB Abschnitt E 2.2 der Beklagten (die § 28 Abs. 3 S. 2 VVG entsprechen würden). Diese Angabe sei in Ansehung des Kaufvertrages über das Fahrzeug vom 22.11.2018
offensichtlich falsch, weshalb die Klägerin gegen ihre sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Obliegenheit zu wahrheitsgemäßen Angaben verstoßen habe. Auch wenn die Klägerin ihren Angaben
zufolge bei Kauf kein Interesse an der Art von Vorschäden gehabt haben sollte, wäre sie aufgrund der Nachfrage des Versicherers zur Erkundigung zu den ihr offenbarten Vorschäden verpflichtet
gewesen. Offen ließe es das OLG, ob die Erkundigungspflicht nicht bereits bei Erstellung der Schadensanzeige eine entsprechende Erkundigungspflicht gehabt habe, insbesondere vor der Begutachtung
durch den von der Beklagten beauftragten Sachverständigen.
Die falsche Angabe stelle sich auch als ein arglistiges Verschweigen von Tatsachen dar; insoweit verwies das OLG auf seinen Hinweisbeschluss vom 19.04.2023. Dort hatte das OLG ausgeführt, eine
arglistige Täuschung setze eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus, wobei
der Versicherungsnehmer vorsätzlich handeln müsse, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirke (BGH, Beschluss vom 04.05.2009 - IV ZR 62/07 -). Eine
Bereicherungsabsicht müsse nicht vorliegen. Es genüge, dass sein Verhalten den Versicherer möglicherweise bei der der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen könne (BGH, Urteil vom
22.11.2012 – IV ZR 97/11 -). Ausreichend sie daher auch, etwaige Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, um die Regulierung zu beschleunigen oder allgemein auf die Entscheidung des Versicherers
Einfluss nehmen zu wollen. In dem Verschweigen der Vorschäden läge angesichts des späteren Verkaufs des Fahrzeugs durch die Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung des Schadensfeststellung.
Ergänzend wies das OLG darauf hin, dass die Berufung (wie vom Landgericht zutreffend erkannt) keine Aussicht auf Erfolg habe, da die Reparatur der Vorschäden nicht dargelegt worden sei und auch
eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO unmöglich sei.
Die Klägerin rechnet den Schaden auf der Grundlage eines Privatgutachtens, welches einen wirtschaftlichen Totalschaden ausweise, fiktiv ab. Sowohl der Wiederbeschaffungswert wie auch der Restwert
könnten durch Vorschäden beeinflusst werden. Eine entsprechende Abrechnung sie möglich, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO auszuschließen sei, dass im Falle von Vorschäden
mit dem späteren Schadensereignis kompatible Schäden bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden seien. Dazu müsse der Geschädigte insbesondere im Fall von Schadensüberlagerungen den Umfang
des Vorschadens und gegebenenfalls deren Reparatur belegen, da sich der Ersatzanspruch lediglich auf den Ersatz derjenigen Kosten erstrecke, die zur Wiederherstellung des vorbestehenden Zustandes
erforderlich seien (OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2017 - I-1 U 31/16 -). Den Geschädigten treffe die Darlegungs- und Beweislast, dass das Gutachten, auf welches er seinen Anspruch
stütze, im Hinblick auf den Wiederbeschaffungswert richtig sei (OLG Saarbrücken, Urteil vom 17.02.2022 - 4 U 94/21 -).Ohne detaillierte Kenntnis vom Umfang etwaiger Vorschäden und deren Reparatur
sei eine Schätzung des Wiederbeschaffungswertes nicht möglich. Die Bezugnahme auf das Privatgutachten sei ungenügend, wenn dem Sachverständigen die Vorschäden nicht offengelegt worden seien. Die
Klägerin habe weder die ordnungsgemäße Reparatur des Vorschadens hinreichend dargelegt noch Tatsachen für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO unter Berücksichtigung der Vorschäden vorgelegt.
Dem von der Klägerin in Bezug genommenen Privatgutachten sei zu entnehmen, dass sich dieses auf die Annahme bezöge, das Fahrzeug sie mit Originalteilen vollständig und fachgerecht repariert
worden. Zum nach weis der Reparatur habe die Klägerin eine ihr vom Vorbesitzer überlassene Rechnung vom 12.11.20188 vorgelegt, aus der sich nicht ergäbe, dass Originalteile eingebaut worden
seien. Eine Schadensschätzung käme nur bei Vorliegen hinreichender greifbarer Tatsachen in Betracht; auch § 287 ZPO erlaube keine völlig abstrakte Form der Schätzung eines Mindestschadens (BGH,
Beschluss vom 15.10.2019 - VI ZR 377/18 -). Erforderliche Tatsachen für die Schätzung seien nicht vorgetragen und könnten infolge des Verkaufs auch nicht mehr bewiesen werden.
Aus den Gründen:
Tenor
Der Senat beabsichtigt weiterhin, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bremen – 6. Zivilkammer - vom 06.10.2022 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2
Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält erneut Gelegenheit, hierzu bis zum 06.07.2023 schriftsätzlich Stellung zu nehmen (§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Gründe
I.
Der Senat hat die Klägerin mit Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet und der Senat beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss
zurückzuweisen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst vollumfänglich auf diesen Beschluss Bezug.
Im Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 hat der Senat es offengelassen, ob ein Anspruch der Klägerin daran scheitert, dass eine fachgerechte Reparatur der unstreitigen Vorschäden vorliegend nicht
dargelegt worden ist. Denn der Senat war zu der Überzeugung gelangt, die Klägerin habe arglistig ihre Obliegenheiten gegenüber der Beklagten verletzt, indem sie wahrheitswidrig gegenüber der
Beklagten angab, ihr sei kein Vorschaden bekannt gewesen.
Mit Schriftsatz vom 10.05.2023 hat die Klägerin hierzu Stellung genommen und die Schadensanzeige vom 23.01.2018 (Anlage K11) zur Akte gereicht, zu der die Beklagte bisher noch nicht Stellung
genommen hat. Entscheidend für die Beurteilung der Arglist gemäß Abschnitt E 2.2 der AKB (entspricht § 28 Abs. 3 S. 2 VVG) ist jedoch, dass die Klägerin im Anschluss an diese
Schadensanzeige auf ausdrückliche Nachfrage der Beklagten in deren Schreiben vom 19.06.2019 unter Ziff.3) antwortete „Mir war von einem Vorschaden nichts bekannt“ (Anl. K 7 Bl. 15 Rs. d.A.,
offensichtlich identisch mit: Anlage B 5 Rs. zum Schriftsatz der Beklagten vom 16.09.2020). Diese Angabe war im Hinblick auf die Angaben im Kaufvertrag vom 22.11.2018 schlicht falsch. Die
Klägerin hat damit ihre Obliegenheit zur wahrheitsgemäßen Angabe verletzt. Auch wenn die Klägerin – ihren eigenen Angaben nach – im Zeitpunkt des Kaufs kein Interesse an der Art der Vorschäden
gehabt haben sollte, so war sie – spätestens - auf die Nachfrage der Beklagten verpflichtet, sich bei dem Voreigentümer genauer über die ihr offenbarten Vorschäden zu erkundigen. Der Senat lässt
es an dieser Stelle ausdrücklich offen, ob eine solche Pflicht nicht sogar bereits bei Erstellung der Schadensanzeige, insbesondere vor der Begutachtung durch den Sachverständigen der Beklagten
bestanden hätte.
Aus den im Beschluss vom 19.04.2023 (S. 5/6) genannten Gründen lag in dieser falschen Angabe ein arglistiges Verschweigen von Tatsachen. In dem Verschweigen der Vorschäden liegt angesichts
des späteren Verkaufs des Fahrzeugs eine erhebliche Beeinträchtigung der Schadensfeststellung (s.u.).
II.
Ergänzend weist der Senat nunmehr auch darauf hin, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, weil das Landgericht zutreffend erkannt hat, dass die Reparatur der Vorschäden nicht dargelegt
worden ist und auch eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO vorliegend unmöglich ist.
Auch insoweit ist eine Entscheidung durch Urteil unter Zulassung der Revision nicht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO im Hinblick auf die grundsätzliche
Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil es sich auch insoweit um eine Tatsachenentscheidung in einem Einzelfall handelt
Schließlich ist auch eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
1.
Rechnet der Geschädigte – wie hier die Klägerin – auf der Grundlage eines (Privat-) Gutachtens, das einen wirtschaftlichen Totalschaden ausweist, den (Netto-) Wiederbeschaffungsaufwand fiktiv ab,
gilt es zu beachten, dass sowohl der Wiederbeschaffungs- als auch der Restwert von Vorschäden beeinflusst sein können. Grundsätzlich vermag im Fall von Vorschäden der Geschädigte mit dem späteren
Schadensereignis kompatible Schäden dann ersetzt verlangen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gem. § 287 ZPO auszuschließen ist, dass sie bereits im Rahmen eines Vorschadens
entstanden sind. Dazu muss der Geschädigte insbesondere im Fall von Schadensüberlagerungen den Umfang des Vorschadens und gegebenenfalls dessen Reparatur belegen, da sich der Ersatzanspruch
lediglich auf den Ersatz derjenigen Kosten erstreckt, die zur Wiederherstellung des vorbestehenden Zustands erforderlich sind (OLG Düsseldorf VersR 2017, 1032 = BeckRS 2017, 104786). Im Rahmen
einer Schadensersatzklage trägt der Geschädigte darüber hinaus die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der von ihm behauptete, auf das Gutachten eines Sachverständigen gestützte
Wiederbeschaffungswert zutrifft (OLG Saarbrücken, NJW-RR 2022, 964 Rn. 17, beck-online).
Hierzu muss der Geschädigte erstens darlegen und gegebenenfalls beweisen, ob und in welchem Umfang Schäden (abgrenzbar) auf den in Rede stehenden Schadensfall und nicht etwa auf den
Vorschadensfall zurückzuführen sind. Zweitens muss er darüber hinaus Art und Umfang der Beseitigung von Vorschäden darlegen und gegebenenfalls beweisen, weil ohne detaillierte Kenntnis über den
Umfang des Vorschadens und seine gegebenenfalls erfolgte Reparatur der aktuelle Wiederbeschaffungswert nicht bestimmt werden kann. Denn in Bezug auf den Wiederbeschaffungswert ist die Schätzung
eines aktuellen Werts ohne detaillierte Kenntnis vom Umfang etwaiger Vorschäden und deren Reparatur nicht möglich (OLG Bremen, NJW-RR 2021, 1468 Rn. 29, beck-online). Der Geschädigte kann hier
seiner Darlegungslast nicht durch Vorlage eines Privatgutachtens nachkommen, wenn dem Sachverständigen die Vorschäden nicht offengelegt worden sind (OLG Bremen, aaO).
2.
Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht zutreffend darauf erkannt, dass weder die ordnungsgemäße Reparatur des Vorschadens von der Klägerin hinreichend dargelegt worden ist noch
Tatsachen für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO unter Berücksichtigung der Vorschäden vorliegen.
a)
Die Klägerin schätzt den Wiederbeschaffungswert anhand der Ermittlungen des von der Beklagten beauftragten Gutachters H.. Eine Schadensberechnung auf der Grundlage der Ermittlungen des Gutachters
H. ist vorliegend jedoch nicht möglich, denn die Klägerin hat den Gutachter H. nicht über das Vorhandensein der ihr bekannten Vorschäden informiert. Fehl geht die Klägerin in der Annahme, der
Gutachter habe etwaige Vorschäden zu ermitteln, sondern die Klägerin war gehalten, die ihr bekannten und vermeintlich fachgerecht reparierten Vorschäden gegenüber dem Gutachter H. offenzulegen.
Dies hat sie nicht getan. Auch deshalb ist das Gutachten des Gutachters H. nicht zur Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes bzw. des Restwertes heranzuziehen.
Dem Gutachten vom 17.01.2019 (Anlage B1), auf den sich die Berechnung der Schadenshöhe durch die Klägerin stützt, liegt daneben die Annahme zugrunde, das Fahrzeug sei mit Originalteilen
vollständig und fachgerecht repariert worden. Die zum Nachweis der Reparatur durch den Vorbesitzer Y zur Akte gereichte Rechnung der Firma Z, Hamburg, vom 12.11.2018 (Anlage K6, Bl. 14 d.A.),
weist indes nicht aus, dass Originalteile in das Fahrzeug eingebaut worden sind.
b)
Eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO kommt nur bei Vorliegen hinreichender greifbarer Tatsachen in Betracht, da auch § 287 ZPO eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens
grundsätzlich nicht zulässt, auch nicht in Form der Schätzung eines Mindestschadens (BGH NJW 2020, 393; OLG Bremen, aaO). Die für eine Schätzung erforderlichen Tatsachen sind nicht vorgetragen
und sie können ohnehin nicht (mehr) bewiesen werden, da das Fahrzeug von der Klägerin veräußert worden sein soll.
III.
Da die Berufung unverändert keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat erneut aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend
die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).