Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen bei
Bauteilöffnung (hier: Wasseraustritt)
OLG München,
Urteil vom 20.12.2017 - 20 U 1102/17 -
Kurze Inhaltsangabe:
Der Beklagte wurde als vom Gericht bestellter Sachverständiger im Rahmen eines Rechtsstreits tätig, in dem die Parteien über die Frage der Verlegereife für Teppichböden nach einem
Wasserschaden im Jahre 2008 stritten. Im Rahmen seiner Tätigkeit fanden zwei Ortstermine statt. Bei dem zweiten Ortstermin ereignete sich ein weiterer Wasserschaden, der im Rahmen einer von dem
Beklagten angeordneten Bauteilöffnung, mit der er einen Dritten beauftragt hatte, eintrat.
Die Klägerin war im Zusammenhang mit dem 1. Wasserschaden aus dem Jahr 2008 als auf die Sanierung von Brand- und Wasserschäden spezialisiertes Unternehmen beauftragt gewesen und Partei des
Rechtsstreits gewesen, in welchem der Beklagte als Sachverständiger tätig wurde. Sie verlangte im vorliegenden Verfahren Ersatz ihrer Aufwendungen, die sie infolge der vom Beklagten veranlassten
Bauteilöffnung und des eingetretenen Wasserschadens hatte.
Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen; das OLG wies die Berufung zurück.
Eine Haftung des Beklagten nach § 839 BGB iVm. Art. 34 GG verneinte das OLG. Der daraus abzuleitende Amtshaftungsanspruch sei nur dann gegeben bei Schäden, die aus dem Gutachten selbst
resultieren würden. Schäden, die vom gerichtlich bestellten Sachverständigen aber anlässlich der Begutachtung verursacht würden, würden sich nicht als Amtspflichtverletzung darstellen (BGH,
Urteil vom 05.10.1972 - III ZR 168/70 -).
Zu prüfen war danach vom OLG ein Anspruch aus Aufwendungsersatz nach §§ 683, 670 BGB. Dies negierte das OLG. Damit kam es darauf an, ob der Beklagte Geschäftsherr war, was dann angenommen werden
könne, wenn die Tätigkeit der Klägerin in die Rechts- und Interessenssphäre des Beklagten fiele. Entscheidend sei dabei, ob die Schädigung der Wasserleitung bei der Bauteilöffnung von ihm
vorsätzlich oder fahrlässig verursacht wurde und er sich deshalb gegenüber dem Eigentümer der geschädigten Sache schadenersatzpflichtig gemacht habe. Nur in diesem Fall hätte die Klägerin ein
Geschäft für des Beklagten in dessen Intereses durchgeführt und ihn von Regressanspruch mit dem Anspruch auf eigenen Aufwendungsersatz befreit.
Da die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin allerdings nicht nachweisen könnte (was weiter ausgeführt wurde), dass der Beklagte die Rechtsgutsverletzung bei der Eigentümerin zu vertreten
habe, wies das OLG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil zurück.
Aus den Gründen:
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 15. Februar 2017, Az. 11 O 590/16, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 19.840,58 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Darstellung eines Tatbestands bedarf es nicht, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2
ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Sie war daher zurückzuweisen.
1. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Ersatz der Kosten hat, die ihr - wie sie behauptet - für die
Beseitigung des bei der Bauteilöffnung am 4. September 2012 eingetretenen Wasserschadens entstanden sind.
a) Ein vertraglicher Anspruch gegen den Beklagten scheidet nach dem Parteivortrag mangels Vertragsschlusses unzweifelhaft aus.
b) Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch kann auch nicht auf §§ 683, 670 BGB gestützt werden.
aa) Dies kann allerdings nicht damit begründet werden, dass - wie das Landgericht angenommen hat - die Klägerin einen Vertrag über die Erbringung der Leistungen mit dem Eigentümer der
Schule vertreten durch den Hausmeister abgeschlossen hätte. Ein solcher Vertragsschluss liegt nicht nur nach dem Parteivortrag, sondern auch angesichts der offensichtlich fehlenden
Vertretungsmacht des Hausmeisters fern.
bb) Für die Beurteilung, ob der Beklagte Geschäftsherr der von der Klägerin durchgeführten Arbeiten war, ob diese also (auch) in seinen Rechts- und Interessenkreis fielen (Palandt,
BGB, § 686 Rn. 1) und in seinem Interesse waren (§ 683 BGB), kommt es entscheidend darauf an, ob die Beschädigung der Wasserleitung von ihm vorsätzlich oder fahrlässig
verursacht wurde und er sich deshalb gegenüber dem Eigentümer des Gebäudes schadensersatzpflichtig gemacht hat. Denn nur in diesem Fall hätte die Klägerin ein Geschäft des Beklagten
in seinem Interesse durchgeführt und ihn von Regressansprüchen des Eigentümers befreit.
cc) Eine solche Befreiung von einer Verbindlichkeit kann nicht - wie vom Landgericht - bereits wegen der Tätigkeit des Beklagten als Sachverständiger verneint werden. Denn die vom
Landgericht hier herangezogene Haftungsverweisung gemäß § 839 BGB iVm Art. 34 GG ist nur bezüglich solcher Schäden anzuwenden, die aus einem erstellten Gutachten selbst
herrühren. Von einem gerichtlichen Sachverständigen anlässlich der Durchführung der Begutachtung verursachte Schäden dagegen
stellen nach herrschender Meinung keine Amtspflichtverletzung in Ausübung eines anvertrauten Amtes dar, weshalb eine Haftung des Landes aus Art. 34 GG nicht in Betracht kommt
(BGH, Urteil vom 5. Oktober 1972, III ZR 168/70, juris; OLG München, 1 U 3842/87, juris; Palandt, BGB, § 839 Rn. 135).
dd) Die für das Vorliegen der Voraussetzungen ihres Anspruchs darlegungs- und beweisbelastete Klägerin konnte den ihr obliegenden Nachweis einer vom Beklagten zu vertretenden
Rechtsgutsverletzung, die Voraussetzung für seine Haftung gegenüber dem Eigentümer des Gebäudes ist, allerdings nicht erbringen.
(1) Fahrlässiges Handeln liegt gemäß § 276 Abs. 2 BGB dann vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wird. Dabei gilt ein objektiv-abstrakter
Sorgfaltsmaßstab (Palandt, BGB, § 276 Rn. 15 mwN). Entscheidend ist das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht
kommenden Verkehrskreises zu beachten ist (Palandt, BGB, § 276 Rn. 16 mwN).
(2) Dass der Beklagte als Sachverständiger diese Sorgfaltsanforderungen im konkreten Fall missachtet hat, konnte die Klägerin nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen.
(a) Der Beklagte hat vorgetragen, dass ihm die Gefahr der Beschädigung von Leitungen bei der Probeentnahme bekannt gewesen sei und er ihr dadurch Rechnung getragen habe, dass er sich
bei den Verantwortlichen über die Lage der Leitungen erkundigt und diesen die nähere Abklärung des Leitungsverlaufs beim Eigentümer aufgegeben habe. Auch sei er bei der tatsächlichen
Probeentnahme am 3. September 2012 den daraufhin gemachten Angaben bei der Festlegung der Probenstellen gefolgt.
(b) Der Zeuge R., der anwaltliche Vertreter des Prozessgegners der hiesigen Klägerin im Verfahren 18 O 9054/11 vor dem Landgericht München, der beim ersten Ortstermin vom 25. Juli
2012 anwesend war, hat die Darstellung des Beklagten für diesen Termin glaubhaft und glaubwürdig vollumfänglich bestätigt und ausgesagt, dass der Beklagte als Sachverständiger am 25.
Juli 2012 von den Beteiligten erfragt habe, an welchen Stellen die Proben entnommen werden sollten und wo Schneiden gefahrlos möglich sei und dass der Beklagte hinsichtlich dieser
Fragen um finale Abstimmung mit dem Eigentümer/Bauamt bis zum Entnahmetermin am 4. September 2012 gebeten habe.
(c) Dieser Ablauf des ersten Ortstermins ergibt sich auch aus dem vom Beklagten gefertigten und sämtlichen damals Beteiligten zugesandten und von diesen nicht beanstandeten Protokoll
vom 25. Juli 2012 (B 3). Dort werden unter Ziffern 4.3.1 und 4.3.2 die beabsichtigten Entnahmestellen beschrieben unter Hinweis darauf, dass an diesen Stellen „angabegemäß ... keine
Wasserleitungen liegen“. Ziffer 4.5 lautet „Der Unterzeichner bittet die Antragstellerin/Klägerin um ausdrückliche Abstimmung mit dem Eigentümer/Bauamt.“
(d) Auch der Klägervertreter selbst, der ebenfalls beim Ortstermin vom 25. Juli 2012 anwesend war, hat ebenso wie der von der Klägerin benannte und für sie tätige Zeuge W. bestätigt,
dass die Bohrungsbereiche wie in Ziffer 4.3.1 und 4.3.2 beschrieben in diesem Termin besprochen wurden und dass der Klägerin aufgegeben wurde, den genauen Leitungsverlauf mit dem
Eigentümer/Bauamt abzustimmen, wobei dies sowohl nach Meinung des Klägervertreters wie auch nach der Aussage des Zeugen W. Aufgabe des Hausmeisters gewesen sei.
Soweit die Klägerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 (Bl. 175 f.) behauptet, die erbetene Abstimmung mit dem Eigentümer/Bauamt habe nicht die Festlegung der
Probestellen, sondern allein die Frage des Zugangs und der Gestattung der Probeentnahme betroffen, steht dies im Widerspruch zum Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat in der
mündlichen Verhandlung vom 29. November 2017, wonach ausweislich des Protokolls nicht nur der Beklagte selbst, sondern sämtliche angehörten und vernommenen Personen die erbetene
Abstimmung auch auf die Festlegung der Probestellen selbst bezogen haben. Insbesondere hat auch der Zeuge W., der verantwortliche Mitarbeiter der Klägerin, hierzu ausgesagt: „Bei der
Festlegung der voraussichtlichen Entnahmestellen ist bereits auf der Grundlage der Angaben des Hausmeisters auf Strom- und Wasserleitungen Rücksicht genommen worden. Der Hausmeister
sollte das dann bis zum zweiten Termin genau abklären.“
(e) Für den Tag der tatsächlichen Probenentnahme, den 4. September 2012, hat der Zeuge Weiland die Angaben des Beklagten bestätigt, dass nochmals über die genaue Platzierung der
Bohrstellen gesprochen und eine Bohrstelle aufgrund der vom Hausmeister eingeholten Informationen über den Leitungsverlauf sogar anders positioniert worden sei, und dass sich an den
schließlich festgelegten Stellen nach Angaben des Hausmeisters keine Leitungen befinden würden.
Soweit der Zeuge W. darüber hinaus bekundet hat, es habe „seines Wissens nach“ keine verlässlichen Pläne zur Schule und den Leitungen gegeben, geht hieraus schon nicht hervor, dass
dieser Umstand auch dem Beklagten bekannt gemacht worden wäre.
Dass der Zeuge W. angegeben hat, er sei mit dem Beklagten, dem Hausmeister und dem Zeugen Maier übereingekommen, die Bohrungen an den fraglichen Stellen durchzuführen, ist entgegen
den Ausführungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 (Bl. 175 f.) ebenfalls nicht zum Nachweis dafür geeignet, dass der Beklagte im Zusammenhang mit der Festlegung
der Bohrstellen auf eine Unsicherheit hingewiesen worden wäre. Denn zum einen ist schon nicht ersichtlich, weshalb der Beklagte bereit gewesen sein sollte, insoweit ein irgendwie
geartetes „Risiko“ auf sich zu nehmen, hatte er doch keinerlei Eigeninteresse an der Öffnung des Bodens. Zum anderen hat der Zeuge Weiland ebenfalls ausgesagt, dass an der Bohrstelle
„laut Hausmeister keine Leitung“ hätte liegen dürfen und dass auf die Angaben des Hausmeisters vertraut worden sei, nachdem dieser ja bereits den Umbau im Vorfeld betreut habe und
„sich auskannte“. Dies spricht gegen die Annahme, dass bei der Festlegung der Bohrstellen irgendeine Unsicherheit oder ein für die Beteiligten erkennbares „Risiko“ bestanden hat.
(f) Jedenfalls aber kann die Klägerin bereits aus Beweislastgründen keinen Nachweis dafür führen, dass bei der Festlegung der Bohrstellen auf eine Unsicherheit hingewiesen worden ist
und deshalb ein fahrlässiges Handeln des Beklagten im Raume steht. Denn der Zeuge M., der keinerlei Eigeninteresse am Verfahrensausgang hat und der nach Überzeugung des Senats
glaubhaft und glaubwürdig ausgesagt hat, hat angegeben, dass der Hausmeister auf die Frage des Beklagten nach dem Entnahmeort ohne Einschränkung geantwortet habe: „Da könnt ihr
bohren, da liegen keine Leitungen“. Nach dieser Aussage ist dem Beklagten die Bohrstelle als uneingeschränkt geeignet bezeichnet und auf etwaige Risiken nicht hingewiesen worden.
Insoweit liegt damit zumindest eine non-liquet-Situation vor - mit den Angaben des Zeugen W. zur Übernahme eines „Risikos“ gelingt der Nachweis fahrlässigen Handelns deshalb nicht.
(g) Dass der Hausmeister selbst die von sämtlichen anderen Beteiligten geschilderten Gespräche zum Leitungsverlauf nicht bestätigt, er vielmehr keine Erinnerung mehr an die Vorgänge
haben will, ist nicht geeignet, Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen der übrigen Zeugen zu wecken. Denn deren Aussagen stimmen - obwohl die Zeugen zu unterschiedlichen Lagern
gehören - im Kern überein und decken sich mit den Angaben des Beklagten. Auch mag der Hausmeister ein gewisses Eigeninteresse daran haben, seine Rolle herunterzuspielen.
(3) Anders als die Klagepartei meint, durfte der Beklagte auf die Angaben des Hausmeisters vertrauen. Denn dieser war nicht nur ausdrücklich mit der Abklärung des Leitungsverlaufs
beauftragt worden, der Beklagte konnte auch sicher sein, dass diese Abklärung stattgefunden hatte, da der Hausmeister, wie der Zeuge W. bestätigt hat, als Ergebnis seiner Rücksprache
mit dem Bauamt die Verlegung einer Probestelle verlangt hat.
Hinzu kommt, dass der Beklagte an der konkreten Schnittstelle im Estrich selbst nicht mit dem Vorhandensein eines Rohrs rechnen
musste. Denn im schwimmenden Estrich sind nach DIN 18560-2 - was auch die Klagepartei nicht in Abrede stellt - Rohrleitungen nicht zulässig.
Nach den Gesamtumständen des Falls - klarer Leitungsverlauf, ein Vorhandensein von Leitungen im Estrich ist nach DIN ausgeschlossen - war deshalb auch der Einsatz der von der
Klagepartei geforderten Wärmebildkamera entbehrlich. Dieses Unterlassen ist hier nicht geeignet, einen Fahrlässigkeitsvorwurf zu begründen.
ee) Auf den Einwand des Beklagten, die Klägerin habe ihre Anzeigeverpflichtung gemäß § 681 BGB verletzt, der - worauf der Senat bereits in der mündlichen Verhandlung hingewiesen
hat - über §§ 812 ff. BGB ebenfalls zu der Frage geführt hätte, ob der Beklagte durch das Handeln der Klägerin von einem Schadensersatzanspruch des Eigentümers befreit wurde,
kommt es damit nicht an.
c) Deliktische Ansprüche der Klagepartei gegen den Beklagten scheiden mangels Verletzung eines von § 823 BGB geschützten Rechtsguts der Klägerin aus.
2. Mangels Hauptanspruchs besteht kein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der geltend gemachten Nebenforderungen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Der Streitwert entspricht dem Wert des Zahlungsantrags.