Rechtliches Gehör: Wann muss Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht zwingend berücksichtigt werden ?

Eine in erster Instanz siegreiche Partei darf darauf vertrauen, rechtzeitig vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und von daher eine Ergänzung des bisherigen Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält.

 

Rechtzeitig ist der Hinweis, wenn er so zeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung (Berufungsverhandlung) erfolgt, dass die betroffene Partei darauf noch reagieren kann, § 139 Abs. 4 ZPO. Erfolgt der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss das Berufungsgericht der betroffenen Partei genügend Gelegenheit geben, um darauf zu reagieren. Es kann entweder in das schriftliche Verfahren überleiten oder vertagen. Ein Schriftsatznachlass muss nicht notwendig von der betroffenen Partei beantragt werden, wenn offenkundig ist, dass sie sich (so z.B. wegen notwendiger Recherchen) nicht im Termin auf den Hinweis hin einlassen kann.

 

Der Umstand, dass ein entsprechender Hinweis bereits vom Gegner erstinstanzlich (und evtl. auch wiederholt im Berufungsverfahren) erfolgte, ändert daran nichts. Denn die siegreiche Partei muss nicht vorsorglich (im Berufungsverfahren) dazu Stellung nehmen, da die Ausführungen des Gegners nicht notwendig die Annahme rechtfertigen, dass auch das Berufungsgericht in diesem Punkt der erstinstanzlichen Entscheidung nicht folgen wird.

 

Ein nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgter Schriftsatz zu dem verspäteten Hinweis ist vom Berufungsgericht zu berücksichtigen und ggf. die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

 

 

BGH, Beschluss vom 21.01.2020 - VI ZR 346/18 -

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