Mietrecht


Eigenbedarfskündigung, Anbietpflicht und „fliegender Wohnungswechsel“

BGH, Beschluss vom 19.07.2017 - VIII ZR 284/17 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Die Tochter der Klägerin bewohnte im Haus der Klägerin  im 4, OG eine 100qm große 4-Zimmer- Wohnung mit ihrem Ehemann. Die Beklagten waren Mieter einer ca. 170qm großen 6-Zimmer-Wohnung im EG und wohnten dort mit ihrer erwachsenen Tochter. Die Klägerin kündigte den Beklagten wegen Eigenbedarfs zur Nutzung durch ihre Tochter und legten dar, dass diese aus gesundheitlichen Gründen auf die Wohnung angewiesen sei. Der Kündigungsgrund wurde von den Beklagten bestritten.

 

Die Räumungsklage wurde vom Amtsgericht abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens der Klägerin vor den BGH räumten die Beklagte und die Hauptsache wurde für erledigt erklärt. Der BGH entschied auf Kostenaufhebung, da der Kündigungsgrund streitig sei.

 

In der Sache hatte das Landgericht die Räumungsklage nicht deshalb zurückgewiesen, da der Kündigungsgrund nicht bestünde. Vielmehr ist das Landgericht davon ausgegangen, die Klägerin hätte den Beklagten die durch den Umzug der Tochter freiwerdende Wohnung im 4. G anbieten müssen. Dies, so der BGH, sei unzutreffend.

 

Der BGH verweist darauf, dass eine Anbietpflicht dann nicht bestünde, wenn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine Wohnung nicht frei wird. Vorliegend wäre die Wohnung der Tochter der Klägerin erst mit deren Umzug in das EG und damit nach Ablauf der Kündigungsfrist frei geworden, weshalb die Klägerin diese Wohnung nicht hätte anbieten müssen. Eine solche Pflicht ließe sich auch nicht aus dem Gebot der Rücksichtnahme herleiten. Es könne entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht ein „fliegender Wohnungswechsel“ vom Vermieter erwartet werden; eine solche Erwartung beruhe auf einer einseitig an den Interessen des Mieters ausgerichteten, den Charakter der Rücksichtnahmepflichten grundlegend verkennenden Bewertung.

 

 

Dies würde ungeachtet der weiteren Frage gelten, ob hier nicht die Initiative von dem Mieter hätte ausgehen müssen, da die Wohnung im 4. OG nach Größe, Zuschnitt und Lage nicht ernsthaft als vergleichbar mit jener im EG angesehen werden könne. 

 

Aus den Gründen:

Tenor

Die Kosten des Rechtsstreits werden nach übereinstimmender Erledigungserklärung gegeneinander aufgehoben.

Der Streitwert des Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 18.406,56 € festgesetzt.

Gründe

 

I.

Die Beklagten zu 1 und 2 waren seit Mitte des Jahres 2000 Mieter einer etwa 170 qm großen Sechszimmerwohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhaus der Klägerin in Frankfurt am Main. In der Wohnung lebte zugleich deren erwachsene Tochter, die Beklagte zu 3. Eine Tochter der Klägerin bewohnt zusammen mit ihrem Ehemann eine knapp 100 qm große Vierzimmerwohnung im vierten Obergeschoss des Hauses.

Im November 2014 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Diesen stützte sie darauf, dass ihre im vierten Obergeschoss des Hauses lebende Tochter die Wohnung der Beklagten aus näher bezeichneten gesundheitlichen Gründen benötige. Die auf diese Kündigung gestützte Räumungsklage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Im Verlauf des Verfahrens über die von der Klägerin fristgerecht erhobene und begründete Nichtzulassungsbeschwerde haben die Beklagten die Wohnung freiwillig geräumt und an die Klägerin herausgegeben, woraufhin die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

II.

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist über die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Bei der insoweit nur gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin voraussichtlich zu einer Zulassung der Revision und zu einer Aufhebung des Berufungsurteils unter Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht geführt hätte.

Denn die Entscheidung des Berufungsgerichts weicht in zulassungsrelevanter Weise von der Rechtsprechung des Senats ab, nach der die Anbietpflicht jedenfalls mit Ablauf der Kündigungsfrist und der damit eintretenden Beendigung des Mietverhältnisses endet (Senatsurteile vom 9. Juli 2003 - VIII ZR 311/02, NJW 2003, 2604 unter II 2; vom 4. Juni 2008 - VIII ZR 292/07, NJW 2009, 1141 Rn. 12 f.; vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 166/11, WuM 2012, 160 Rn. 24; vgl. ferner Senatsurteil vom 14. Dezember 2016 - VIII ZR 232/15, NJW 2017, 547 Rn. 55 [zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen]). Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, ist der Vermieter danach aufgrund des Gebotes der Rücksichtnahme auch nicht gehalten, die eigene, bisher von ihm selbst bewohnte Wohnung anzubieten, die denknotwendig erst frei wird, wenn der Vermieter nach dem Auszug des Mieters in die gekündigte Wohnung eingezogen ist. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Vermieter müsse sich auf einen "fliegenden Wohnungswechsel" mit dem Mieter einlassen, beruht auf einer einseitig an den Interessen des Mieters ausgerichteten, den Charakter von Rücksichtnahmepflichten jedoch grundlegend verkennenden Bewertung. Entsprechendes gilt ungeachtet der weiteren Frage, ob unter bestimmten Voraussetzungen die Initiative nicht eher sogar von dem Mieter ausgehen müsste, für die Auffassung des Berufungsgerichts, der Vermieter habe dem Mieter auch eine Wohnung anzubieten, die - wie im Streitfall - bei einer für die Annahme von Pflichtverletzungen gebotenen objektiven Betrachtung nach Größe, Zuschnitt und Lage als mit der bisherigen Wohnung nicht mehr ernsthaft vergleichbar angesehen werden kann.

Da der weitere Prozess eine Beweisaufnahme über das Bestehen des von der Klägerin geltend gemachten Eigenbedarfs erfordert hätte, ist das Prozessrisiko als für beide Parteien etwa gleich hoch einzuschätzen, weshalb die Kosten gegeneinander aufzuheben sind.